
Elektronisches Fahrtenbuch: So funktioniert Vimcar
Datenschatz Auto Durchbruch mit den Dienstwagen
Andreas Schneider hatte das, wovon Heerscharen junger Uni-Absolventen träumen: Ein Jobangebot von einem deutschen Autohersteller. Gute Position, hohes Einstiegsgehalt, Aufstiegschancen, Oha-Garantie bei der Smalltalkfrage "Und, was machst du so?" Andreas Schneider lehnte das Angebot ab.
"Mutti wäre natürlich glücklicher gewesen, wenn ich es angenommen hätte", sagt Schneider. Stattdessen machte er sich selbstständig. Jetzt sitzt der 28-Jährige in einer zum Büro umfunktionierten Wohnung in einem Berliner Hinterhof. Ein unaufgeregter junger Mann, höflich, sein Hemd hängt aus der Hose und die Ärmel sind hochgekrempelt. Er ist sein eigener Chef. Der Chef von Vimcar.
Das Start-up-Unternehmen, das er vor rund zwei Jahren mit zwei Mitstreitern gründete, hat derzeit genau ein Produkt im Angebot. Es liegt vor Schneider auf Tisch, verpackt in ein Pappkästchen. Schneider holt sein Produkt raus: Ein schwarzer Stecker aus Plastik, nicht viel größer als eine Streichholzschachtel.

Der Vimcar-Stecker
Foto: VimcarDer Stecker ist ein elektronisches Fahrtenbuch. Er soll es Besitzern von Dienstwagen einfach machen, Hunderte Euro Steuern zu sparen. Und er soll Flottenmanagern von Fuhrparks dabei helfen, die Wirtschaftlichkeit ihrer Flotte zu überprüfen.
Der schwarze Plastikstecker ist aber noch mehr. Er macht einen abstrakten Begriff greifbar: Connected Car, die Vernetzung von Fahrzeugen. Von Analysten als das nächste große Ding in der Autoindustrie gehandelt, ein Milliardenmarkt und mithin der Hauptgrund, warum IT-Konzerne wie Apple und Google plötzlich ins Fahrzeuggeschäft drängen. Es geht darum, die Daten aus dem Auto in Geld zu verwandeln, zum Beispiel durch Dienstleistungen, die auf das Nutzungsprofil der Fahrer abgestimmt sind.
Das Versprechen: Steuern sparen ohne viel Aufwand
Wie das Produkt von Vimcar und damit auch das Geschäftsmodell funktioniert, ist einfach erklärt:
- In dem Stecker befinden sich ein GPS-Modul, eine SIM-Karte zur Datenübertragung sowie ein Prozessor, der Fahrzeugdaten ausliest. Der Stecker wird an das sogenannte On-Board-Diagnose-System (OBD) angeschlossen. Nahezu alle Fahrzeuge, die nach 2004 gebaut wurden, verfügen über dieses System, die Schnittstelle sitzt üblicherweise im oberen Fußraum, unterhalb des Lenkrads. Das Anbringen des Steckers kann man selbst erledigen.
- Ausgelesen werden Start- und Zielort sowie die gefahrenen Kilometer dazwischen. Diese Daten werden auf Servern von Vimcar gespeichert, die Nutzer können sie über eine Smartphone-App oder PC-Anwendung verwalten und als PDF ausdrucken.
- Besitzer von Dienstwagen müssen in der App oder am Rechner nach jeder Fahrt angeben, ob sie beruflich oder privat war. Das ist wichtig fürs Finanzamt: Denn je seltener ein Dienstwagen privat genutzt wird, desto weniger Steuern muss der Besitzer dafür zahlen. Der Nachweis hierzu muss mit einem Fahrtenbuch erbracht werden - und statt jede Fahrt mit dem Stift zu Papier zu bringen, erledigt Vimcar die Erfassung automatisch. Das große Versprechen an die Nutzer liegt also in der Ersparnis von Zeit und Aufwand.
