Aprilia 850 Mana Automatik-Motorrad sucht Zielgruppe
Präzises, punktgenaues Schalten gilt unter schnellen Bikern als eine Königsdisziplin. Verhinderte Moto-GP-Piloten, die sich bevorzugt am Rand des roten Bereichs bewegen, rüsten ihre Serienmaschinen deshalb gerne mit einer elektronischen Sehhilfe, dem sogenannten "Schaltblitz", auf. Der italienische Hersteller Aprilia baut nun ein Sport-Modell, das auf den ganzen Firlefanz komplett verzichtet: Die vollautomatische 850 Mana kommt seit Anfang des Jahres ohne Kupplung und ohne manuelles Schaltgetriebe daher. Ein erfolgreiches Konzept im Rollerbau, doch ist das noch ein Motorrad?
Während der ersten Kilometer auf der Mana ist der Phantomschmerz fast unerträglich. Beim Abbiegen an der Kreuzung, oder wenn sich der fließende Verkehr aufstaut, greift die linke Hand im Reflex ins Leere. Die suchenden Fingerspitzen melden Alarm, die Kopfhaut unter dem Helm brennt augenblicklich, und die Synapsen kreischen: Der Hebel ist weg! Das hört sich lustig an, ist es aber nicht, wenn man mit einem Bike mit immerhin 76 PS und über 230 Kilogramm Schubgewicht unterwegs ist.
Die Panik lässt bald nach und weicht erstaunlichem Fahrspaß. Die Mana fährt sich flüssig, ist wenig nervös beim entspannten Wedeln und erinnert agil, wie sie ist - etwas an die extreme Buell mit deren kurzem Radstand. Für große Fahrer über 1,80 ist sie fast zu kompakt gebaut; da steht der Tankrand dem Knieschluss im Wege.
Vielfältige Vollautomatik
Die Vielfalt der Schaltmöglichkeiten wahrlich sind allerdings irritierend. Im Selbstschaltmodus Sport Gear können mit dem Fußpedal sieben Gänge durchgeschaltet werden. Alternativ dazu funktioniert der Sport Gear-Modus auch über zwei Tasten an der linken Lenkerarmatur, eine Art Tiptronic, wie sie etwa Audi oder Citroen am PKW-Lenkrad anbieten. Weil die Mana keinen Drehzahlmesser hat, erinnert ein gelbes Warnlicht an der Armatur ans Hochschalten. In der Praxis hat man das Fußpedal schnell vergessen, ignoriert im Regelfall auch den Sport Gear und verlässt sich auf die Vollautomatik, die an Güte und Gutmütigkeit nicht zu überbieten ist.
Der Autodrive bietet drei verschiedene sogenannte Mappings, also von einer elektronischen Blackbox gesteuerte Fahrmodi an: Touring, Sport und Rain. Letzterer reduziert die verfügbare Leistung und das Drehmoment; die Mana fährt sich damit wie auf Valium was auf schlüpfligem Kopfsteinpflaster oder in verregneten Autobahnbaustellen neben einem LKW nicht das schlechteste aller Gefühle ist.
Sport-Mapping für rasante Fahrten
Über das Sport-Mapping, bei dem der Motor fast bis ans Ende des Drehzahlbandes ausgedreht wird, lässt sich trefflich streiten: Auf Strecken mit harten Steigungen und kurzen Serpentinen wird man es lieben, im norddeutschen Flachland oder in niederrheinischen Kreisverkehren ist es definitiv obsolet. Sportliches Fahren erledigt der Pilot ohnehin mit den Tasten am Lenker.
Im alltäglichen Fahrbetrieb oder für das lockere Gleiten über Landstraßen reicht der Touring-Modus, bei dem die Automatik ohne spürbaren Ruck die sieben virtuellen Gänge durchschaltet virtuell deshalb, weil das Getriebe vom Mutterkonzern Piaggio eigentlich stufenlos ist. Kompliment an die Entwickler und Programmierer: Der von Rollern bekannte Gummibandeffekt bei der Beschleunigung ist völlig verschwunden. Selbst grobes Drehen am Gasgriff beeindruckt die Mana nicht, Lastwechsel und eine schlackernde Kette sind unbekannt.
Ohnehin haben die Entwickler von Aprilia viel Hirnschmalz auf die Mana verwandt und sich witzige Details wie die Handbremse für den sicheren Stand auch am Berg ausgedacht. Wo bei anderen Motorrädern der Sprit eingefüllt wird, sitzt bei der Mana ein für Zweiradverhältnisse voluminöser Kofferraum mit großer Klappe. Dort lässt sich ein Integralhelm samt Regenzeug verstauen; die 12 Volt-Steckdose und ein Handy-Fach ist dort auch untergebracht. Der Tank liegt unter der geteilten Sitzbank; der Einfüllstutzen ist über das klappbare Soziusteil zu erreichen.
Kein ABS und kaum Käufer
Auch sonst ist die Mana State of the Art: modernes Design mit der derzeit bei italienischen Bikes unvermeidlichen Schlupfaugen-Scheinwerfer an einer 43er Upside-Down-Gabel und einem kühn geknickten Edelstahl-Schalldämpfer. Der wassergekühlte 90-Grad-V2-Viertakter, der übrigens auch im Gilera-Roller GP 800 verbaut wird, hängt in einem grazilen Gitterrohrrahmen. 17-Zoll-Räder mit einem 180er Breitreifen hinten werden von drei Scheibenbremsen locker beherrscht. Als Zubehör bietet Aprilia ein Kofferset mit Topcase sowie eine halbhohe Scheibe an.
Was der Mana fehlt, sind neben feineren Einstellungsmöglichkeiten für die Federung, einem serienmäßigem ABS und einem wartungsfreien Riemenantrieb die erhofften Käufer. Seit Anfang des Jahres hat Aprilia in Deutschland unter hundert Exemplare der Mana ausgeliefert; verkauft wurden noch weit weniger. Motorradautomatik ist Neuland - nicht im nur im technischen Sinne, sondern auch psychologisch betrachtet. Obwohl die vielseitige Mana alle Merkmale für ein erfolgreiches Motorrad besitzt, bleibt sie doch für viele Kaufinteressenten ein verkleideter Roller.
Doch in der Verkaufskrise von Aprilia liegt die charmante Chance für den potentiellen Käufer noch kann er handverlesener Erstbesitzer eines Automatik-Tourer, des Sendboten einer völlig neuen Motorrad-Klasse, werden.