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Erste Hilfe am Unfallort: Helfen statt filmen

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Mangelnde Erste Hilfe Guck mal, der stirbt

Stell dir vor, es passiert ein Verkehrscrash, und keiner hilft. Was sich unwirklich anhört, ist bittere Realität: In 60 Prozent aller Unfälle bleibt Erste Hilfe aus, stattdessen werden Handy-Kameras gezückt. Dabei können selbst einfachste Handgriffe Leben retten.
Von Heiko Haupt

Peter Sefrin ist Notfallmediziner, trägt einen Professorentitel und ist als Bundesarzt der oberste Mediziner des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Vor allem aber ist er auf einer Mission: "Bei 60 Prozent der Unfälle hilft niemand den Verunglückten", sagt Sefrin. Der Mediziner hat aus mehreren Studien Zahlen zusammengetragen, welche die Bedeutung der Ersten Hilfe belegen sollen - und den schlechten Status quo verdeutlichen.

Denn auch wenn die neuen Zahlen des Statistischen Bundeamts zu den Verkehrstoten 2012 optimistisch stimmen - sie könnten noch deutlich verbessert werden, wenn mehr Menschen Erste Hilfe leisten würden. Zwar wissen laut Sefrin immerhin 93 Prozent der Menschen, dass bei der Versorgung Verletzter die ersten Minuten besonders wichtig sind. Doch wesentlich weniger schreiten zur Tat.

Deswegen müssen immer wieder Menschen sterben: Für zehn Prozent der Unfalltoten wäre demnach ein Überleben möglich gewesen, hätte noch vor der Ankunft der Rettungsdienste jemand helfend eingegriffen.

Helfen statt filmen

Die Gründe für die Untätigkeit sind immer die gleichen: ein Mix aus Angst vor Fehlern bei der Behandlung, kombiniert mit der Unwissenheit, was man denn überhaupt machen kann. Das liegt daran, dass ein Erste-Hilfe-Kurs - wenn überhaupt - meist nur im Rahmen der Jahre oder Jahrzehnte zurückliegenden Fahrausbildung absolviert wurde. Das damals ohnehin nicht freiwillig erlangte Wissen ist also längst wieder in den Tiefen des Vergessens versickert. Eine Blutung stillen? Den Patienten in die stabile Seitenlage bringen? Das sollen doch lieber andere übernehmen.

Das Verlassen des Unfallorts ohne Hilfeleistung ist dabei nur ein Problem. "Das gab es schon immer. Schlimmer ist aber die Situation mit Gaffern geworden", berichtet Sefrin. Vor allem die Verbreitung von Smartphones, mit denen die Schaulustigen Bilder oder Videos aufnehmen, hat die Lage verschärft.

"In 16 Prozent der Fälle werden die Rettungsarbeiten durch Schaulustige behindert." Der DRK-Mediziner berichtet aus eigener Erfahrung von einem filmenden Schaulustigen, der im Eifer seiner Dreharbeiten in den Notfallkoffer latschte.

Doch wie kann man die Situation verbessern? Organisationen wie das DRK, der Arbeiter Samariter Bund, die Malteser oder Johanniter wiederholen seit vielen Jahren gebetsmühlenartig den gleichen Vorschlag: in regelmäßigen Abständen einen Erste-Hilfe-Kurs  besuchen, die Kenntnisse auffrischen und so auch die Angst vor der Hilfe verlieren. Leider haben die Appelle keinen nennenswerten Erfolg.

Es gibt immer was zu tun

Dabei kann jeder etwas tun. Alles, was getan wird, ist besser als Nichtstun. Oft wird zum Beispiel laut Professor Sefrin die Absicherung der Unfallstelle unterschätzt, dabei lassen sich dadurch weitere, folgenschwere Unfälle verhindern. Also das Warndreieck nehmen, es in ausreichender Entfernung zum Geschehen platzieren. Ausreichend bedeutet auf Landstraßen rund hundert Meter vor der Unfallstelle, auf Autobahnen 200 Meter.

Und wer sich nicht traut, einen Verletzten zu versorgen, kann wenigstens den Rettungsdienst rufen. Ein Griff zum Handy, die richtige Nummer gewählt, das geht auch ohne Erste-Hilfe-Kurs. Im Prinzip jedenfalls. "Etwa 25 Prozent der Menschen wissen nicht, wo sie anrufen sollen." Die richtige Rufnummer ist die 112, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.

Thomas Ulbrich, Ausbildungsleiter des Arbeiter Samariter Bundes in Hamburg, will Menschen zur Tatkraft ermuntern: "Bereits mit wenig Wissen lässt sich viel erreichen", sagt er. Selbst wer den Begriff stabile Seitenlage nur gehört hat, kann das laut Ulbrich im Ernstfall nutzen: Es geht darum, dass der bewusstlose Mensch auf der Seite liegt und sein Kopf zum Freihalten der Atemwege überstreckt wird.

Auch vor der Wiederbelebung muss niemand Angst haben. Ist eine Wiederbelebung notwendig, ist der Mensch ohne weitere Hilfe tot - der Zustand lässt sich also kaum verschlechtern. Wer also auch mit laienhaftem Wissen irgendetwas unternimmt, erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit auf jeden Fall deutlich mehr als derjenige, der zur Handy-Kamera greift.

Noch besser ist es natürlich, sich die Grundregel "30 zu 2" einzuprägen - also 30-mal Herzmassage, zweimal beatmen bei überstrecktem Kopf, und das Ganze wieder von vorn.

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