
Weltpremiere Audi A8: Dieses Auto massiert Ihnen die Füße
Weltpremiere A8 Diesen Audi werden Radfahrer lieben
Auf diesen Moment hat Marc Lichte seit vier Jahren hingearbeitet. Am Dienstag präsentierte der Designchef von Audi vor vielen Hundert Zuschauern das erste Serienmodell, das komplett unter seiner Regie entstanden ist. Das Auto, das auf dem sogenannten Audi Summit in Barcelona Weltpremiere feierte, ist aber nicht nur für Lichte von größter Bedeutung - es spielt für das ganze Unternehmen eine übergeordnete Rolle. Schließlich geht es hier um das Flaggschiff des Herstellers: den neuen Audi A8.
Wie groß die Erwartungen an die Luxuslimousine sind, machen die Ingolstädter selbst am deutlichsten: Der A8 soll "einen stilistischen Neuanfang einläuten", sagte Lichte vor der Präsentation. Der A8 soll "das Markenversprechen vom Audi-Slogan 'Vorsprung durch Technik' mit neuem Leben erfüllen", sagte Projektleiter Peter Fromm.
Das wäre schon in normalen Zeiten zwei ehrgeizige Ziele. Aber die Zeiten sind gerade alles andere als normal: Die Marke steckt ganz tief drin im Sumpf des VW-Abgasskandals - bei Audi soll die Betrugssoftware die in mehr als elf Millionen Dieselfahrzeugen aus dem Volkswagen-Konzern um Einsatz kam, entwickelt worden sein. Ein Motoreningenieur wurde vergangene Woche inhaftiert. Audi-Chef Rupert Stadler steht auf Abruf - er muss wohl seinen Platz räumen, sobald ein Nachfolger gefunden ist.

Versteckte Lüfterdüsen im Cockpit des neuen Audi A8
Foto: AudiBedienung wie auf dem Raumschiff Enterprise
Fest steht also, dass es bei dem Hersteller momentan um mehr als nur einen "stilistischen Neuanfang" geht. Aber immerhin: Dank des A8, der im Spätherbst zu Preisen ab 90.600 Euro auf den Markt kommt, können sie bei Audi auch mal wieder über Produkte reden statt nur über Probleme. Insofern bietet die Vorstellung des Wagens eine willkommene Abwechslung zur Vergangenheitsbewältigung.
Die Frage ist nur: Wie viel kann er zu einer besseren Zukunft von Audi beitragen?
Der erste Blick auf den A8 ist vielversprechend. Das Karosseriedesign zeigt vorne mal eine etwas frischere und wie in dieser Klasse üblich sehr stolze Interpretation des Single-Frame-Grills. Obwohl etwas höher als der Vorgänger, wirkt die neue Baureihe in der Seitenansicht jetzt schnittiger und sportlicher. Über das Heck zieht sich ein durchgehendes Leuchtenband. Zuletzt waren einige Modelle von Audi kaum noch voneinander zu unterscheiden - dieser A8 ist endlich mal wieder unverwechselbar.
Das Interieur hat Design-Chef Lichte radikal entschlackt. Das Cockpit ist so weit geschwungen, dass man kaum erkennen kann, wo die Türen aufhören und das Armaturenbrett beginnt. Dabei wirkt es ungewöhnlich schlank für ein Auto dieser Größe und Ausstattungstiefe. Aufgeräumt und edel sieht die Kommandozentrale aus: In der Mittelkonsole befinden sich gleich zwei riesige Touchscreens, und überall sonst sind berührungsempfindliche Sensorfelder verbaut.
Es sieht sogar so aus, als ob bei der Verbannung von Knöpfen und Schaltern auch die Klimaanlage gestrichen wurde - die Luftausströmer sind jedenfalls zunächst nirgends zu entdecken. Erst wenn das Auto in Bewegung ist und die Temperatur geregelt werden muss, öffnen sich kleine Blenden und geben die Sicht auf die Lüftung frei.
