Bundeskabinett in Meseberg Die große Dieselshow

Die Dieselnachrüstung könnte nach Informationen des SPIEGEL bis zu 15 Milliarden Euro kosten. Die Politik will das weder sich noch der Autoindustrie zumuten. Die Regierungsklausur in Meseberg dürfte enttäuschend enden.
Verkehrsminister Scheuer mit Kabinettskolleginnen Bär, Klöckner, Giffey

Verkehrsminister Scheuer mit Kabinettskolleginnen Bär, Klöckner, Giffey

Foto: Adam Berry/ Getty Images

Seit Monaten geht es in Deutschland hin und her: Sollen schmutzige Dieselautos auch technisch nachgerüstet werden, statt nur mit neuer Software? Die Politik drückte sich bislang vor einer Entscheidung, allen voran Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Nun sieht es zumindest so aus, als würde die Bundesregierung endlich handeln. Zumindest war das für die Regierungsklausur auf Schloss Meseberg angekündigt worden.

Manager der Autoindustrie werden an diesem Mittwoch aufmerksam verfolgen, was tatsächlich beschlossen wird. Und ob überhaupt etwas beschlossen wird. Umweltschützer hoffen auf ein Votum gegen die rollenden Luftverpester auf deutschen Straßen. Doch auch diesmal dürften sie enttäuscht werden: Insider erwarten, dass Union und SPD keine Linie vorgeben werden. Es steht ein Tagesordnungspunkt auf der Agenda, bei dem lediglich ein Sachstandsbericht vorgetragen wird. Das Treffen in Meseberg wäre dann lediglich eine Show - zumindest was das Dieselproblem betrifft.

Das Zögern hat vor allem einen finanziellen Grund: Die Hardwarenachrüstung von Dieselautos mit Katalysatoren, die mehr des giftigen Stickoxids abfangen, ist teuer. Der Umbau der Autos kostet aus Sicht von Experten 1500 bis 1800 Euro pro Fahrzeug. Damit liefen zwischen fünf und 15 Milliarden Euro Nachrüstungskosten auf - je nach Rechenart. Wer aber soll das am Ende zahlen? Dieselbesitzer, Steuerzahler, Autoindustrie? Das ist strittig.

2,6 Milliarden Euro Kosten für VW-Diesel

Unstrittig ist der weit überhöhte Stickoxidausstoß bisheriger Dieselwagen. Eine Lösung muss her. Aus Sicht des Grünen-Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer könnten durchaus die Autokonzerne in die Pflicht genommen werden, deren Autos in vielen Fällen bei der Fahrt auf der Straße Schadstoffe weit über den zugelassenen Grenzwerten ausstoßen.

Auf Kosten von 5,3 Milliarden Euro kommen die Grünen bei der Umrüstung von Euro-5-Dieseln nach einer Berechnung ihrer Bundestagsfraktion, die dem SPIEGEL und "BR Recherche" vorliegt. Mit fast 2,6 Milliarden Euro entfiele etwa die Hälfte auf den Auslöser der Dieselaffäre, den Volkswagen-Konzern.

Angesichts eines operativen Gewinns von 13,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr könne sich dieser die Umrüstung allerdings gut leisten, befindet Krischer. BMW mit 663 Millionen Euro und Mercedes-Benz mit 527 Millionen Euro kämen angesichts ähnlich hoher Gewinne ebenfalls erträglich aus dem Umbauproblem heraus.

Hardware-Nachrüstkosten für Euro-5-Diesel

Hersteller Nachrüstkosten der Hersteller in Mio. Euro
Volkswagen 2569
BMW 663
Mercedes 527
Ford 397
Opel 310
Renault 207
Fiat 148
Kleinere Autohersteller*
Quelle: Grünen-Bundestagsfraktion   *Hyundai: 113 Mio., Peugeot: 102 Mio., Volvo: 99 Mio., Nissan: 94 Mio., Toyota: 67 Mio., Mazda: 27 Mio., Honda: 22 Mio.

"Zukunft der Hersteller nicht gefährdet"

"Die Nachrüstkosten schränken in keiner Weise die Wettbewerbsfähigkeit ein, und schon gar nicht gefährden sie die Zukunft der Hersteller", argumentiert der Vize-Fraktionschef der Grünen. "Nach dem jahrelangen Tricksen und Betrügen wäre das endlich mal ein Signal, ernsthaft etwas für bessere Luft in Innenstädten tun zu wollen."

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller warnt mit Blick auf nötige Hardwarenachrüstungen davor, die Bürger in die Pflicht zu nehmen: "Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Autohersteller verursachergerecht die Kosten übernehmen - und eben nicht der Autobesitzer und auch nicht der Steuerzahler der Dumme ist", sagt Müller dem "Bayerischen Rundfunk". So habe es die Kanzlerin in der Regierungserklärung versprochen.

