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Autonome Autos: Freihändig fahren

Foto: Audi

Autonome Autos Jetzt fährt's los

Endlich dürfen auch in Deutschland ohne Bürokratie-Wahn autonome Autos getestet werden, ein Teilstück der A9 soll sogar zur Teststrecke für Geisterfahrten werden. Doch damit sind nur die ersten Hürden auf dem Weg zum Auto-Piloten genommen.

Mit zwei blaugrünen Tasten am Lenkrad des Audi kann man sich in die Zukunft katapultieren. Zumindest die des Autofahrens. Werden diese Knöpfe gedrückt, übernimmt der Autopilot das Kommando und der A7 rollt ganz ohne Zutun des Fahrers weiter. Das Besondere daran: Er tut es nicht auf einer abgeriegelten Teststrecke und auch nicht auf einem einsamen Highway in Nevada. Sondern mitten im Berufsverkehr auf der A9 zwischen Ingolstadt und Nürnberg.

Was die Reise zudem von früheren Testfahrten unterscheidet, ist das Gefühl des Alltäglichen, das sich dabei einstellt: Selbst wenn der Autopilot nur auf der Autobahn funktioniert, auf 130 km/h limitiert ist und er 15 Sekunden vor einer Baustelle "Bitte übernehmen Sie das Steuer" ruft, mag man kaum glauben, dass man dieses System nicht schon längst kaufen kann.

Aber genau darin liegt das Problem: Denn so normal autonomes Fahrern mittlerweile scheint, so weit ist es noch von der Serienreife entfernt. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Einige davon können die Autohersteller jedoch nicht direkt beeinflussen.

Die Technik jedenfalls haben die Ingenieure im Griff. Die nötigen Sensoren sind bereits weitgehend im Serieneinsatz. Und dass die Rechner noch den ganzen Kofferraum beanspruchen, scheint ein lösbares Problem. Audi zum Beispiel hat bereits ein Fahrerassistenz-Steuergerät vorgestellt, in dem künftig all die Elektronik vereint wird, die bei dem Testwagen, der auf der A9 unterwegs ist, noch hinter der Rückbank montiert ist.

Auch die Frage nach der sogenannten Übergabezeit ist grob geklärt: Je mehr Freiheit man dem Fahrer lässt, desto mehr Zeit muss man ihm einräumen, bis er das Ruder wieder übernehmen kann. Daimler kalkuliert dafür zum Beispiel beim autonomen Highway-Laster der US-Tochter Freightliner, der seit ein paar Wochen durch Nevada fährt, mit etwa fünf Sekunden. Audi-Projektleiter Bernd Rössler glaubt, dass er mit den vorhandenen Sensoren Vorwarnzeit von bis zu zehn Sekunden hinbekommt. Wenn es mal brenzlig werde, könne sich die Übergabezeit auch weiter verkürzen, und zwar ohne Vorwarnung, sagt er.

"Über kurz oder lang werden wir Kameras oder Sensoren brauchen, die den Fahrer auch dann überwachen, wenn er nur als Passagier unterwegs ist", sagt Martin Zeiling, der bei Daimler die Vorausentwicklung der Lkw leitet. Außerdem haben Audi wie Daimler eine Notfall-Routine programmiert: Übernimmt der Fahrer auch nach Aufforderung nicht das Steuer, werden die autonomen Fahrzeuge erst langsamer und bleiben dann mit Warnblinker stehen.

Wer trägt die Verantwortung - Fahrer oder Hersteller?

Ein komplexeres Problem ist die ethische und die rechtliche Beurteilung des autonomen Fahrens. Wenn die Elektronik im Notfall entscheiden muss, ob sie das Auto gegen einen Baum fahren lässt oder einen Passanten überrollt oder ob ein Radfahrer weniger "wert" ist als ein Kinderwagen. Juristisch ist zudem zu klären, wer in so einem Fall die Verantwortung trägt: Der Fahrer oder der Fahrzeughersteller.

Ach ja, und die Verkehrsregeln müssten auch noch geändert werden. Denn nach wie vor gilt das Wiener Abkommen von 1968, das autonomes Fahren im Alltag kategorisch ausschließt. "Allerdings wurde diese Reglung im vergangenen Jahr bereits so angepasst, dass es möglich ist, einem Assistenzsystem die Fahrverantwortung unter der ständigen Kontrolle eines anwesenden Fahrers zu überlassen", sagt Wolfgang Bernhart von der Strategieberatung Roland Berger in München.

