

Das Ding sieht aus wie eine Raumfähre. Doch SEFT-1 wurde nicht konstruiert, um fremde Galaxien zu erforschen. Es ist eher umgekehrt: Das Gefährt wurde gebaut, um längst vergessene Wege durch eine vergangene Welt zu erkunden. Mit vollem spanischen Namen heißt das Ding Sonda de Exploración Ferroviaria Tripulada - übersetzt etwa: bemannte Eisenbahn-Forschungssonde.
Mit ihr sind die mexikanischen Künstler Ivan Puig und Andrés Padilla Domene ein Jahr lang über verlassene Eisenbahnstrecken in ihrem Heimatland gefahren. Die Mission: Den gesellschaftlichen Wandel dokumentieren, der einsetzt, wenn ganze Landstriche von zentralen Verkehrsadern abgeklemmt werden.
Die beiden wollten auf genau den Trassen unterwegs sein, die nach der Privatisierung des Eisenbahnnetzes von Mexiko im Jahr 1996 nicht mehr befahren werden: von der damals 26.000 Kilometer langen Infrastruktur wurden seitdem fast 9000 Kilometer stillgelegt. "Dafür brauchten wir ein Fahrzeug, das uns diese verlassenen und verfallenen Strecken mit all unserer Ausrüstung und all unseren Fragen zugänglich machen konnte", sagt Puig in einem Internet-Video. SEFT-1 ist genau dieses Fahrzeug.
"Fremde Welt vor unserer eigenen Haustür"
"Wir haben eine Raumfähre gebaut, ein Forschungsfahrzeug, das uns auf eine Expedition in die fremde Welt vor unserer eigenen Haustür bringt", erzählen die beiden. Klingt ein bisschen nach Mars-Rover "Curiosity", war im Grunde aber einfachster Karosseriebau. Unter der kantigen Aluminium-Karosse im Flash-Gordon-Design steckt ein ausrangierter Ford F-150 der mexikanischen Eisenbahngesellschaft.
Der Pick-up war schon vor dem Einsatz als Expeditionsmobil mit einem Extra ausgerüstet, das den beiden Künstlern perfekt in den Plan passte: einem Zwei-Wege-Antrieb. Zusätzlich zu den Straßenreifen lassen sich an einer speziellen Führung vier Stahlräder herunterklappen, mit denen SEFT-1 auch auf Schienen fährt. So konnten Puig und Domene tatsächlich den Originalrouten folgen und mussten nur dort von den Gleisen abweichen, wo Trassen zugewuchert, Brücken eingestürzt oder Tunnel verschüttet waren.
"Ein Jahr lang waren wir mit SEFT-1 unterwegs. Wir habe im Fahrzeug geschlafen, gegessen und gelebt. Wie Astronauten in ihrer Raumkapsel", berichtet Puig. "Nur, dass wir nicht im Weltall, sondern auf Schienen gereist sind. Deshalb nennen wir uns jetzt Ferronauten."
Bedrückende Reisesouvenire
Die Ferronauten sind längst zurückgekehrt von ihrer Zeitreise auf Schienen. Mitgebracht haben sie Artefakte, Anekdoten, Geschichten und faszinierende Fotos. Sie dokumentieren den Niedergang, der nach der Stilllegung der Schienennetze in den abgeschnittenen Regionen einsetzte. Die ergreifendsten Bilder werden derzeit in der Furtherfield Gallery in London ausgestellt. Natürlich parkt dort auch das silberne Gefährt der beiden, die SEFT-1.
In Europa könnten Puig und Domene gleich weitermachen mit ihrer ganz speziellen Art der Kulturforschung. Denn wahrscheinlich gäbe es in den britischen Midlands oder auch in Mecklenburg-Vorpommern genügend stillgelegte Bahnstrecken, um ähnliche Studien zu betreiben und vergleichbare Fotos zu schießen. Doch so schnell wird es dazu nicht kommen: SEFT-1 ist nach vielen tausend Kilometern durch Dschungel, Hochland und Sierras mittlerweile so fragil, dass sie nur noch ganz vorsichtig geschoben werden darf.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
SEFT-1: Dieses bizarre Gefährt ist das Werk der mexikanischen Künstler Ivan Puig und Andrés Padilla Domne, die sich Ferronauten nennen. Die beiden waren mit dem umgebauten Ford Pick-up ein Jahr lang auf stillgelegten Bahngleisen in Mexiko und Ecuador unterwegs.
Auf rostigen Pfaden: Rund 9000 Kilometer stillgelegte Bahntrassen gibt es in Mexiko. Seit der Privatisierung der Eisenbahn ihm Jahr 1996 wurde der Personenverkehr nahezu komplett eingestellt und gut ein Drittel des Schienennetzes nicht mehr genutzt.
Lok mit Lenkrad: Ein Blick in den Führerstand des SEFT-1, der allerdings immer dann zum Auto-Cockpit wurde, sobald die Bahnstrecke nicht mehr befahrbar war. Dann verließ das Ferromobil die Gleise und kurvte durchs Gelände, bis der Schienenstrang wieder weiterging.
Neben der Spur: Der umgebaute Ford Pick-Up neben den Gleisen. Immer wieder mussten marode Brücken, eingefallene Tunnels oder abgesackte Bahntrassen umfahren werden.
Abenteuerliche Streckenführung: Auf Gleisen wie diesen war seit fast 20 Jahren kein Zug mehr unterwegs - bis jetzt die Ferronauten kamen.
Zwei-Wege-Antrieb: Auf diesem Foto sind die ausklappbaren Eisenbahnräder gut zu sehen. Das Fahrzeug war ehemals für die mexikanische Eisenbahngesellschaft im Einsatz und daher von vornherein mit einem Zwei-Wege-Antrieb ausgestattet.
Fehlender Anschluss: Esperanza - Hoffnung - heißt diese Bahnstation, an der sich die Bewohner fürs Foto aufgestellt haben. Seit jedoch kein Zug mehr hierherkommt, ist die Region eher von Hoffnungslosigkeit geprägt.
Leben auf Schienen: Ein Jahr lang waren die beiden mexikanischen Künstler auf Tour. Während der Reise schliefen, kochten und aßen sie natürlich auch in ihrem seltsamen Schienenfahrzeug.
Unterwegs: "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo" sang einst Christian Anders. Das Lied kennen die beiden Mexikaner wohl nicht, das darin beschriebene Gefühl aber ganz sicher.
Begegnung in der Sierra: Die Künstler verstanden sich als Forschungsreisende in eine vergangene Zeit, auf den Spuren des damaligen Fortschritts. Heute begegneten ihnen auf der Reise sehr oft Armut und Resignation.
Ausstellung in London: Das Foto zeigt das SEFT-1 auf dem Weg in die Furtherfield Gallery in London, wo das Fahrzeug und etliche Bilder der Reise derzeit ausgestellt sind.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden