Abenteuerstraße Achtung! Troll von rechts
Rund 500 Kilometer lang ist der Weg von Bergen nach Oslo, und auf dieser Strecke bekommt man viele charaktervolle Gesichter Norwegens zu sehen: Bergen, die so aparte wie nasse Metropole an der Westküste, die aber, auf einer Halbinsel gelegen und umringt von sieben Bergen, selbst im Pladderregen noch anziehend wirkt. Schmale Fjorde, an deren Ufern sich die Straßen an senkrecht aufragende Bergflanken klammern. Reiche Obstanbaugebiete, in denen am Straßenrand Kirschen und Äpfel verkauft werden. Donnernde Wasserfälle und die Stille auf dem Hochplateau des Hardangervidda. Radwanderwege für sportliche Abstecher in die Natur und Rafting-Flüsse für alle Abenteuerlustigen. Man hört mitunter die Wölfe heulen - und trifft unterwegs auf jede Menge Trolle.
Von Bergen aus hat man gleich mehrere Möglichkeiten, die Abenteuerstraße in Angriff zu nehmen. Das hängt damit zusammen, dass der Name dieser Route quer durch Süd-Norwegen im Prinzip missverständlich ist. Eigentlich handelt es sich um mehrere Strecken, die von den Tourismusverwaltungen der Region unter dem klingenden Namen Abenteuerstraße zusammengefasst wurden. So geht es entweder über die E16 in nord-östlicher Richtung über Aurland, durch einen 24 Kilometer langen Tunnel nach Laerdal, über die Landstraße 52 nach Gol und weiter über die Landstraße 7 nach Oslo. Auf dieser Route liegen zwar einige berühmte Attraktionen Norwegens wie zum Beispiel die alte Flåm-Bahn oder die Ausläufer des Sognefjords, auf denen auch eintägige Kajakausflüge angeboten werden. Für Autofahrer aber, die kleinere Straßen und engere Kurven schätzen und ihren Wagen gerne einmal für eine halbe Stunde einer kleinen Fähre anvertrauen, bietet sich eine alternative Strecke an.
Nach einem kurzen Stück auf der E16 geht es gleich auf die Landstraße 7, die sich für etwa 30 Kilometer durch ein grünes Tal hinzieht, bevor sie ab Northeimsund für wiederum rund 30 Kilometer dem Uferverlauf des mächtigen Hardangerfjords folgt, den die Norweger gerne als den "König der Fjorde" bezeichnen. Rund 180 Kilometer reicht dieser mächtige Meereseinschnitt ins Landesinnere, bis zum kleinen Ort Eidfjord, wo die Berge besonders dramatisch ins tintenschwarze Wasser abfallen. Bevor hier das Meer endgültig verabschiedet wird und die Fahrt hoch ins Gebirge beginnt, empfiehlt sich ein kleiner Schlenker. Bei Kvanndal wird der Asphalt der Straße 7 mit dem Stahl der Autofähre getauscht und der Hardangerfjord überquert. Nach einer halben Stunde ist Utne am anderen Ufer erreicht, auf der Straße 550 geht es am Ufer des Sørfjords, einem Seitenarm des "Königs", weiter in Richtung Odda. Diesen Ausflug aber unternimmt man nur aus der Freude am Fahren mit traumhafter Aussicht. Wer es eiliger hat, kann von Utne gleich mit der Fähre weiter nach Kinsarvik am gegenüberliegenden Ufer des Sørfjords übersetzen.
Doch die Tour den Sørfjord bis zu seinem Ende hinauf und am anderen Ufer wieder hinab bis eben Kinsarvik lohnt sich. Die Bergspitzen hängen oft im Nebel, aus dem sich immer wieder in der Sonne aufleuchtende Wolkenbänke lösen und wie träge, weiße Wale bis zur Wasseroberfläche hinabtauchen. Hin und wieder rauscht ein Wasserfall am Straßenrand hinab - nach norwegischem Verständnis ein klares Zeichen für die Präsenz von Trollen, jenen brachial veranlagten Wesen, die auf den Bergspitzen hausen und sich gerne ungeniert ins Tal erleichtern. Und tatsächlich lässt sich immer wieder der eine oder andere Troll erspähen. Mittlerweile scheinen die scheuen Gesellen einigermaßen domestiziert, jedenfalls trollen sie sich oft direkt am Straßenrand und grinsen ungeniert aus grob geschnitzten Holzgesichtern. Meist sogar ganz in der Nähe eines Kiosks oder einer Tankstelle, Orten also, die gerne von kamerabewaffneten Touristen frequentiert werden.
In Odda wird Kehrtwende gemacht, am anderen Ufer verläuft die Landstraße 13 mitten durch den Obstgarten Norwegens wieder in Richtung Norden, Kinsarvik wird passiert, schließlich Eidfjord. Hier sollte man tanken, denn jetzt geht es für rund 100 Kilometer hinauf ins Hardangervidda, das Nationalparksgebirge, das so gar nichts mit den Alpen gemein hat. Die Landschaft sieht aus, als sei der letzte Gletscher erst vor ein paar Tagen weitergezogen. Das Hochplateau wirkt wie glatt gebügelt, zerzauste kleine Birken trotzen dem scharfen Wind, der hier auf rund 1300 Meter Höhe über die Felsen bläst. Es fällt schwer, den Blick auf der Straße zu halten bei den Aussichten auf glitzernde Hochgebirgsseen in einer Umgebung, die ein bisschen was von Highlands hat, aber auch von Mondlandschaft. In der Ferne sieht man Rentiere am Moos rupfen. Verwaiste Skilifte warten auf den Beginn des nächsten Winters.
Schließlich ist Geilo erreicht, im Winter ein beliebter Skiort und im Sommer Ausgangspunkt für alle möglichen Sportaktivitäten, vom Hiking übers Mountainbiking bis zu Wildwasserfahrten im Schlauchboot. Nähere Informationen zu den vielfältigen Angeboten gibt es im Internet unter www.eventyrveien.com oder www.geilo.no. In Geilo wird übernachtet, am nächsten Tag geht es weiter nach Oslo. Vorher aber sollte ein Abstecher zu den Wölfen unternommen werden. Im Langedrag Naturpark am Tunhovdfjord leben einige Exemplare der akut gefährdeten Art in einem riesigen Areal nahezu wie in freier Wildbahn. Dafür fährt man von Geilo aus auf der Landstraße 40 in Richtung Süden und zweigt bei Skogli in Richtung Tunhovd ab. Hier den Schildern in Richtung Langedrag folgen, über eine Sandpiste geht es zu dem 1000 Meter hoch gelegenen Tierpark, von dem sich ein spektakulärer Blick über die Täler von Numedal und Hallingdal bietet.
Von Tunhovd geht es anschließend weiter in Richtung Nesbyen, hier biegt man rechts wieder auf die Landstraße 7 in Richtung Hønefoss. Die Fahrt bis Oslo dauert etwa drei Stunden, die Straße schlängelt sich zwischen Nadelwäldern, Bergkämmen und Waldseen, bis sie bei Hønefoss in die Europastraße E 16 mündet. Jetzt ist die Hauptstadt fast erreicht - und man ist erstaunt, wenn nach all der üppigen Natur plötzlich die Metropole mitsamt Rushhour und unzähligen Radarblitzgeräten erreicht ist.