
Autonomes Fahren im neuen A8: Audi plädiert für Steuerbefreiung
Autonomes Fahren im neuen A8 Audi ist ein Level weiter
Es ist Freitagnachmittag, auf der A 52 staut sich der Verkehr, mal wieder. Klaus Verweyen bereitet das keinen Verdruss: Er leitet bei Audi die Vorausentwicklung assistierter Fahrfunktionen, auch die des sogenannten "Staupiloten", der im neuen Flaggschiff der Marke, dem A8, zum Einsatz kommen soll. Der Stop-and-Go-Verkehr ist perfekt, um das System mit seinem Vorserienmodell zu demonstrieren. Verweyen legt die Hände in den Schoß, schaut auf den Monitor in der Mittelkonsole und folgt interessiert den TV-Nachrichten, danach surft er im Internet.
Assistenzsysteme, die dem Fahrer einen Teil seiner Aufgabe abnehmen, sind inzwischen weit verbreitet. Das neue am Audi-System: Bei ihm kann man sich anderen Dingen widmen. Der Staupilot geht damit einen Schritt weiter als die Assistenten, die man bei Marken wie BMW, Mercedes oder Tesla heute bekommt. Die können zwar in der Theorie fast alle das gleiche, sind aber nicht so ganz schlau und nicht ganz so redundant ausgelegt.
Andere Hersteller übernehmen für ihre "Assistenzsystem zur Entlastung des Fahrers" deswegen keine Haftung. Auch schlagen die schon nach wenigen Sekunden ohne Hände am Lenkrad Alarm. Audi dagegen steht in einer relativ klar definierten Stausituation erstmals voll für das System und seine Sicherheit ein und erteilt der Kundschaft damit tatsächlich eine Steuerbefreiung.
Kleiner Schönheitsfehler: Der Segen des Gesetzgebers fehlt noch
Für den Kunden ist diese Form des autonomen Fahrens, das unter den Experten als "Level 3" klassifiziert wird, neu. Leider fehlt noch der Segen der Gesetzgeber für die serienreife Technologie. Mit dem rechnen die Bayern innerhalb der nächsten zwei Jahre: "Die Politik hat ein großes Interesse an der Einführung", sagt Verweyen. Deswegen bietet Audi die Technik schon bald als Option an und schaltet sie im Zweifel nachträglich frei. "Ob wir das 'Over the Air' wie bei einem Smartphone-Update machen können oder der Kunde dafür kurz in die Werkstatt muss, ist noch nicht entschieden", sagt Verweyen.

Autonomes Fahren im neuen A8: Audi plädiert für Steuerbefreiung
In seinem Vorserienauto muss Verweyen nicht auf Gesetze warten. Er freut sich diebisch, als der Verkehr auf der A 52 zum Erliegen kommt und zwei weiße Klammern im digitalen Cockpit symbolisieren, dass der Staupilot jetzt einsatzbereit wäre. Danach genügt ein Druck auf den Knopf mit dem Kürzel "AI" für Artificial Intelligence in der Mittelkonsole. Der Staupilot ist angeschaltet, Verweyen kann abschalten.
Herumfummeln am Handy bleibt Tabu
Allerdings mit Einschränkungen: Herumfummeln am Handy oder Tablet-PC oder die Lektüre von Zeitschriften sind tabu, weil der Fahrer binnen zehn Sekunden wieder das Kommando übernehmen können muss. "Ein Nickerchen machen ist nicht erlaubt", sagt Verweyen. Deswegen gibt es auch eine nach innen gerichtete Kamera, die Kopf- und Blickbewegungen des Fahrers registriert. Alles, was ihm jedoch das Auto an Unterhaltung bietet, kann er bei aktiviertem Staupiloten uneingeschränkt nutzen.
Kein Wunder, dass Audi die Entertainer-Qualitäten des A8 nochmal kräftig aufpoliert hat: Auf dem Bildschirm in der Mittelkonsole kann man TV-Programme und Videos von der SD-Karte schauen oder im Internet surfen. Dank der Handschrifterkennung auf dem zweiten Touchscreen kann man E-Mails beantworten, über Whats-App chatten oder seine Kontakte in den sozialen Netzwerken pflegen. "Oder man kümmert sich um seinen Beifahrer," sagt Verweyen und dreht sich demonstrativ und dauerhaft zur Seite.