Kooperation mit Steuerberatern
Vimcar ist seit etwa einem Jahr auf dem Markt. Andere Unternehmen hatten schon lange vor den Berlinern elektronische Fahrtenbücher im Angebot, zum Beispiel Blaupunkt, Areacontrol, Bury, TomTom oder S-Tec. Udo Reuß, Steuerexperte beim Online-Verbrauchermagazin "Finanztip" , betrachtet die Lösung von Vimcar jedoch als besonders "innovativ und einfach zu installieren".
Vor allem Fahrtenbücher, die nur über die GPS-Anwendung des Smartphones die Kilometerstände ermitteln, seien zu unzuverlässig. Reuß hebt hervor, dass Vimcar den Deutschen Steuerberaterverband als Kooperationspartner vorweisen kann: "Das gewährleistet eine fachmännische Entwicklung." Bei elektronischen Fahrtenbüchern spiele das eine wichtige Rolle, denn um die Auflagen der Finanzämter zu erfüllen, müssen die Lösungen unter anderem sicher vor Manipulationen sein.
700 Euro verlangt Vimcar für seinen elektronischen Fahrtenbuchstecker, laufende Kosten fallen dabei nicht an. Als Alternativangebot gibt es den Stecker jeweils ein Jahr lang zu einer Art Mietpreis von 200 Euro. Nach Angaben von Schneider hat Vimcar derzeit etwa 1500 Unternehmen als Kunden. "Der monatliche Nettoumsatz liegt im sechsstelligen Bereich."
"Unter unseren Nutzern sind viele Kleinunternehmen", sagt Schneider, "Pflegedienste, Kanzleien, Architektenbüros, oft zählen im Schnitt nur zwei bis drei Autos zur Flotte". Laut Schneider testen derzeit jedoch mehrere Konzerne mit einem Fuhrpark von jeweils mehr als zehntausend Fahrzeugen das System von Vimcar. Verlaufen diese Pilotprojekte zufriedenstellend, dürfte im Berliner Hinterhof gefeiert werden.

Andreas Schneider und seine zwei Vimcar-Mitgründer, von links: Christian Siewek (Geschäftsführer), Lukas Weber (Technischer Leiter)
Foto: VimcarMittlerweile interessieren sich auch Autohersteller für den Stecker des Start-ups aus der Hauptstadt. "Die sind überrascht, dass Kunden für einen Connected-Car-Service jährlich 200 Euro auf den Tisch legen", sagt Schneider. Denn so vielversprechend die Vernetzung von Fahrzeugen und das Aufbereiten von Daten auch ist - an funktionierenden Geschäftsmodellen mangelt es in der Industrie noch. Musikstreaming im Auto und automatische Parkplatzsuche klingen zwar nett, aber die Kunden sind bislang nicht bereit, dafür zu zahlen.
Schneider weiß das. Er hat während seines Studiums an der Hochschule St. Gallen ein Jahr lang in einem Connected-Car-Projekt für einen deutschen Autohersteller gearbeitet. "Daraus habe ich zwei Lehren gezogen", sagt er: "Statt sich auf Privatkunden zu konzentrieren, ist es vielversprechender, Lösungen für gewerbliche Fahrzeuge anzubieten - denn die machen den Großteil der Zulassungen in Deutschland aus. Und die Fuhrparks bestehen meistens aus Modellen unterschiedlicher Hersteller - Insellösungen für eine einzige Marke ergeben deshalb keinen Sinn."
"Die Chancen im Connected-Car-Bereich sind riesig", sagt Schneider. Und zwar vor allem dann, wenn sie markenübergreifend ausgeschöpft werden. Also lehnte er das Angebot aus der Industrie ab und macht jetzt sein eigenes Ding.
Das Startkapital für seine Selbstständigkeit erhielt er von Christophe Maire. Der Schweizer Investor unterstützt als sogenannter Business Angel verschiedene Start-ups und gründete selbst mehrere Unternehmen. Aus einem seiner Projekte ging der Kartendienst Nokia Here hervor, für den eine Allianz deutscher Autohersteller - Mercedes, BMW und Audi - vor einigen Monaten einen Milliardenbetrag hinblätterte.
