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Hardware-Nachrüstung: Ist das die Lösung?

Foto: Twintec Baumont

Abgasskandal Initiative nimmt Hardware-Nachrüstung für Dieselautos selbst in die Hand

Die Autoindustrie lehnt technische Nachrüstungen für schmutzige Dieselfahrzeuge ab. Auch das Verkehrsministerium lässt betroffene Pkw-Besitzer im Stich. Eine Initiative präsentiert nun eine mögliche Lösung.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lehnt eine Hardware-Nachrüstung für ältere Dieselautos nach wie vor ab. Obwohl die Fahrzeuge die Atemluft weit mehr mit Schadstoffen belasten als erlaubt. Etwaige Gesundheitsschäden für Millionen von Menschen nimmt er so in kauf, Hunderttausende Eigentümer von Diesel-Pkw in Deutschland müssen horrende Wertverluste ihrer Autos hinnehmen - und erste Fahrverbote.

Eine neue, in Berlin vorgestellte Initiative will das verhindern und schaffen, was Politik und Industrie bislang versäumt haben. Nämlich eine technische Nachrüstlösung anzubieten, mit der die bisherigen Diesel-Stinker die gültige Abgasnorm Euro-6d erfüllen. Zugleich wollen sie dafür sorgen, dass die Kosten für diese Nachrüstung vor Gericht von den Herstellern zurückgefordert werden können.

Unter dem Motto "Was die Politik nicht schafft, gelingt uns" tritt eine Art Bündnis aus Zivilgesellschaft und Teilen der Industrie an. Dazu gehören der ehemalige Abteilungsleiter des Umweltbundesamts, Axel Friedrich, der ehemalige Richter und Landtagsabgeordnete Hartmut Bäumer (Bündnis 90/Die Grünen), das Aktionsbündnis Gerechtigkeit im VW-Abgasskandal und die auf Abgastechnik spezialisierte Firma Twintec Baumont aus Königswinter.

Das ungewöhnliche Bündnis hat sich aus unterschiedlichen Motiven zusammengefunden. Axel Friedrich streitet seit Jahren für weniger Schadstoffe in der Atemluft, Hartmut Bäumer will den politisch verfügten Wertverlust Hunderttausender Diesel-Pkw nicht einfach hinnehmen, er selbst fährt einen vom Abgasskandal betroffenen Audi. Die Firma Twintec Baumont wiederum hat einerseits die nötige Technik im Angebot und würde sich natürlich über zusätzliche Aufträge freuen.

Einig sind sich alle Beteiligten darin, dass drei Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals endlich gehandelt werden muss, um den Besitzern der betroffenen Dieselautos zu helfen und die Schadstoffbelastung durch diese Fahrzeuge wirkungsvoll zu reduzieren.

Für die Nachrüstlösung, die im Wesentlichen aus einem sogenannten SCR-Katalysator samt Harnstofftank besteht, ist eine Teile-ABE (Allgemeine Betriebserlaubnis) beim Kraftfahrtbundesamt beantragt und dürfte in einigen Wochen genehmigt werden. Die Technik basiert auf einem Zusatztank im Auto, in dem sich eine Harnstofflösung namens AdBlue befindet, die im gasförmigen Zustand in den Abgasstrom eingedüst wird. Unter dem Einfluss von Hitze entsteht Ammoniak, der wiederum mit den giftigen Stickoxiden reagiert und diese im Katalysator in harmlosen Stickstoff und Wasserdampf umwandelt.

Erst zahlt der Autobesitzer, dann wird auf Erstattung geklagt

"Diese Technik senkt die Stickoxidemissionen um mindestens 90 Prozent, bei unseren Messungen waren es sogar mehr als 95 Prozent", sagt Axel Friedrich. Die verwendeten Bauteile seien - bis auf einen verbesserten Ammioniakgenerator - seit Langem verfügbare Serienteile, deren Langlebigkeit umfassend nachgewiesen sei. Die Konstruktion von Twintec erhitzt AdBlue in einem separaten Bauteil, was zu einer effektiveren Reduktion der Schadstoffe bei niedrigen Temperaturen führt. Die Unterbringung des Harnstofftanks sei bei den allermeisten Fahrzeugen kein Problem, bei vielen Audi-Modellen etwa passe er in die Ersatzradmulde, beim VW Sharan beispielsweise in die Seitenmulde des Laderaums, so Friedrich.

Zunächst müssen die Fahrzeughalter die Nachrüstung vorfinanzieren. Nach aktueller Kalkulation kostet die Technik 1479 Euro, dazu kommen Einbaukosten (zirka 300 Euro) und die Mehrwertsteuer. "Insgesamt entstehen voraussichtlich Kosten von knapp 2000 Euro", sagt Friedrich. Sobald jedoch die Nachrüstung erfolgt und bezahlt ist, sollen die Kosten auf dem Klageweg von den jeweiligen Fahrzeugherstellern zurückgefordert werden.

Jurist Hartmut Bäumer erklärt, dass in den meisten Fällen die ohnehin anhängigen Klagen auf Rückerstattung des Kaufpreises (allein bei der Verbraucherschutzplattform MyRight sind mehr als 15.000 Kläger gegen VW registriert) umgewandelt werden in Klagen auf Rückerstattung der Nachrüstkosten. "Im Grunde handelt es sich dann um eine typische Nachbesserung, wie sie auch im Schadensersatzrecht vorgesehen ist", sagt Bäumer.

Nachrüstung würde Fahrverbote obsolet machen

Ob das juristische Nachspiel der Nachrüstung, also die Rückforderung der Kosten, tatsächlich so reibungslos wie geplant laufen wird, ist wahrscheinlich, aber längst nicht sicher. Unproblematisch hingegen scheint die behördliche Abwicklung zu werden. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat bereits seine Kooperationsbereitschaft signalisiert, die nötigen Genehmigungen zum Einbau der Nachrüsttechnik sind auf dem Weg. Und das Land Baden-Württemberg wiederum hat zugesagt, Einfahrgenehmigungen für die Fahrverbotszonen für jene Diesel-Pkw zu erteilen, die nachgerüstet wurden und damit die Abgasnorm Euro-6d erfüllen; das dürften andere Bundesländer ähnlich handhaben.

Die Internetadresse, unter der sich die Interessenten für die Hardware-Nachrüstung registrieren lassen können, wird in diesen Tagen freigeschaltet. Sobald mehr als tausend Fahrzeughalter mitmachen, wird die Initiative endgültig gestartet. Axel Friedrich: "Wir sind vorbereitet. Wenn alles klappt, wie wir uns das erhoffen, werden die ersten Autos noch im Oktober umgerüstet."

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Anm. d. Red: In einer früheren Version des Textes hieß es, der Automobilclub sei Teil der vorgestellten Initiative für eine Hardware-Nachrüstung. Dies ist nach Auskunft des ADAC nicht der Fall. Gleichwohl hält der Automobilclub eine Nachrüstung älterer Dieselautos mit SCR-Katalysatoren für einen angemessenen und wirkungsvollen Beitrag zur Lösung des Abgasproblems.

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