Fotostrecke

Fotoserie Cars and Bodies: Der menschliche Stau

Foto: Thomas Cestia & Romain Dussaulx & Yann Rabanier

Autos voller Menschen Einer geht noch, einer geht noch rein

Straßen voller Autos? Dann lieber Autos voller Menschen! Das hat sich ein amerikanisch-französisches Künstlertrio gedacht - und das Phänomen Stau in die Fahrzeuge hinein verlagert.

Hinter den Scheiben des Volvo V 70 ist ein Knäuel aus Armen und Beinen zu erkennen. Skurril ineinander verwobene Extremitäten, hier und da eine Hand oder ein Kopf, und man weiß nicht recht, was zu wem gehört und was nicht. Klingt nach einem schlechten Horrorfilm, ist jedoch das Werk eines französisch-amerikanischen Künstlertrios, das zum Nachdenken über den Verkehrsinfarkt anregen möchte.

"Cars and Bodies" heißt die in Los Angeles entstandene Fotoserie von Romain Dussaulx, Yann Rabanier und Thomas Cestia, die auf ein Problem aufmerksam machen soll, mit dem nahezu alle Metropolen zu kämpfen haben: den Stau. Besonders Los Angeles leidet unter einem immensen Verkehrsaufkommen - neun von zehn Bewohnern des Großraums, in dem rund 14 Millionen Menschen leben, fahren täglich mit dem Auto zur Arbeit, rund 330 Millionen Kilometer legen sie dabei täglich zurück. Das entspricht ungefähr der Strecke von der Erde zur Sonne und zurück. Die Folgen sind lange Staus, dreckige Luft, strapazierte Nerven. Und obwohl es für Fahrgemeinschaften eine eigene Fahrspur gibt, sitzen die meisten Kalifornier allein im Wagen.

"Wer in L.A. wohnt, verbringt einen großen Teil seiner Zeit im Auto. Zu Fuß geht hier niemand", sagt Romain Dussaulx. Oft werde das Auto auch als die "Verlängerung des Wohnzimmers" bezeichnet. Wer dennoch als Fußgänger auf der Straße ist, macht sich in manchen Stadtteilen sogar verdächtig. Denn dort regiert das Vorurteil, dass nur Prostituierte oder Rauschgifthändler zu Fuß unterweg sind. "Wer hier läuft anstatt zu fahren, der wird schnell für verrückt gehalten", sagt Dussaulx.

Statt der Straßen sind hier die Autos verstopft

Und was hat das mit den Fotos zu tun, auf denen weit und breit kein Stau zu sehen ist, sondern immer nur ein mit Menschen vollgepferchtes Auto? "Wir denken, dass es dringend an der Zeit ist, über die Beziehung der Menschen zur Mobilität nachzudenken und sie zu revolutionieren", sagen die drei über ihr Projekt. Deshalb würden die Bilder auch das Gegenteil des sonst typischen Straßenbildes in Los Angeles zeigen. "Wir fanden es interessant, das Verhältnis umzukehren, und die Leute, die sonst alleine im Auto sitzen, in einen einzigen Wagen zu zwängen", erklärt Dussaulx. So sind statt der Straßen die Autos verstopft. Dussaulx: "Es ist ein menschlicher Stau."

Für die Fotoserie zogen die drei Künstler im vergangenen Sommer drei Wochen lang durch Los Angeles. Die Leute, die sich in die Autos quetschten, kamen aus dem Bekanntenkreis oder wurden auf der Straße angesprochen. "Teilweise kannten sich die Leute vor den Fotoaufnahmen nicht einmal", sagt Dussaulx. Das änderte sich jedoch schnell, als sie sich im Wagen plötzlich sehr nahe kamen. Immerhin dauerte es manchmal Stunden, bis das Foto wie gewünscht im Kasten war. Dussaulx: "Ich bin mir sicher, dass einige noch heute befreundet sind."

Autos aller Art vor einer klassischen Kamera

Die Autos wählten die drei nach Ihrem persönlichen Geschmack aus, darunter sind auch einige Ikonen der amerikanischen Automobilgeschichte. Und fotografiert wurde nicht mit moderner Digitaltechnik, sondern mit einer analogen Großformatkamera vom Typ Sinar P2, die aus einer Zeit stammt, als die Staus noch kürzer waren.

Derzeit sucht das Trio nach einem neuen Ausstellungsort für die Fotoserie, die zuletzt in Los Angeles gezeigt wurde. "Warum nicht in Deutschland?", fragt Dussaulx. Als nächstes geplant sind neue Fotoserien in Metropolen wie Dubai, Tokio oder Mexiko City - dann allerdings nicht mit Pkw, sondern mit Fahrrädern, Bussen oder U-Bahn-Waggons.

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