
Bildband über Tankstellen: Tankstellen aus 130 Jahren
Bildband über Tankstellen Die Zapfsäulen der Erde
Der erste Tankwart der Welt war ein Apotheker. Und der staunte vermutlich nicht schlecht, als am 5. August des Jahres 1888 eine Frau seinen gesamten Vorrat an Ligroin (Waschbenzin) aufkaufte. Was der Apotheker nicht wusste: Es war Bertha Benz, Frau des Erfinders Carl Benz, der drei Jahre zuvor das Patent für das erste Automobil mit Verbrennungsmotor angemeldet hatte.
Bis dato war dessen Erfolg durchwachsen, "die Straße gehört den Pferden", hieß es beispielsweise in der Presse. Carl Benz wollte schon aufgeben, doch eines Morgens schnappte sich seine Gattin den Wagen und begab sich auf die erste Überlandfahrt der Automobilgeschichte: 106 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim. Weil der Tank des knatternden Prototyps viel zu klein war für so lange Strecken, sorgte Bertha Benz sozusagen im Vorbeifahren dafür, dass im baden-württembergischen Wiesloch die erste Tankstelle der Welt entstand.
Der Wieslocher Apotheke und ihren Nachfolgerinnen wird in einem neuen Buch aus dem Gestalten Verlag - "Schöner Tanken - Tankstellen und ihre Geschichten" - nun ein Denkmal gesetzt. Auf 240 Seiten unternimmt der Bild- und Textband eine Weltreise der etwas anderen Art. Von Deutschland nach Irland, über die USA nach Myanmar: 130 Jahre nachdem Bertha Benz zur ersten Fernfahrerin der Geschichte wurde, ist eine Welt ohne Tankstellen nicht mehr vorstellbar.
Früher gab es die große Zapf-Vielfalt
Kaum ein Gebäude ist so universal wie das mit den Zapfsäulen - egal wo, eine Tankstelle ist immer als solche identifizierbar. Doch während das europäische Straßenbild heute von den großen Tankstellenketten in ihren leuchtenden "Form-follows-function"-Gebäuden dominiert wird, sieht das auf anderen Erdteilen ganz anders aus. Auch in Europa herrschte früher erheblich größere Vielfalt. Kleine Privatunternehmen eröffneten am Straßenrand skurrile, originelle, erstaunliche Zapfanlagen. "Schöner Tanken" ist deshalb nicht nur eine Welt-, sondern auch eine Zeitreise.
In sieben Kapiteln porträtiert "Schöner Tanken" mehr als hundert Jahre alte Schwarz-Weiß-Fotografien bis hin zu raffiniert aufgenommenen, längst verlassenen Tankstellen an der Route 66. Als der Benziner zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts allmählich Fahrt in Europa aufnahm, wuchs parallel dazu auch die Kraftstoffnachfrage. Apotheken, aber auch Drogerien, Hotels oder Gaststätten entwickelten sich zu regelrechten Benzindealern.
Erst in den Zwanzigerjahren schwappte aus den USA eine neue Architektur über den Ozean, die sich in den Folgejahren manifestieren sollte - die der gas station. Verantwortlich dafür war letztlich Henry Ford, der mit dem Ford Model T das Automobil zum Massenprodukt gemacht und so dafür gesorgt hatte, dass neue Tankstellenkonzepte entwickelt wurden. Eine Zapfsäule, ein Kassenhäuschen, eine Preistafel und ein Vordach - bis heute hat sich diese prinzipielle Aufteilung gehalten.
Tankstellen sind demokratische Orte
Doch auch wenn dieses Konzept einem globalen Konsens unterliegt, macht das Buch deutlich, welch großen Spielraum Architekten bei dem Bau von Tankstellen nutzen. Über die Nachkriegszeit in Europa, als die Straßen plötzlich voll waren, führt das Buch in die Sechzigerjahre Amerikas, die als Blütezeit der Tankstelle gelten. Die bibliophile Reise führt weiter zu architektonischen Highlights aus dem Irak, Spanien oder Griechenland, zeigt Improvisationskünste aus Sibirien oder provisorische Verkaufshütten aus Asien, wo das Benzin aus Kostengründen auch heute noch teilweise in ausgedienten Wasserflaschen verkauft wird. Die Welt der Tankstellen ist nicht nur bunt wie die Neonlichter großer Mineralölkonzerne, sondern auch architektonisch verspielt.
Und kurios. Ein Tankstellenhäuschen in einem 1500 Jahre alten Baumstumpf; ein Bauer, der auf seinem Feld eine Ölquelle findet und zu einem der größten Kraftstofflieferanten Amerikas wird (Gilmore Gas); eine komplett vergoldete Tankstelle in der Wüstenlandschafts des Irak - getankt wird überall. Und wer Kraftfahrer nicht nur mit günstigen Preisen locken will, der denkt sich was aus.
"Schöner Tanken" zeigt Tankstellen als gesellschaftliche Treffpunkte, sozusagen Mini-Schmelztiegel aller fahrenden Volksschichten. Wer Auto fuhr, musste tanken. Ob Cadillac Eldorado oder VW Käfer, ob Porsche Panamera oder Opel Adam - an der Zapfsäule gibt es keine Unterschiede. Der US-Fernsehmoderator Jay Leno schreibt im Vorwort treffend: "Tankstellen sind demokratische Orte. Jeder muss mal tanken, genau wie jeder sterben und seine Steuererklärung machen muss."