
Kältemittel R1234yf: Flammen aus dem Motorraum
Streit um Kältemittel Daimler boykottiert Vereinbarung zu R1234yf
"Mercedes-Benz will bewährtes Kältemittel R134a für Pkw weiter einsetzen." Die Überschrift einer Mitteilung des Stuttgarter Autobauers vom Dienstag klingt eigentlich ganz harmlos. Tatsächlich jedoch ist das, was dann folgt, hochexplosiv: Man habe das neue, international anerkannte Kältemittel R1234yf einem hauseigenen Testverfahren unterzogen, "welches weit über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht". Die Chemikalie habe sich im heißen Motorraum entzündet. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse schließe Mercedes-Benz den Einsatz der Chemikalie in seinen Fahrzeugen aus, stattdessen komme weiterhin die Substanz R134a zum Einsatz.
Eiskalt abserviert nennt man sowas. Voraussichtlich stürzt die Daimlersche Abkehr von einem Konsens, der erst nach jahrelangem Streit überhaupt zustande kam, die gesamte Branche in eine Kältemittel-Krise. Das Absurde daran: Dass Tetrafluorpropen R1234yf entflammbar ist und in Verbindung mit Feuer oder sehr heißen Oberflächen Fluorwasserstoff freisetzt, der mit Feuchtigkeit zu stark ätzender, giftiger Flusssäure reagiert, hatte die Bundesanstalt für Materialprüfung im Auftrag des Bundesumweltamts längst nachgewiesen.
Auch Umweltverbände hatten immer wieder auf die Brennbarkeit und extreme Giftigkeit des neuen Kältemittels hingewiesen - die Industrie jedoch hielt R1234yf dennoch für eine "überzeugende Alternative", wie der Branchenverband VDA mitteilte. Auch die US-Umweltschutzagentur EPA genehmigte das neue Mittel für Neuwagen in den USA.
Pest oder Cholera?
Dabei war die Abkehr von R134a und die Hinwendung zu R1234yf eine Wahl zwischen Pest und Cholera, eine Entscheidung vom Klimakiller zur Giftschleuder.
Dabei stand am Anfang der Wille, die Fluor-Kohlen-Wasserstoff-Verbindung R134a zu ersetzen, weil sie ein extrem schädliches Treibhausgas ist. Das GWP (Global-Warming-Potential) des altbewährten Kältemittels, das in den allermeisten Auto-Klimaanlagen nach wie vor eingesetzt wird, beträgt 1430. Zum Vergleich: CO2 hat ein GWP von 1.
Um den Klimaschutz auch in diesem Bereich voranzutreiben, erließ die EU eine Richtlinie, die Kältemittel mit einem GWP von mehr als 150 in Auto-Klimaanlagen verbietet; Gültigkeit hat diese Richtlinie für alle Pkw-Baureihen, die nach dem 1.1.2011 zertifiziert wurden.
Letzteres Datum besagt übrigens nichts über den tatsächlichen Verkaufsstart eines neuen Fahrzeugs aus. Der neue VW Golf beispielsweise wurde vor dem Stichtag zertifiziert, und wenn er ab November auf den Markt kommt, darf in der Klimaanlage nach wie vor R134a verbaut sein. Erst ab 2017 gilt, nach aktueller Rechtslage, das Verbot klimaschädlicher Kältemittel für alle Neuwagen in der EU. Mit R1234yf wollten die Autohersteller diese Vorgabe erfüllen - ob es noch dazu kommt, ist nach dem Sonderweg von Daimler fraglicher denn je.
Für das neue Kältemittel fehlen die Produktionsanlagen
Das neue Mittel ist nämlich nicht nur toxisch, sondern derzeit auch kaum verfügbar. Erst vor zwei Jahren gründeten die Chemieunternehmen Honeywell und DuPont ein Joint-Venture zur Produktion des neuen Kältemittels. Eine Anlage von DuPont wurde durch das Erdbeben von Fukushima beschädigt, die Produktionsmenge blieb weit unter den Planungen. Ein gemeinsames Werk von DuPont und Honeywell in China soll frühestens Ende dieses Jahres die Produktion von R1234yf aufnehmen.
Es gibt also bislang viel zu wenig von dem Kältemittel, um damit die Klimaanlagen aller Neuwagen weltweit zu befüllen. Mercedes etwa wollte ursprünglich der neuen B-Klasse R1234yf einsetzen. Dass es nicht dazu kam, lag an Lieferengpässen.
Bislang haben die US-Konzerne Honeywell und DuPond ein Monopol auf R1234yf, weshalb die EU-Kommission im vergangenen Dezember ein Kartellverfahren gegen beide Firmen einleitete. Der Grund waren Beschwerden, beide Unternehmen hätten "im Hinblick auf die Entwicklung der neuen Generation von Kältemitteln wettbewerbsfeindliche Vereinbarungen getroffen", so die Kommission. Vermutlich ist auch dies ein Grund für das Aussteigen von Daimler aus dem R1234yf-Projekt.
Wie geht es jetzt weiter? Mercedes ruft erst einmal "einige hundert" Modelle vom Typ SL zurück, deren Klimaanlagen bereits mit R1234yf befüllt wurden, um das Gas gegen das nicht minder umstrittene R134a auszutauschen. Der VDA räumt ein, dass mit dem Nein der Stuttgarter eine "neue Lage" entstanden sei und verweist auf "die technischen Gremien, die sich jetzt mit den von Mercedes vorgenommenen Test eingehend befassen werden". So etwas dauert erfahrungsgemäß.
Die Alternative wären Klimaanlagen auf CO2-Basis
In der Zwischenzeit wird wohl weiter der Klimakiller R134a verbaut. Ob sich irgendein Hersteller oder Zulieferer um die offenbar wirkliche Alternative, nämlich eine Auto-Klimatisierung auf CO2-Basis kümmert, scheint fraglich. Das Umweltbundesamt favorisiert dieses Gas als Kältemittel der Zukunft. Es ist nicht brennbar, weltweit verfügbar und bilde keine Zerfallsprodukte. Außerdem würde es einen Inovationssprung bedeuten, denn eine Klimaanlage mit CO2-Technik könnte in Elektroautos während der kalten Jahreszeit als Wärmepumpe genutzt werden und so deren Reichweite vergrößern.
Gibt es einen Haken an der Sache? Aus Sicht der Autohersteller diesen: CO2-basierte Klimaanlagen würden im Auto einige Veränderungen erfordern, weil die Klimaleitungen höherem Druck standhalten müssten. Und in den Werkstätten wären neue Reparaturgerätschaften nötig. Beim Wechsel von R134a auf R1234yf fällt dieser Aufwand weg. Und möglichst billige Lösungen sind immer willkommen.