In ihrer Kostenanalyse haben die Grünen eingerechnet, dass sehr alte Euro-5-Diesel nicht mehr umgerüstet werden und demnach in 80 Prozent der Wagen ein Nachrüstset verbaut wird. 1800 Euro veranschlagen sie dafür je Fahrzeug und ziehen steuermindernde Betriebsausgaben ab - denn die Nachrüstungen könnten die Hersteller gewinnmindernd absetzen.

Abgasexperten sind dennoch skeptisch, ob sich die Autokonzerne einbinden lassen - verpflichten könne man sie nicht, heißt es bei einem Beteiligten an Gesprächen der Bundespolitik über die Nachrüstung.

Aus diesem Grund debattieren Expertengruppen, die nach dem Dieselgipfel vergangenen Sommer Lösungen für die Abgasprobleme erarbeiten sollen, auch über steuerliche Förderungen. Doch hier gibt es Dissens, was erlaubt und möglich ist.

Dissens über steuerliche Förderung

Im aktuellen Entwurf für einen Abschlussbericht der Expertenrunde 1 des Nationalen Forums Diesel vom 5. April, der dem SPIEGEL vorliegt, weist das Bundesfinanzministerium den Vorstoß von Bayern und Niedersachsen für steuerliche Anreize zurück. Das Sondervotum der Länder würde "gegen steuerrechtliche Grundsätze verstoßen" und gesonderte finanzielle Anreize für schadstoffarme Euro-6-Pkw EU-Recht entgegenstehen, monieren die Finanzexperten.

Bayern entgegnet, ein zeitlich befristetes Programm sei möglich. Niedersachsen hält daran fest, eine staatliche Prämie beim Neukauf eines Diesel mit Euro-6d-Norm mit 2000 Euro zu vergeben. Immerhin hält das Finanzministerium es für möglich, Nachrüstkosten von der Einkommensteuer abzusetzen.

Die Debatte könnte an Brisanz noch zunehmen. Denn es kann sein, dass sich das Abgasproblem nur weit teurer lösen lässt als bisher gedacht: Tatsächlich drohen die Umrüstkosten auf 15 Milliarden Euro zu steigen. Das Schadstoffproblem ist nämlich nicht nur auf die bislang betrachteten Euro-5-Diesel begrenzt.

Umrüstung auch für Euro-6-Diesel gefordert

Auch die neueren Wagen mit Euronorm 6 überschreiten im Straßenverkehr die zulässigen Stickoxid-Grenzwerte um ein Mehrfaches. Das zeigen überhöhte Schadstoffwerte im Realbetrieb, wie sie bei vielen Herstellern zu finden sind: etwa beim Renault Grand Scenic, Audi A6 allroad quattro, Mercedes A 220, Peugeot 508, VW Passat, BMW X3, jüngst auch beim BMW 750d. Die Probleme der Autokonzerne beim Abgas sind demnach auch bei moderneren Dieselmotoren noch ungelöst.

Auch sie müssten daher mit Katalysatoren umgerüstet werden, fordern Umweltschützer wie Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH). "Euro-5-Motoren stoßen auf der Straße im Schnitt mehr als 900 Milligramm Stickoxid aus - also fünf Mal mehr als der zulässige Grenzwert von 180 Milligramm", gibt Resch einen Vergleich. "Ein Euro-6-Diesel pustet durchschnittlich mehr als 500 Milligramm des giftigen Schadstoffs in die Luft und demnach bei zulässigen 80 Milligramm sogar das Sechsfache des Erlaubten."

10 Milliarden Euro Gesamtkosten für deutsche Modelle

Angesichts von rund zehn Millionen zugelassenen Diesel-Pkw der Normen Euro 5 und 6 in Deutschland entstünden bei Hardwarenachrüstungen Kosten von rund 15 Milliarden Euro, rechnet Resch vor. Der Anteil deutscher Hersteller beliefe sich auf 10 Milliarden Euro. "Warum sollten wir Fahrzeuge, die nachgewiesen ebenfalls zu viele Schadstoffe ausstoßen als erlaubt, aus einer Nachrüstpflicht herauslassen?", fragt der DUH-Vorsitzende.

Diese unbeantworteten Fragen erklären das Entscheidungsvakuum an der Regierungsspitze. Doch diese scheint auch nicht mit dem nötigen Engagement bei der Sache. Treffen von Expertengruppen, die nach dem Dieselgipfel vergangenen Sommer Lösungen für die Abgasprobleme erarbeiten sollten, wurden im Januar und Februar abgesagt.

Erst an diesem Mittwoch tagt die wichtige Unterarbeitsgruppe für Technikfragen erneut, die eine fundierte Basis für eine Entscheidung liefern kann. Ein Termin für die übergeordnete Expertengruppe 1 und damit eine Chance für einen baldigen finalen Abschlussbericht, wie die Nachrüstungen angegangen werden sollten, steht allerdings noch aus.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren