Auto-Verbrauchswerte Gute Kurven, schlechte Kurven
Eine gute Emissionskurve sieht so aus: Kurz nach Testbeginn steigt sie leicht an, dann verweilt sie auf niedrigem Niveau, weit unterhalb jeglichen Grenzwerts. Die böse dagegen schießt nach wenigen Sekunden fast senkrecht nach oben. Beide Kurven stammen vom selben Auto und zeigen die gleiche Schadstoffklasse, nämlich Kohlenwasserstoffe. Einziger Unterschied: Die gute Kurve stammt von einem warmen Motor, die böse von einem kalten.
Das Beispiel zeigt: Bei der Debatte um Auto-Emissionen reicht es nicht, über Grenzwerte zu sprechen. Es geht auch darum, wie die Werte zustande kommen. Bislang existiert ein ganzer Zoo an Zyklen, die das Alltagsfahrverhalten auf Rollenprüfständen simulieren sollen.
Für die Typzulassung in den USA muss ein Fahrzeug sechs verschiedene Zyklen durchlaufen. Die Europäer messen Abgase und Verbrauch seit 1996 im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), Japan hat eigene Regeln, die Autoclubs natürlich auch. Die Zyklen haben direkten Einflussauf die Motorauslegung.
"Der US06-Test ist die größte Herausforderung für Dieselmotoren", sagt der für Abgaszertifizierung zuständige Daimler-Manager Klaus Land. Die scharf gefahrene Highway-Strecke verlangt den Motoren sehr viel ab. Was dem Benzin-Motor frommt - der Katalysator kommt schnell auf Betriebstemperatur -, macht dem Diesel zu schaffen: Er erzeugt unter diesen Bedingungen viel Stickoxid (NOX). Selbst anerkannte Öko-Diesel wie der Polo Blue Motion scheitern an dieser Hürde. Deshalb rüsten VW, Audi und Mercedes ihre für den US-Markt bestimmten Diesel notgedrungen mit teuren Stickoxid-Speicherkatalysatoren aus.
Auch bei der Klimaanlage sind die Amerikaner strenger. Zu ihrem Zyklus mit 35 Grad Außentemperatur, künstlicher Sonneneinstrahlung und eingeschalteter Klimaanlage gibt es in der EU kein Pendant. Heinz Steven, der beim TÜV Nord Testzyklen entwickelt, hält die Angaben hiesiger Hersteller zum CO2-Ausstoß deshalb für "best case"- Werte. Die Eidgenössische Materialprüfanstalt der Schweiz hat festgestellt, dass die Klimaanlage schon bei 30 Grad Außentemperatur zwischen 14 und 30 Prozent Mehrverbrauch verursacht. Umstritten ist auch die Höchstgeschwindigkeit. Der NEFZ endet schon bei Tempo 120. Dem ADAC reicht das nicht, er fährt zusätzlich einen Autobahnzyklus mit Vollgas-Beschleunigungen und 130 Spitze. Mehrverbrauch: 0 bis 20 Prozent.
"Wir erheben nicht den Anspruch, dass unser Fahrzyklus wissenschaftlich hoch belastbar ist", sagt Martin Rempfer vom ADAC-Testzentrum, "aber die Rückmeldungen aus der Praxis zeigen: Er kommt recht gut hin." Die Höchstgeschwindigkeit ist vor allem deshalb kritisch, weil Autohersteller in den Frühzeiten der Katalysator-Technik bei hoher Leistung gern die Abgasregelung abschalteten und zusätzliches Benzin einspritzten die berüchtigte "Volllastanreicherung", die durch zahme Fahrzyklen unentdeckt blieb. Heute spielt das Thema keine Rolle mehr. "Das würden wir merken", sagt Rempfer. Trotzdem haben Fahrzyklen bei manchem Hersteller schon für beachtliche Kreativität gesorgt. TÜV-Experte Steven verbürgt sich dafür, dass folgende Geschichte tatschlich vorgefallen ist:
Ein Autobauer machte sich die Tatsache zunutze, dass Prüfstand-Tests meist mit offener Motorhaube gefahren werden, und verband die Motorsteuerung mit einem Sensor für die Haube. Stand sie offen, schaltete der Wagen brav auf ein Spar-Programm. Mit dem NEFZ fallen auch subtilere Tricksereien besonders leicht. Denn anders als die US-Zyklen ist er nicht einer realen Fahrt nachgebildet, sondern wurde als Mischung von Fahrzuständen konstruiert was den Prüfzyklus deutlich als solchen erkennbar macht.
"Ich mag diesen Zyklus gar nicht. Beim NEFZ können Sie ein Auto sehr einfach darauf einstellen, dass während des Zyklus die Priorität auf die Stickoxide gelegt wird und außerhalb auf den Benzinverbrauch", sagt Steven. Früher habe es sogar Motormanagement-Systeme gegeben, die darauf programmiert waren, einen Zyklus zu erkennen und dann auf einen Sparmodus umzuschalten. Wegen solcher Tricks gewinnen nun die "Off-Cycle-Emissionen" an Bedeutung: In den USA wird darüber diskutiert, die Hersteller zu verpflichten, auch jenseits des Zyklus innerhalb eines gewissen Korridors zu bleiben.
ADAC-Tester Rempfer nimmt die Autobranche allerdings vor dem Vorwurf in Schutz, immer nur die Minimalanforderungen im Blick zu haben. "Alle Fahrzeuge werden natürlich so gebaut, dass sie im Zyklus gut sind. Das heißt aber nicht, dass sie außerhalb schlecht sind." Alle Versuche, die Fahrzyklen weltweit zu vereinheitlichen, sind bisher gescheitert. Das Fahrverhalten der Kunden, heißt es, sei regional unterschiedlich. Bei genauerem Hinsehen stimmt das nur bedingt. Obwohl in Europa dynamischer Gas gegeben wird, haben die USA mit dem US06 den aggressiveren Zyklus im Programm. Was die Sache zusätzlich kompliziert macht: Zyklen sind eng mit den entsprechenden Grenzwerten verknüpft.
Beim NEFZ, hat Daimler ermittelt, sind die NOX-Werte bei Dieselmotoren nur halb so hoch wie beim US-Stadtzyklus FTP 75. Würden die Europäer nun die US-Fahrzyklen übernehmen, müssten sie auch höhere Emissionen erlauben, weil sonst plötzlich viele bereits zugelassene Modelle durchfallen würden. "Das lässt sich politisch nicht verkaufen", meint Steven. Auch die europäische Industrie ist sich uneinig. Nur Hersteller, die wirklich weltweit im Geschäft sind, würden von einheitlichen Zyklen profitieren. Immerhin: Die United Nations Economic Commission for Europe entwickelt derzeit weltweit einheitliche Fahrzyklen für schwere Nutzfahrzeuge und Motorräder, auf deren Basis die Staaten eigene Grenzwerte festsetzen können. Ob und wann es so etwas auch für Pkw geben wird, steht in den Sternen.
© Technology Review , Heise Zeitschriften Verlag, Hannover