Manipulationsverdacht bei VW-Software Weit mehr als "Auffälligkeiten"?

VW-Fahrzeuge in Wolfsburg
Foto: Daniel Reinhardt/ dpaVolkswagen sieht sich dem Vorwurf einer neuerlichen Manipulation an Zehntausenden Dieselfahrzeugen ausgesetzt. Es geht ausgerechnet um jene Fahrzeuge, bei denen mit einem Softwareupdate so genannte Abschalteinrichtungen beseitigt worden waren, die für die Reduzierung der Abgasreinigung in den Wagen sorgten. VW hatte die Existenz solcher Abschalteinrichtungen eingeräumt und damit den Abgasskandal ausgelöst.
Nun wurde eine solche Funktion nach Informationen des SPIEGEL und des BR auch in diesen überarbeiteten Diesel-Pkw gefunden.
Dabei soll es sich um einen Softwarebefehl handeln, der dafür sorgt, dass die Abgasreinigung sich nach 1120 Sekunden anders verhält - genau jene Zeit, die ein gewöhnlicher Abgastest dauert. "Der Konzern hat diese Abschalteinrichtung den Behörden gegenüber nicht offengelegt", heißt es aus Behördenkreisen. Allein das sei schon ein Verstoß gegen die Zulassungsbestimmungen. Betroffen sollen davon zunächst rund 30.000 Diesel-Autos mit 1.2-Liter-Motoren sein, die die Schadstoffklasse Euro 5 erfüllen.
Auffälligkeiten beim Skandalmotor EA189
Schon Ende Dezember waren diese "Auffälligkeiten" bekannt geworden. Zuerst hatte die "Bild am Sonntag" darüber berichtet. Zwischenzeitlich liegen die Details vor, und die Behördenseite ist überzeugt, dass es weit mehr als "Auffälligkeiten" sind.
VW erklärte dazu gegenüber dem SPIEGEL, "bei den regelmäßigen internen Qualitätskontrollen für Dieselfahrzeuge mit 1,2l-Motoren des Typs EA189 sind Auffälligkeiten verzeichnet worden, die nun weiter analysiert werden müssen."
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) soll VW-Chef Herbert Diess mit den Vorwürfen konfrontiert haben. Die Drohung des Ministeriums stand im Raum, die Fahrzeuge unverzüglich stilllegen zu lassen. VW soll widersprochen haben: Die von den Behörden beanstandete Funktion sei legal und diene dem Motorschutz. Auf SPIEGEL-Anfrage gibt sich das Ministerium wortkarg: "Die Vorwürfe sind bekannt. Das Kraftfahrzeugbundesamt geht diesen Vorwürfen nach", so erklärte ein Sprecher. Die Prüfung dieser Vorwürfe sei noch nicht abgeschlossen.
Angespanntes Verhältnis zwischen Verkehrsministerium und Volkswagen
Das Verhältnis von Scheuer und Diess gilt als extrem angespannt. Der CSU-Politiker ist verärgert darüber, dass Volkswagen die geplante Umrüstung von alten Dieselfahrzeugen mit Stickoxid-Katalysatoren torpediert, ausgerechnet in dem Moment, wo der Minister die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen geschaffen hat.
Hinzukommt, dass die sogenannte Umtauschaktion alter gegen neuer VW-Diesel nur schleppend läuft. So zumindest ist es aus dem Ministerium zu vernehmen. Dabei hängt von dem Erfolg dieser Programme ab, ob Scheuer den Zorn der Dieselfahrer wegen Fahrverboten in Dutzenden deutschen Städte noch abwenden kann.
Anfang dieser Woche kam es zwischen Scheuer und Diess, der in China weilte, zu einer Aussprache am Telefon. Ein heikles Telefonat, in dem sowohl der neuerliche Manipulationsverdacht als auch die Umtauschprogramme und die Dieselnachrüstung Thema waren. Dabei soll Scheuer dem Konzernchef nach Informationen des SPIEGEL eine gewichtige Zusage abgerungen haben. Die Konditionen des Prämienprogramms für den Umtausch alter Dieselfahrzeuge gegen neue, die bislang nur in den von Fahrverboten bedrohten Städten gelten, sollen auf die ganze Republik ausgeweitet werden.

Hohe Abgasbelastung: In diesen Städten gelten die Diesel-Rabatte
Außerdem soll Diess dem Minister versprochen haben, in den sogenannten Intensivstädten mit schlechter Luft den Kunden die freie Wahl zu geben, ihren Wagen einzutauschen oder ein Nachrüstsystem zu installieren. Sobald geeignete Anlagen von Fremdherstellern entwickelt und zugelassen sind, wolle der Konzern dafür bezahlen, bis zu 3000 Euro.
Stilllegung der betroffenen Fahrzeuge droht wohl nicht
Bereits im Herbst 2018 hatte Scheuer den drei deutschen Autokonzernen bei einem Spitzentreffen eine grundsätzliche Bereitschaft zum Zahlen dieser Nachrüstaktion abgetrotzt. Jetzt sind die Modalitäten mit VW besprochen.
Offiziell kommentieren will dies keine der beiden Seiten. "Zu etwaigen vertraulichen Gesprächen zwischen Herrn Diess und anderen Personen sowie deren Inhalt äußern wir uns grundsätzlich nicht", so Volkswagen auf Anfrage. "Angekommen ist der Wunsch des Ministers, dass die Hersteller bei den Prämien drauflegen und sie attraktiver machen", sagt allerdings ein hochrangiger VW-Manager, der nicht namentlich genannt werden will.
Das Entgegenkommen von Diess ist wohl vor allem ein Kuhhandel. Die Stilllegung der von der neuerlichen Manipulation betroffenen Fahrzeuge sei vom Tisch, heißt es aus Behördenkreisen. Es werde stattdessen einen amtlichen Rückruf mit Sofortvollzug geben. Das wäre für VW weitaus glimpflicher.