Fußmassage bei voller Fahrt
Weil dieser Audi wie seine Konkurrenten Mercedes S-Klasse und BMW 7er zur Gattung der typischen Vorstandslimo zählt, wurde auch der Fond entsprechend aufgemöbelt. Künftig können Besitzer des A8 sich von ihrem Auto eine Fußmassage verpassen lassen. Dazu öffnet sich eine Fläche auf der Rückseite des Beifahrersitzes, auf die man dann die Sohle stellt. Außerdem im "Schaut-mal-was-wir-alles-können"-Angebot: Matrix-Leseleuchten, deren Lichtkegel sich über ein Touchpad im Fond steuern lassen sowie Türgriffe, die schon auf eine leichte Berührung reagieren.
Neben diesen Spielereien hat der A8 aber auch ein paar Innovationen mit tieferem Sinn zu bieten: So führen die Bayern zum ersten Mal einen Mittenairbag ein, der sich beim Crash längs durch die Kabine spannt und verhindert, dass die Passagiere gegeneinanderprallen. Registriert die Elektronik einen drohenden Unfall, bockt sich das Fahrwerk außerdem in Sekundenbruchteilen um acht Zentimeter auf, um so die Knautschzone wirkungsvoller zu nutzen.
Und ein weiteres Sicherheitsfeature könnte den A8 sogar zum Lieblingsauto aller Fahrradfahrer machen: Nähert sich von hinten ein Radler, werden die Türen kurz blockiert - ein wirksamer Schutz gegen sogenannte Dooring-Unfälle.
Autopilot im Stand-by-Modus
Was das derzeit größte Zukunftsthema in der Automobilbranche angeht, hat der A8 aktuell nicht viel Neues zu bieten, dafür aber kräftig vorgesorgt: Denn einerseits hat der A8 die nötige künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) für das autonome Fahren nach Level 3 an Bord, bei dem sich der Fahrer auf bestimmten Strecken für längere Zeit mit anderen Dingen wie seinem Smarthphone oder einer Zeitschrift beschäftigen kann. Dummerweise aber hat der Kunde von diesem "AI Staupilot", der auf Straßen mit baulich getrennten Richtungsfahrbahnen und Geschwindigkeiten bis 60 km/h funktionieren soll, noch keinen Vorteil: Weil Audi einen eher konservativen Kurs fährt und weder im Betrieb noch bei den Behörden ein Risiko eingehen möchte, werden solche Features nur schrittweise und frühestens ab dem nächsten Jahr freigeschaltet, räumt Projektleiter Fromm ein.
Nicht ganz so innovativ ist Audi in den klassischen Disziplinen. So wird ausgerechnet der A8, der als erste Luxuslimousine mit einer Karosserie aus Aluminium zum Vorbild für Leichtbau wurde, jetzt wieder etwas schwerer. Rund 50 Kilo hat das neue Modell im Vergleich zum Vorgänger zugelegt. Der Grund dafür ist die Abkehr vom reinen Alu-Glauben: Der neue A8 entstand in Mischbauweise, bei der Stähle eine wichtigere Rolle spielen. Dadurch werde die Karosserie steifer und sicherer, heißt es bei Audi - aber eben auch schwerer. Hinzu kommt, dass die Limousine um einige Zentimeter auf eine Länge von 5,17 Metern gewachsen ist. Die L-Version des A8 misst sogar 5,30 Meter.
Bei den Motoren hat der Chef der Audi-Antriebsentwicklung Nikolai Ardey die Devise "Hybrid für alle" ausgegeben. Das klingt - ähnlich wie beim Konkurrenten Volvo - erst einmal nach Revolution, wird bei genauerer Betrachtung aber wortwörtlich etwas abgemildert: Denn es wird den A8 mit Dieseln und Benzinern geben, wie man sie zum Beispiel schon aus dem Q7 kennt. Los geht es mit einem V6 TDI mit 286 und einem V6 TFSI mit 340 PS. Ein Achtzylinder mit bis zu 460 PS und der auf 585 PS erstarkte W12-Motor sollen folgen. Neu ist, dass bei diesen Motoren ein Mild-Hybridsystem zum Einsatz kommt.