Zumindest für den Testbetrieb gibt es mittlerweile offenbar eine Lösung in Deutschland: "Solange es um die Erprobung von Assistenzsystemen geht und von uns zur Not immer einer eingreifen kann, dürfen wir hier bereits fast alles machen ", sagt Audi-Mann Rössler. Füllte der amtliche Schriftverkehr für die autonome Jungfernfahrt der S-Klasse vor zwei Jahren noch mehrere Leitz-Ordner, schickt Audi den A7 jetzt schon ganz ohne Papierkram zu seiner Geisterfahrt. Und auch Mercedes-Truck-Chef Wolfgang Bernhard hat bereits angekündigt, dass es Versuche wie mit dem Freightliner Inspiration Truck aus Nevada bald auch bei uns geben wird.

Die Sache mit den Schlaglöchern

Was man zum autonomen Fahren allerdings noch braucht, ist eine optimierte Infrastruktur, sagt Christian Senger. Er leitet beim Zulieferer Continental die Vorentwicklung des Automotive-Bereichs und fordert "maschinenlesbare Strecken". Denn wo Fahrspuren verblasst oder Baustellen nicht richtig gekennzeichnet sind und man von einem Schlagloch ins nächste fährt, da wird ein vollautomatisiertes Fahrzeug auch in zehn Jahren noch die Hilfe des Fahrers anfordern - oder erst gar kein autonomes Fahren anbieten, ist der Experte überzeugt.

Das ist der Grund, weshalb die gesamte PS-Branche auf Projekte wie das "Nationale Testfeld" hofft, das Verkehrsminister Dobrindt auf der A9 einrichten will. Dabei geht es um die Aufrüstung der Straße: Einheitliche Beschilderung, erkennbare Fahrstreifen und Kommunikationsknotenpunkte. Denn wenn zum Beispiel die Wanderbaustelle kurz vor Greding ihren Standort dem A7-Testwagen gefunkt hätte, wäre er auch nicht von der Fahrspurverengung hinter einer Kurve überrascht worden und hätte beinahe eine Vollbremsung hinlegen müssen.

"Vor allem die Funk- und Online-Knotenpunkte werden für bestimmte Automatisierungsgrade unabdingbar sein", glaubt Christian Senger von Continental. Zwar funktioniert assistiertes Fahren auch ohne Datenaustausch, der Freightliner Inspiration Truck beispielsweise braucht dafür nicht einmal GPS-Signale oder eine Navigation, sondern setzt allein auf Radarsensoren und Kameraaugen. "Doch wer auf weiten Strecken zuverlässig autonom fahren will, der muss wissen, wie es um die Fahrbahn bestellt ist. Das funktioniert nur über den Online-Austausch wahlweise mit der Infrastruktur oder anderen Fahrzeugen oder im besten Fall mit beidem," so Senger.

Das Steuer aus den Händen geben wird nicht einfach

Es gibt allerdings noch einen weiteren, zutiefst menschlichen Faktor, der das autonome Fahren ausbremst. Denn so eindrucksvoll die Demonstration des technisch Möglichen auch sein möge, müssten die Menschen erst einmal Vertrauen in solche Systeme fassen, sagt Continental-Mann Senger.

Zeit dafür werden sie aller Voraussicht nach genügend haben. Frühestens in zehn Jahren, so die einhellige Meinung der Hersteller, wird man - zumindest auf der Autobahn und bei Richtgeschwindigkeit - tatsächlich führerlos fahren können. Bis das auch in der Stadt und auf Landstraßen klappt, dürfte es noch viel länger dauern.

Zusammenfassung: Wie in einigen US-Bundesstaaten dürfen jetzt auch in Deutschland autonome Autos ohne großen bürokratischen Aufwand fahren. Damit schließt der Gesetzgeber langsam zu den Fahrzeugherstellern auf - denn die Technik für die selbstfahrenden Autos ist bereits weit entwickelt, rechtliche, ethische und versicherungstechnische Fragen sind jedoch weiter ungeklärt.

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