Währenddessen läuft das zentrale Fahrerassistenzsteuergerät (zFAS) unter dem Fahrersitz zu Hochform auf. Mit mehr Rechenleistung als alle Steuergeräte des Vorgängermodells zusammen analysiert und fusioniert es die Informationen von zwölf Ultraschallsensoren, vier Umgebungskameras, einer Frontkamera am oberen Rand der Windschutzscheibe, vier Mid-Range-Radaren an den Fahrzeugecken sowie einem Long-Range-Radar und einem Laserscanner.
Der neue A8 hat den Durchblick
Es hält den Wagen selbst dann in der der Spur, wenn die Markierungen fehlen. Dafür orientiert es sich ähnlich wie auch die Mercedes S-Klasse oder der Siebener BMW einfach am Vordermann, solange dessen Fahrweg plausibel erscheint. Unterstützt von der Bilderkennung für das gesamte Umfeld findet der A8 so auch seinen Weg durch Baustellen, selbst wenn gelbe und weiße Linien widersprüchlich sind oder die reflektierenden Klebestreifen nur noch wie so oft als Knäuel am Straßenrand liegen. Sinkt das Tempo unter 30 Km/h, schwenkt der A8 zum entsprechenden Rand der Spur und bildet eine Rettungsgasse.
Weil Laser und Radar kein Tageslicht brauchen und die Kamera im Scheinwerferlicht noch besser sieht, lässt sich das System auch von Dunkelheit nicht irritieren. Gegen Regen oder Schnee helfen beheizte Sensoren und ein Wischer vor dem Laser. "Es muss schon wirklich widriges Wetter sein, damit die Elektronik aussteigt", sagt Verweyen. "Und unter solchen Bedingungen will sich wahrscheinlich ohnehin niemand mehr autonom chauffieren lassen."
Weil Audi weiß, wie sensibel das System ist und erstmals die Haftung für Fehler während der Fahrt übernimmt, haben die Bayern viele Redundanzen eingebaut, zum Beispiel ein Notlauf-Steuergerät im Radarsensor sowie einen zweiten elektronischen Bremskraftverstärker. Wenn der Bordrechner trotzdem mal nicht mehr weiter weiß oder sich der Stau irgendwann auflöst, meldet sich der Staupilot ab und ruft den Fahrer zurück. Dabei garantiert Audi eine Übergabezeit von zehn Sekunden, in denen die Entwickler eine Kaskade von Übernahmeaufforderungen und Warnhinweisen inszenieren - vom dezenten "Bling" und der Einblendung im Cockpit über den Ruck mit Gurt und Bremsen bis hin zur Maximaleskalation: Der kontrollierten Notbremsung, bei der das Auto mit aktiviertem Warnblinker am Rand der jeweiligen Fahrspur abgestellt und nach 15 Sekunden automatisch ein Notruf abgesetzt wird.
570.000 Jahre Stau
Dass Audi das automatisierte Fahren zuerst auf der Autobahn und im Stau einführt, hat mehrere Gründe. Einen technischen, weil dieses Szenario von allen denkbaren Verkehrssituationen noch vergleichsweise einfach zu beherrschen ist. Und einen psychologischen, weil der Stau als einer der größten Plagen im Autofahrerleben empfunden wird.
"Wenn man alle Zeit zusammenzählt, stehen die Deutschen 570.000 Jahre im Stau. Und zwar jedes Jahr", sagt Stauforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen. Das durch den Staupiloten freigesetzte Zeitkontingent ist nicht der einzige Vorteil der Technologie: "Weil die meisten Staus durch menschliche Fehler wie zu dichtes Auffahren und danach zu heftiges Bremsen sowie das leidige Hüpfen zwischen den Spuren entstehen, können schon ein paar autonome Autos den Verkehrsfluss deutlich verbessern".
Für Männer wie Audi-Entwickler Verweyen ist das Segen und Fluch zugleich. Ein Segen, weil ihm das Rückenwind von der Politik gibt und auf eine schnelle Freigabe hoffen lässt. Und ein Fluch, weil sich das System damit irgendwann selbst überflüssig macht. "Denn je mehr Autos mit Staupilot unterwegs sind, desto weniger Staus wird es geben."