Schlauer Anlasser
Es basiert auf einem 48-Volt-Bordnetz. Dessen Herzstück ist ein sogenannter Riemen-Starter-Generator, der den herkömmlichen Anlasser ersetzt. Der Clou dabei: Der Generator kann den Motor beim Anfahren mit bis zu 60 Nm Drehmoment unterstützen, außerdem beim Bremsen Energie zurückgewinnen und in einem Lithium-Ionen-Pufferakku im Kofferraum speichern. Vor allem aber kann er den Motor schneller und komfortabler starten als jeder Anlasser: Denn der neue Generator bringt den Verbrenner direkt auf die erforderliche Drehzahl, bevor wieder Kraftstoff eingespritzt wird.
Daraus ergibt sich ein ganz anderes Motornutzungsverhalten: Die Steuersoftware schaltet das Triebwerk im Zusammenspiel mit dem Navigationssystem sowie der Frontkamera viel öfter aus. Zum Beispiel, wenn man bei Geschwindigkeiten zwischen 30 und 160 km/h den Fuß vom Gas nimmt - dann "segelt" der A8 und hält, allein über den Riemen-Starter-Generator angetrieben, die Geschwindigkeit. Rollt man in der Stadt oder im Stau dahin, zwingt die Start-Stopp-Automatik den Motor nicht erst bei Schritttempo oder Stillstand zur Ruhe, sondern schon bei 22 km/h. Sobald der Fahrer allerdings wieder Gas gibt, ist der Motor ohne die bisherige Gedenksekunde schnell und komfortabel wieder da: Das wirkt, sagen die Entwickler und stellen im Alltagsbetrieb Einsparungen von bis zu 0,7 Litern in Aussicht.
Audi will die Strategie der milden Hybridisierung, die jetzt beim A8 angestoßen wird, schrittweise auf alle Baureihen ausweiten. Branchenkenner Ferdinand Dudenhöffer sieht in dem neuen Flaggschiff deshalb ein wichtiges Signal, das zeige, wie die Marke trotz der selbstverschuldeten Probleme als innovativer Autobauer sichtbar bleibe. Dieses Auto allein reiche laut Dudenhöffer nicht aus, um die Stimmungslage zu drehen. Dazu benötige es schon ein umfassenderes Konzept für eine glaubhafte "Vorwärtsstrategie", die auch mehr umfasst, als eine Plug-in-Hybrid-Variante mit einer rein elektrischen Reichweite von 50 Kilometern, die für den A8 später nachgeschoben werden soll.
Hat Audi was dazugelernt?
Sehr viel interessanter als der Blick unter die Motorhaube ist deswegen auch der Blick unter den Tankdeckel der Dieselvarianten, genau genommen auf das Volumen des Tanks, dass sich am Ende des AdBlue-Einfüllstutzen befindet. Serienmäßig werden die neuen A8 mit Harnstofftanks mit einem Fassungsvermögen von 24 Litern ausgeliefert - beim Vorgängermodell waren es noch 17. Experten rechnen bei ordnungsgemäßer Funktion der Abgasreinigung mit einem AdBlue-Verbrauch von etwa fünf Prozent der Treibstoffmenge, je nach Fahrweise kann er auch höher oder niedriger liegen.
Bei einem Verbrauch von fünf Litern Diesel auf hundert Kilometer würde eine Tankfüllung AdBlue also rechnerisch für 9600 Kilometer reichen. Läge der Realverbrauch der schweren Limousine bei acht Litern, müsste der Harnstofftank schon nach 6000 Kilometern aufgefüllt werden. Ob das Audi seinen Kunden zumutet, wird viel über die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens aussagen: Der aktuelle A8 nämlich fiel durch einen verdächtig niedrigen AdBlue-Verbrauch und horrend hohe Stickoxid-Werte auf. Das ist bequem für die Kunden, schlecht für die Umwelt und ein Indiz für den Einsatz einer Abschaltvorrichtung - eingesetzt noch nach Bekanntwerden des VW-Skandals.
Ob Audi etwas aus dem Skandal gelernt und erkannt hat, dass man auch als Erfinder der Abschaltvorrichtung im VW-Konzern nun lieber die Finger von ihr lässt, wird sich also ziemlich einfach am AdBlue-Verbrauch des neuen A8 ablesen lassen. Immerhin: Der Tank ist schon mal größer.