Gerichtsverhandlung in Stuttgart Ein schlechter Tag für den Diesel

Blick über Stuttgart
Foto: Andreas Rosar/ picture alliance / Andreas Rosar/dpaDie Hoffnung der deutschen Autoindustrie ruhen auf einem Software-Update. Damit sollen Dieselautos so umgerüstet werden, dass ihre Motoren weniger giftiges Stickstoffdioxid ausstoßen. Die Branche will damit verhindern, dass es zu Fahrverboten für ältere Fahrzeuge mit Selbstzündern kommt. Insofern war dieser Mittwoch ein schlechter Tag für die Hersteller: Denn vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart kam es zu einer Verhandlung, deren Verlauf die Hoffnungen der Autobauer geschmälert haben wird.
Bei der Verhandlung geht es um eine Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen das Land Baden-Württemberg auf Einhaltung der Grenzwerte beim Stickstoffdioxid. Ab 2018 drohen Autofahrern im Stuttgarter Stadtgebiet, wo der Verkehr besonders dicht ist und seit mindestens sieben Jahren die EU-Grenzwerte zum Teil um das doppelte übertroffen werden, Fahrverbote, sofern sie einen älteren Diesel mit einer Abgasnorm unterhalb von Euro 6 fahren. Diese Maßnahme hatte die Landesregierung unter dem Eindruck voriger Gerichtsentscheide beschlossen. Anders sei die schlechte Luftqualität in der Landeshauptstadt nicht zu bekämpfen.
Doch eigentlich will auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Autofahrerland Baden-Württemberg keine Fahrverbote. Er setzt darauf, dass die Autoindustrie rasch technische Lösungen anbietet, die den Ausstoß verringern.
Deshalb hatte es in den Tagen vor dem Stuttgarter Gerichtstermin eine hektische Pendeldiplomatie zwischen Bundesverkehrsministerium, baden-württembergischer Landesregierung und Autobauern gegeben. Ziel: Einer schrittweise erneuerten Dieselflotte weiterhin die Fahrt durch die deutschen Innenstädte zu ermöglichen.
"Wer ist denn die Automobilindustrie?", fragt der Richter
Im Fall Stuttgarts kommt diese Initiative womöglich zu spät. Der Vorsitzende Richter legt durch hartnäckiges Nachfragen schnell offen, wie wolkig die Nachrüstpläne sind. "Was ist denn der Erfolg der Nachrüstlösung bis zum 31. Dezember?", fragt Wolfgang Kern den Anwalt der Landesregierung beispielsweise.
Oder: "Was soll Ihnen Herr Dobrindt schreiben bis zum 31. Dezember?" Oder: "Wer ist denn die Automobilindustrie? Das ist doch eine sehr heterogene Gruppe." Außer ein paar Absichtserklärungen der Autobauer ist da nichts, das macht die Verhandlung deutlich.
Nach der Befragung einer vom Land benannten Gutachterin lässt Kern festhalten, dass sich die Werte an den Stuttgarter Hotspots durch flächendeckende Nachrüstungen um geschätzte neun Prozent verbessern ließen. "Neun Prozent sind natürlich nicht sehr viel", sagt Kern.
Die Vertreter der beklagten Seite schwimmen. Es sei nicht Aufgabe der Landesregierung, zu prüfen, wie welches Fahrzeug nachgerüstet werden könne, sagt Christoph Erdmenger, Abteilungsleiter im Verkehrsministerium während der Verhandlung. "Die Lösung zu erarbeiten, ist Aufgabe der Automobilindustrie."
Entscheidung wird für nächste Woche erwartet
Der Anwalt der Landesregierung argumentiert: Die Nachrüstlösungen kämen nach und nach, da sei es doch sinnlos, die Bürger mit einem Fahrverbot zu belegen. Jürgen Resch, der Geschäftsführer der klagenden Deutschen Umwelthilfe, macht im Gerichtssaal hingegen deutlich, was er von den Vorschlägen hält: "Das ist eine Luftnummer." Die Landesregierung folge "dem Prinzip Hoffnung".
Ob dies auch das Gericht so ähnlich wertet, ist noch unklar, am Mittwoch wollte es keine Entscheidung treffen, erst nächste Woche wird diese wohl verkündet. Doch die Skepsis des in der Abgasproblematik erfahrenen Verwaltungsrichters ist immer wieder herauszuhören: "Letztendlich geht es doch darum, ob die Nachrüstlösung eine Option ist, die Ihnen tatsächlich zur Verfügung steht", sagt Richter Kern zu den Vertretern des Landes.
Verwaltungsrichter können keine konkreten Maßnahmen beschließen. Doch es ist wahrscheinlich, dass das Stuttgarter Gericht der Politik strenge Vorgaben macht. Denn schon in der Vergangenheit wertete es die Gesundheit der Stadtbewohner als hohes Gut - ganz anders als die Autobauer.
Das Beispiel Daimler
Wie groß die Hoffnungen der Hersteller sind, mit Nachrüstlösungen die Fahrverbote zu vermeiden, wurde spätestens am Abend vor der Verhandlung deutlich: Da verkündete Mercedes eine "freiwillige Servicemaßnahme" für europaweit drei Millionen Dieselautos, bei der durch ein Software-Update eine "Verbesserung" des NOx-Ausstoß erzielt werden solle. Betroffen sind laut Angaben eines Daimler-Sprechers "tatsächlich nahezu alle Euro 5 und Euro 6 Fahrzeuge". Nur die Exemplare mit den neusten Dieselaggregaten, die sogar von der DUH schon für ausreichend sauber befunden wurden, seien ausgenommen.