"Blanker Horror"
Schneider führt durch die Büroräume im Berliner Hinterhof. Im Erdgeschoss ist es laut, hier sitzen ein Dutzend junger Leute und wickeln übers Telefon Vertriebs- und Servicegespräche ab. Im ersten Stock, beim Marketing, ist es etwas ruhiger. Auf einem Tisch sind Pappschachteln mit unterschiedlichen Designs ausgebreitet, übersät mit bunten Post-it-Zetteln. "Wir suchen gerade nach der richtigen Verpackung", sagt Schneider. Im zweiten Stock herrscht Stille, drei Programmierer hocken mit Kopfhörern vor ihren Rechnern und klimpern auf der Tastatur Codezeilen für die Stecker-und Server-Software.
"Anfangs war die größte Herausforderung, Daten aus unterschiedlichen Automodellen zuverlässig auszulesen", sagt Schneider. Zum Beispiel musste das System lernen, dass eine kurze Motorabschaltung an der Ampel durch die Start-Stopp-Automatik nicht das Ende einer Fahrt bedeutet. "Es war der blanke Horror", sagt er. Doch nach vielen Tests und der Inanspruchnahme sämtlicher Autos, die Freunde und Familie beisteuern konnten, habe man das Problem in den Griff gekriegt.
Das korrekte Auslesen der Daten über den Stecker ist zwar mühevoll erkämpft, doch Schneider träumt schon davon, dass die Hardware nicht mehr gebraucht wird. Sein großes Ziel ist es, den schwarzen Stecker überflüssig zu machen. "Unser Wunschszenario sieht vor, dass die Vimcar-Software ab Werk im Auto ist. Unser Service könnte dann als App über das Infotainmentsystem gegen einen bestimmten Betrag einfach freigeschaltet werden."
Doch genau dieses Wunschszenario ist bislang der Knackpunkt bei der Vernetzung von Autos. Denn Mercedes, BMW und Co. zögern noch, ihre Fahrzeuge für kleine Anbieter wie Vimcar zu öffnen. Teils zieren sie sich, weil sie hohe Produktansprüche haben und der Technik eines Fremdanbieters nicht trauen; teils sperren sie sich dagegen, weil sie die Kontrolle über die Wertschöpfungskette ihres Produkts nicht preisgeben wollen.
Die Zulieferindustrie der Zukunft
Und dann ist da noch die unterschwellige Angst, dass das Auto als analoges Gut an Bedeutung verliert - und stattdessen die digitalen Sonderausstattungen wichtiger werden. Doch gerade darum geht es beim Thema Connected Car.
Die Autohersteller haben zwar genügend kluge Köpfe in ihren Reihen, um digitale Dienstleistungen um ihr Kernprodukt herum zu entwickeln; aber wenn diese nur in den Modellen der jeweiligen Marke anwendbar sind, ist die Zielgruppe von vornerein eng begrenzt und es ist fraglich, ob sich der Aufwand auszahlt. Start-ups wie Vimcar dagegen haben mit ihrem markenübergreifenden Ansatz viel größere Erfolgsaussichten. So wie die Autohersteller schon längst Bauteile von Unternehmen wie Bosch, Continental oder ZF beziehen, werden sie bald auch digitale Dienstleitungen von den Vimcars da draußen einkaufen: Der kleine schwarze Stecker ist das Produkt einer Zulieferindustrie der Zukunft.
Andreas Schneiders Mutter kann beruhigt sein: Ihr Sohn hat die richtige Entscheidung getroffen.
Zusammengefasst: Dem kleinen Start-up Vimcar scheint zu gelingen, woran große Autohersteller scheitern: Die Entwicklung eines funktionierenden Geschäftsmodells im Connected-Car-Bereich, also der Aufbereitung von Fahrzeugdaten. Das elektronische Fahrtenbuch von Vimcar ist deshalb vielversprechend, weil es erstens einen konkreten Nutzen verspricht - die bequeme Protokollierung von Dienstwagenfahrten fürs Finanzamt - und zweitens herstellerübergreifend funktioniert.