Fotostrecke

Autonomes Fahren: Die große Freiheit

Foto: Daimler

Verkehrsplanung "Selbstfahrende Autos sind eine Chance für die Stadt"

Autofahrer sollen in Zukunft das Steuer aus der Hand geben. Verkehrsplaner wie Konrad Rothfuchs sehen im autonomen Fahren eine große Chance - auch für Fußgänger. Wo heute Pkw die Städte verstopfen, könnten morgen Cafés entstehen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Rothfuchs, Sie sind einer der wichtigsten Verkehrsplaner in Deutschland. Wie sind Sie heute ins Büro gekommen?

Rothfuchs: Wie wichtig ich bin, weiß ich nicht, aber ich bin heute mit dem Auto da.

SPIEGEL ONLINE: Hätten Sie sich gewünscht, dass Ihr Wagen ohne Ihre Hilfe den Weg in die Hamburger Innenstadt gefunden hätte?

Rothfuchs: Absolut, die Situation im Straßennetz ist momentan sehr angespannt. Überall in der Stadt wird gebaut. Das automatisierte Fahren hätte meinen Morgen anders aussehen lassen. Nun muss ich im Büro noch Dokumente lesen, was ich im Auto der Zukunft längst erledigt hätte. Ganz nebenbei: Wäre ich mit der S-Bahn gefahren, hätte ich diese Vorteile schon heute gehabt.

Zur Person
Foto: Tom Roelecke

Konrad Rothfuchs, geboren 1962, ist Vorsitzender des Koordinierungsausschusses der Bundesvereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure (BSVI). Er ist in nationale und internationale Straßenbauprojekte involviert und hat unter anderem das Radverkehrskonzept für die HafenCity in Hamburg sowie ein Logistikkonzept für das innerstädtische Ikea-Kaufhaus in Hamburg-Altona entwickelt.

SPIEGEL ONLINE: Sie beschäftigen sich mit autonom fahrenden Autos. Ist das nicht Sache der Autoindustrie?

Rothfuchs: Autonom fahrende Autos sind eine große Chance für die Stadt.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Rothfuchs: Durch das automatisierte Fahren werden sich die Abstände zwischen den Fahrzeugen verkürzen, sodass die gleiche Anzahl von Autos mit weniger Grünzeit an den Ampeln abgewickelt werden kann. Von dieser gewonnenen Zeit können die Fußgänger und Radfahrer profitieren. In 20 bis 25 Jahren könnten dann diese schrittweise gesammelten Leistungsreserven z.B. für einen Rückbau von mehrstreifigen Straßen genutzt werden. Noch ist das Zukunftsmusik. Aber wenn wir diese Chancen jetzt nicht erkennen und keine langfristige Strategie entwickeln, werden die zusätzlichen Autos die entstehenden Freiräume wie selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Wir werden dann künftig weiterhin in Städten leben, die vom Kfz-Verkehr dominiert werden.

SPIEGEL ONLINE: Nach dem Zweiten Weltkrieg galten Stadtautobahnen als große Errungenschaft...

Rothfuchs: Damals waren aber auch weniger Autos unterwegs. In den frühen Fünfzigerjahren gingen die Planer davon aus, dass 800 Fahrzeuge pro Stunde und Fahrstreifen durch die Stadt fahren. Heute liegt die Kapazität bei 1800 bis 2200 Fahrzeugen pro Stunde. Die europäische Stadt besitzt traditionell eigentlich einen menschlichen Maßstab, den wir wieder mehr herausstellen müssen. Dies ist schon daran zu erkennen, dass sich heute viele Gebäudeeingänge von den Hauptverkehrsstraßen abwenden. Es gibt dort kein Leben, keine Cafés - wie auch?

SPIEGEL ONLINE: Warum sind Sie sich so sicher, dass die Menschen selbstlenkende Autos akzeptieren werden und das Steuer freiwillig aus der Hand geben?