Der Konzern steht derzeit unter großem Druck: Es gab Razzien in den Häusern der Schwaben, weil die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Verdacht auf Betrug im Zusammenhang mit Abgasmanipulationen nachgeht und gegen Daimler-Mitarbeiter ermittelt. Unterdessen werden Dieselautos zu Ladenhütern.
Da klingt die Ankündigung des Rückrufs erst einmal nach einer Offensive. Doch ob diese Aktion zu einer besseren Luftqualität in den Städten beitragen wird, ist derzeit noch zweifelhaft. Das hat zwei Gründe:
- Zum einen handelt es sich um eine freiwillige Maßnahme und nicht um einen von den Behörden angeordneten Rückruf - wie viele Besitzer von Mercedes-Dieselautos den Aufwand in Kauf nehmen, ihr Auto zur Werkstatt zu bringen, wird sich zeigen. Die Lehren aus dem Rückruf der vom Abgasbetrug betroffenen Dieselautos von Volkswagen dürften hier abschreckend wirken: zahlreiche Kunden klagten nach dem Software-Update über Probleme mit dem Auto.
- Zum anderen ist da die zentrale Frage, die jetzt am Stuttgarter Verwaltungsgericht verhandelt wird: Wie effektiv ist die Nachrüstung tatsächlich?
Die hartnäckigen Nachfragen des Stuttgarter Richters dürften nämlich selbst für die Hersteller nicht überraschend gekommen sein - denn einen Beweis, dass die Motoren durch eine 50 Euro billige Modifikation plötzlich viel sauberer werden, haben sie bisher nicht angetreten.
Beispiel Mercedes: Das Software-Update bewirke, so verspricht Daimler, dass unter anderem das sogenannte Thermofenster verändert werde. Es sorgt dafür, dass die Abgasreinigung außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs abgeschaltet wird, um - wie der Hersteller argumentiert - den Motor zu schützen. Dieses Fenster soll nach oben und unten vergrößert werden, die Reinigung ist dann häufiger aktiv.
Und was ist dann mit dem Motorschutz? "Wir erwarten bei Leistung, zertifiziertem Verbrauch, Geräuschverhalten und Zuverlässigkeit keine Veränderungen", sagte ein Daimler-Sprecher dem SPIEGEL.
Selbst der ADAC zweifelt an den Dieselautos
Wie das alles genau funktionieren soll, sagt Daimler aber nicht und verweist auf "aktuelle Erkenntnisse aus der Entwicklung der neuen Dieselmotoren-Familie". Vor allem bei der "Steuerung der Abgasrückführung und des SCR-Systems" sei man nun weiter. Das SCR-System ist ab der Mercedes C-Klasse und höherwertigen Modellen verbaut. Hier sind ein Katalysator und ein Tank für Harnstoff (AdBlue) installiert, der in den Abgasstrang eingespritzt wird und dort für eine chemische Reaktion sorgt, bei der giftige Stickoxide in harmlosen Stickstoff umgewandelt werden. Aber selbst der AdBlue-Verbrauch soll laut Angaben von Daimler nach der Umrüstung "im normalen Fahrbetrieb" nicht zunehmen.
Kann das wirklich stimmen? Der ADAC hat vor einiger Zeit auf ein Euro-5-Dieselauto von VW ein Update aufgespielt. Anschließende Messungen hätten nach Angaben des Vereins ergeben, dass der Wagen im Realbetrieb 60 Prozent weniger NOx ausgestoßen habe. Allerdings, so die Erkenntnis des ADAC, funktioniere eine solche Nachrüstung nur bei etwa der Hälfte der älteren Dieselfahrzeuge.
Das gleiche gaben auch die Hersteller BMW und Audi zu Protokoll, als sie vor wenigen Wochen ihre Bereitschaft zu einer Umrüstaktion deutlich machten: Von BMW hieß es, dass von der Marke rund 700.000 Euro-5-Diesel in Deutschland zugelassen seien, von denen mindestens 350.000 nachgerüstet werden könnten. Dass nur die Hälfte der Flotte nachgerüstet werden könne, begründete ein Sprecher von BMW auf Anfrage des SPIEGEL damit, dass die Software-Lösung bei älteren Modellen mit Euro-5 nicht zum gewünschten Ergebnis führe.
Die jetzt von Mercedes angekündigte Servicemaßnahme solle dazu dienen, "Dieselfahrern wieder Sicherheit zu geben" und "das Vertrauen in die Antriebstechnologie zu stärken", sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche. Doch so einfach wird die Rettung des Selbstzünders wohl nicht werden. "Unsere Empfehlung ist", hieß es beim ADAC, "mit einem Neuwagenkauf eventuell noch zu warten, bis im Herbst Modelle mit dem Standard Euro 6D auf den Markt kommen."
Wie es nach der ersten Verhandlung am Verwaltungsgericht Stuttgart scheint, teilen die Richter die Skepsis der Umrüstungskritiker.
Zusammengefasst: Durch Umrüstungen wollen Hersteller den Schadstoffausstoß ihrer Dieselautos verringern - und damit verhindern, dass in Innenstädten Fahrverbote gegen die Fahrzeuge verhängt werden. Bei einer richtungsweisenden Verhandlung in Stuttgart zweifelt ein Gericht jedoch die Wirksamkeit der Nachrüstung an.