Feinstaubsauger Eine felgenreiche Erfindung
Am Anfang seiner Erfindung stand ganz banaler Ärger nach der Autowäsche. Immer nachdem Christoph Rocca-Serra sein SUV geputzt hatte, waren die frisch gekärcherten Alufelgen an der Vorderachse nach kurzer Zeit wieder schwarz. Der Pariser Unternehmer mit 25 Jahren Finanzexpertise war erbost. Er forschte im Internet und stellte fest: "Es gibt Hunderte von Autofahrer-Foren, die sich mit dem Problem befassen."
Nach weiteren Recherchen konstatierte der 50-Jährige: Abhilfe existierte nicht. Der geborene Korse setzte sich mit drei Freunden zusammen - durchweg Techniker und Ingenieure. Sie grübelten. Drei Jahre später hat Rocca-Serra nicht nur das ästhetische Problem gelöst. Sein Start-up-Unternehmen Tallano hat gleichzeitig auch eine Möglichkeit gefunden, um ein gefährliches Umweltproblem in den Griff zu bekommen: den feinen Belag aus Ruß, der beim Bremsen entsteht und nicht nur die Felgen verschmutzt, sondern auch die Luft.
Dazu holte sich Rocca-Serra zudem Rat bei Forschern vom Nationalen Institut der angewandten Wissenschaften. Deren Spezialisten vom Labor für Reibungslehre digitalisierten die Vorgänge an einer handelsüblichen Scheibenbremse; anschließend untersuchten sie am Computermodell die Effekte des Bremsvorgangs - Luftströme, Wirbel und Erwärmung bis 900 Grad.

50 Euro für die dauerhafte Reinigung
Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelte Rocca-Serras Team am PC die Vorrichtung, die, direkt neben Belägen montiert, den giftigen Abrieb mit einer rotierenden Turbine in einem Behälter auffängt. Kurz gesagt: einen Feinstaubsauger.
Die Erfindung, deren Entwicklung mit rund einer Million Euro zu Buche schlägt, kommt dabei ganz ohne Elektromotor oder digitale Steuerung aus. Der Antrieb der Turbine erfolgt mechanisch über ein kleines Rad, das an der Bremsscheibe anliegt und dadurch gedreht wird. Weil die Scheibe im Alltagsgebrauch laut Vorschrift bis zu einem Millimeter an Dicke verliert, sorgt eine Feder für das Nachführen des Antriebs.
"Wir haben das Rad nicht neu erfunden", sagt Rocca-Serra, "wir nutzen bestehende Technik, das Know-how der Autoindustrie und ihrer Zulieferer." Geleert wird der Staubbehälter etwa alle ein bis zwei Jahre oder nach 20.000 gefahrenen Kilometern. Mit dem international patentierten Verfahren - geschätzte Mehrkosten bei einem Neuwagen rund 50 Euro - rückt der Unternehmer einer hochgefährlichen Gesundheitsbelastung zu Leibe: Der beim Bremsen mit einem Standard-Bremsbelag entstehende Ruß ist ein hochtoxischer Cocktail.
Jeder Bremsvorgang setzt Gift frei
Bisher galten vor allem Dieselmotoren als Dreckschleudern und eigentliche Hauptschuldige der Luftverschmutzung - zumal in Frankreich, wo von den zugelassenen 31,5 Millionen Fahrzeuge 62 Prozent Selbstzünder sind (Deutschland Ende 2014: rund 31 Prozent). Mittlerweile wurden die Dieselmotoren durch Katalysatoren und moderne Filter entschärft; zum 1. September werden in Frankreich neue Auflagen für Diesel-Neuwagen die Rußpartikel in den Abgasen weiter begrenzen.
Doch die mikroskopisch kleinen Schwebeteilchen des Feinstaubs entstehen auch durch andere Faktoren, zum Beispiel durch den mechanischen Abrieb der Reifen oder des Straßenbelags. Insgesamt 20.000 Tonnen gehen jährlich davon auf Frankreichs Straßen nieder, so eine Untersuchung des Instituts für Angewandte Wissenschaften (INSA) in Lyon; hochgerechnet auf Europa sind es 100.000 Tonnen.
In der Gruselrechnung bisher vernachlässigt: der Dreck der Bremsbeläge. "Jeder Tritt auf die Bremse produziert, je nach Geschwindigkeit und Gewicht des Fahrzeugs, durch den Kontakt zwischen Scheibe und Belag Abrieb", sagt der Tallano-Chef und zeigt auf einen neuen und einen abgenutzten Belag. "Bei einem Wagen mittlerer Größe - einem Mercedes der A-Klasse oder einem - sind es rund 30 Milligramm Feinstaub pro Bremsvorgang."
Feinstaubsauger auch für Züge
In die Luft gelangt damit ein aggressiver Mix aus Ruß und Schwermetallen, darunter Kupfer, Kadmium, Nickel, Chrom, Zink, Barium und Blei. "Die winzigen Nanopartikel können sich in der Lunge festsetzen und in den Organismus eindringen", sagt Pierre Souvet. Er ist Präsident des französischen Verbands für Gesundheit und Umwelt und sieht im Staub aus den Bremsen ein großes Problem: "Er kann Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen", so der Mediziner, "zudem zu Atemwegsinfektionen führen, möglicherweise zu Krebs."
Die Gefahr der Mini-Teilchen, die von zehn Mikrometer herunterreichen (PM10) bis zur Größe von Viren (PM0,1), ist derweil erkannt. Eine gerade veröffentlichte Studie des französischen Senats schätzt die Zahl der Opfer durch Luftverschmutzung auf 45.000 Tote pro Jahr. Die zuständige Behörde für Umwelt und Energie (Ademe) will die Belastung durch Feinstaub in ein ehrgeiziges Gesetzesprojekt aufnehmen.
Die Erfindung des Tallano-Chefs kommt also wie gerufen, zumal er auch Frankreichs Züge mit der sauberen Bremstechnik ausrüsten wird; selbst die Pariser Metro will mit den Staubsaugern der chronisch hohen Feinstaubbelastung in den U-Bahn-Tunneln zu Leibe rücken.
Der Bremsstaubsauger für Autos ist nach zweijähriger Erprobung in der Produktion: "Vier renommierte europäische Hersteller wollen ihre Produktpalette damit ausrüsten", sagt Rocca-Serra. Wer diese Hersteller sind, will er nicht verraten. "Innovationen werden zuerst in den Premiummodellen eingebaut", sagt er lächelnd. Hinter ihm in seinem Pariser Büro sind die Tallano-Broschüren für BMW und Mercedes aufgestellt.
"Die ersten Wagen werden Ende 2016 auf den Markt kommen," verspricht Rocca-Serra. Der Unternehmer wird sich dann nicht nur über bessere Atemluft freuen können: "Auch die Autofelgen werden künftig dauerhaft blitzen - immer wie frisch gewaschen."