Vorwürfe gegen Hersteller Das Autokartell - Keimzelle des Dieselskandals

Bei den Kartellabsprachen der deutschen Autohersteller wurde offenbar auch der Grundstein für den Dieselskandal gelegt. Um welche technischen Details geht es dabei? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Auspuff (Symbolbild)

Auspuff (Symbolbild)

Foto: Hendrik Schmidt/ dpa

Was genau haben die Hersteller Problematisches vereinbart?

Wie aus der Akte, die dem SPIEGEL vorliegt, hervorgeht, haben sich die deutschen Autohersteller in etlichen Arbeitskreisen zu allen möglichen Aspekten ihrer Produktion eng abgestimmt - auch über die Größe der AdBlue-Tanks, die in ihren Fahrzeugen verbaut werden sollten. Damit hatten sie sich in eine technische Zwickmühle manövriert, die später zum Problem werden sollte.

Welche Funktion hat der AdBlue-Tank?

Modernere Dieselfahrzeuge vollziehen die Abgasreinigung mit sogenannten SCR-Systemen (Selective-Catalytic-Reduction-Systeme). Dabei wird in den Auspuff eine wässrige Harnstofflösung eingespritzt. Mithilfe des darin enthaltenen Ammoniaks werden dann im SCR-Katalysator die gefährlichen Stickoxide im Dieselabgas in ungefährliches Wasser und Stickstoff umgewandelt. Weil Harnstoff kein besonders attraktiver Name ist, wurde die reinigende Lösung "AdBlue" genannt, die in die sogenannten AdBlue-Tanks eingefüllt wird.

Harnstoff-Einspritzung (AdBlue) in den Abgasstrang eines Dieselfahrzeugs (Schaubild)

Harnstoff-Einspritzung (AdBlue) in den Abgasstrang eines Dieselfahrzeugs (Schaubild)

Foto: SPIEGEL ONLINE

Warum sind kleine AdBlue-Tanks problematisch?

Wie stark die Stickoxide im Abgas reduziert werden, hängt direkt von der Menge der eingespritzten AdBlue-Lösung ab. Eine intensive Einspritzung ergibt eine gute Reinigung, wird zu wenig eingespritzt, nimmt der Stickoxidanteil im Abgas wieder zu. Um die aktuell geltende Schadstoffnorm Euro 6 zu erreichen und die Stickoxide auf 80 Milligramm pro Kilometer zu senken, müssen im Schnitt fünf Prozent des Treibstoffverbrauchs an AdBlue beigemischt werden, je nach Fahrweise kann es auch etwas mehr oder etwas weniger sein. Aus der Größe des AdBlue-Tank ergibt sich also automatisch die Reichweite, die das Auto mit sauberen Abgasen erreicht: Bei einem Realverbrauch von sieben Litern auf hundert Kilometer wäre ein Achtliter-AdBlue-Tank also nach rund 2300 Kilometern leer.

Das hieße also, dass die Kunden bei rund jedem vierten regulären Tankvorgang auch den AdBlue-Tank hätten nachfüllen müssen. Ein bislang eher unkomfortabler Vorgang: Langsam halten an Tankstellen auch AdBlue-Zapfsäulen Einzug, vor allem für LKW. Aber bis dato musste man die AdBlue-Lösung noch in Kanistern kaufen und umständlich einfüllen. Dies wollten die Hersteller ihren Kunden offenbar ersparen und wählten einen anderen Weg.

Der Weg aus der Zwickmühle: Abgasreinigung abschalten?

Um den Harnstoffverbrauch zu senken und häufiges AdBlue-Nachtanken zu vermeiden, entschieden sich etliche Hersteller dazu, die Abgasreinigung im Realbetrieb deutlich einzuschränken. Die Fahrzeuge erfüllten bei den Labortests alle Anforderungen, lagen aber im Betrieb auf der Straße deutlich über den gesetzlichen Grenzwerten. Die bei VW von den US-Behörden gefundene sogenannte Abschalteinrichtung löste den Dieselskandal aus. Etliche andere Hersteller regelten ihre Abgasreinigung aber ebenfalls im Realbetrieb herunter und begründeten dies mit dem Motorschutz - ihre Systeme funktionierten nur in den sogenannten Thermofenstern, die manche Hersteller extrem eng definierten: So schalteten zum Beispiel mache Hersteller die Abgasreinigung schon bei Temperaturen von 20 Grad Celsius aus. Das Ergebnis: Im Straßenbetrieb stießen die Fahrzeuge mit abgeschalteter AdBlue-Einspritzung bei Tests zehnmal mehr Stickoxid aus als erlaubt. Dies führte in einigen Städten zu so hohen Stickoxid-Belastungen, dass dort nun Fahrverbote für Diesel drohen.

Warum bauten die Hersteller nicht einfach größere Tanks ein?

Es gab über diesen Punkt, wie aus den Akten hervorgeht, offenbar hitzige Diskussionen. Vor allem war es wichtig, Einheitlichkeit herzustellen. Wäre ein Hersteller ausgeschert und hätte einen deutlich größeren Tank verbaut, hätte das wohl Fragen bei den Abgasprüfbehörden aufgeworfen. Am Ende gingen, so steht es in den Akten, die Vertriebsleute in den herstellerübergreifenden Arbeitskreisen als Sieger aus den Debatten hervor. Den Platz, den man durch kleinere Tanks einspare, könne man für den Verbau teurer Stereoanlagen nutzen. Außerdem seien kleine Tanks günstiger, etwa achtzig Euro pro Fahrzeug. Angesichts des nun seit zwei Jahren über die ganze Branche hereinbrechenden Skandals und drohender Milliardenzahlungen eine Rechnung mit eklatantem Schönheitsfehler.

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