Rothfuchs: Die Gesellschaft merkt, dass der Fahrspaß in der Stadt und auch auf der Autobahn stark abnimmt. In 80 Prozent der Situationen ist der Fahrer bereits heute nicht mehr selbstbestimmt. Im Stau will ich telefonieren, aufs Smartphone gucken oder arbeiten. Es ist doch nervig, im Schritttempo dem anderen Auto zu folgen. Und im Zweifel entscheide ich mich stets für die falsche Spur - wie an der Einkaufskasse im Supermarkt. Google geht mit seinem Konzept vielleicht aber zu weit und sollte noch einmal darüber nachdenken, ob ein Auto ohne Lenkrad die Individualität nicht zu stark zurückdrängt.

SPIEGEL ONLINE: Wie viele neue Freiräume erwarten Sie denn, wenn Autos autonom durch die Stadt fahren?

Rothfuchs: Die Kapazitätssteigerungen, die durch das automatisierte Fahren in der Stadt entstehen werden, sind noch nicht untersucht. Studien des US-Militärs gehen davon aus, dass auf den Highways bis zu viermal mehr autonome Autos fahren könnten als konventionelle Fahrzeuge. In der Stadt bzw. im städtischen Verkehr werden die Auswirkungen deutlich geringer ausfallen. Aber schon eine Reduktion um 10 bis 20 Prozent, was ungefähr dem Rückgang des Verkehrsaufkommens während der Sommerferien entspricht, kann auf den Straßenraum sehr entspannend wirken.

Grafik zum automatisierten Fahren: Mehr Freiräume dank neuer Technik

Grafik zum automatisierten Fahren: Mehr Freiräume dank neuer Technik

Foto: ARGUS

SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht genau die große Gefahr? Die Autohersteller wollen immer mehr Autos verkaufen - und das autonome Fahren ermöglicht es ihnen. Der Verkehr wird zu- und nicht abnehmen.

Rothfuchs: Ich will den Autoherstellern nichts unterstellen, aber die Vermutung liegt natürlich nahe. Aktuell ist es so, dass der Pkw-Verkehr in den großen deutschen Städten konstant bleibt oder sogar leicht abnimmt. Das Straßennetz ist einfach komplett ausgelastet. Mit meinem Appell, jetzt neue Strategien für die Zeit des autonomen Fahrens zu entwickeln, ziele ich genau auf diese Sorge ab: Die entstehenden Freiräume dürfen nicht wieder mit Kraftfahrzeugen aufgefüllt werden, sondern sollten für andere Nutzungen quasi angespart werden, um später, wenn genug Reserven gesammelt wurden, z.B. einen Rückbau von Verkehrsflächen zu ermöglichen. Das ist auch politisch tragbar.

SPIEGEL ONLINE: Unterschätzen Sie da nicht die starke Autolobby in Deutschland? Die Politik scheut, das Auto zurückzudrängen...

Rothfuchs: Zum einen werden hierbei die Autos ja nicht zurückgedrängt, sondern es wird verhindert, dass noch mehr Autos durch die entstehenden technischen Möglichkeiten auf den vorhandenen Straßen fahren. Zum anderen wird Mobilität heute schon anders gelebt. Dieser Trend von jungen Menschen in den Städten, die das Auto nicht als wichtiges Gut für ihre Lebensentwürfe sehen, wird sich weiter verstärken.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet diese Trendwende beim Autobesitz für die Verkehrsplanung?

Rothfuchs: Zum einen wären nicht mehr so hohe Investitionen in den Straßenbau nötig. Setzt sich das autonome Fahren so schnell durch wie von der Autoindustrie prognostiziert, können wir bereits in 20 bis 25 Jahren deutliche Verbesserungen für Fußgänger und Radfahrer ermöglichen, ohne dass die heutige Kfz-Nutzung deutlich zurückgedrängt werden muss. Besonders bei Autobahnen bräuchten wir manchen Ausbau nicht, der heute noch erforderlich ist. Wir müssen aber bereits heute damit anfangen, die Strukturen an diese freien Kapazitäten anzupassen. Wenn an der Ampel durch neue Technologien mehr Autos schneller abgefertigt werden können, sollte dieser Zeitgewinn Radfahrern und Fußgängern zugutekommen. Wenn wir damit erst in fünf oder zehn Jahren anfangen, dann ist es vielleicht schon wieder zu spät, und die Chance auf eine andere Stadtgestaltung ist vertan.

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten