Mögliches Autoteilekartell 165 Euro für einen Außenspiegel, der nur zehn Euro wert ist

Wucher mit Ersatzteilen: Autohersteller haben ihre Kunden jahrelang ausgequetscht - mithilfe einer cleveren Software. Nach SPIEGEL-Informationen prüft die EU-Kommission, ob die Konzerne sich abgesprochen haben.
Automechaniker (Symbolbild)

Automechaniker (Symbolbild)

Foto: imago/Science Photo Library

Die Autoindustrie beschäftigt erneut die Europäische Kommission. Noch während die Kartellermittlungen wegen Absprachen bei Dieselabgasen laufen, nimmt Brüssel mehrere Konzerne wegen eines Skandals um Ersatzteile ins Visier - und ermittelt ebenfalls wegen möglicher Kartellverstöße.

Betroffen sind die fünf Hersteller Renault, PSA, Nissan, Jaguar Land Rover und Chrysler. Sie sollen mithilfe des Beratungshauses Accenture Preiserhöhungen von bis zu 25 Prozent erreicht und so einen Gesamtgewinn von 2,6 Milliarden Euro in zehn Jahren erzielt haben, wie der SPIEGEL als Teil des Recherchenetzwerks European Investigative Collaborations (EIC) mit seinen Medienpartnern bereits im vergangenen Sommer berichtet hatte. Die Hersteller und Accenture bestreiten die Vorwürfe.

Nach neuen Informationen hat die EU-Kommission die Untersuchung im Dezember 2018 eingeleitet. Sie gab keinen Kommentar.

Die Wettbewerbshüter stützen sich auf die Enthüllungen des Rechercheprojekts Carleaks, das das EIC seit 2018 betreibt. Dabei hatten die EIC-Partner Unterlagen der Onlinezeitung "Mediapart" aus einem französischen Gerichtsprozess ausgewertet und aufgedeckt, wie Accenture mit einer Software den Autoherstellern zu Preisanstiegen verhalf. Die Unternehmen sollen ihren Kunden Ersatzteile zu überhöhten Preisen verkauft haben.

Preisanstieg um bis zu 300 Prozent

Accenture soll die Preisanstiege mit seiner Software namens Partneo koordiniert haben. Dafür habe das Beratungshaus zwischen 2008 und 2013 den Autoherstellern die Programme erstellt.

Mit Accentures Software kam es laut Unterlagen zu Preissteigerungen von 20 bis 300 Prozent bei einzelnen Komponenten. Demnach filtert ein Algorithmus heraus, was Autobesitzer maximal für Ersatzteile zu zahlen bereit sind. Sonst werden die Preise für Ersatzteile meist mit einem Multiplikator auf die Herstellungskosten berechnet.

Die 2018 bekannt gewordenen Daten über das Accenture-Programm zeigten bereits, wie viel mehr die Autohersteller dank der Software verdienten: So wurde der Rückspiegel des Renault Clio III vor dem Einsatz von Partneo für 79 Euro verkauft, obwohl seine Fertigung nur zehn Euro kostet - die Software verdoppelte den Preis auf 165 Euro. Die Radblende des Dacia Logan, die den Hersteller drei Euro kostet, verkaufte er für 21 Euro. Partneo steigerte diesen Preis um 262 Prozent auf 76 Euro.

Dokumente zeigen Interesse von Ford und VW

Neue Dokumente zeigen, dass Accenture vor rund neun Jahren offenbar auch sensible Informationen mit dem Hersteller Ford geteilt hat. Um Ford zu überzeugen, soll Accenture die Gewinne von drei anderen Herstellern vorgestellt haben, die sie mit der Software der Berater erzielt hatten - und dabei offenbart haben, dass einer von ihnen der Ford-Rivale Renault ist. Das könnte ein ähnlich heikler Austausch konkreter Informationen über Wettbewerber gewesen sein, wie es ihn möglicherweise bei Gesprächen zwischen Accenture und PSA gegeben hatte.

Vertrauliche Informationen

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Accenture sieht keine Grundlage für die Behauptungen. Das Partneo-Tool verfolge öffentlich verfügbare Preise für Ersatzteile, was den Herstellern helfe, fundierte Preisentscheidungen zu treffen. Man gebe keine vertraulichen Informationen eines Kunden an einen anderen weiter, sagte ein Firmensprecher. Accenture halte sich bei seiner Arbeit für seine Kunden an die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und vertraglichen Verpflichtungen. Frühere Überprüfungen dieser Behauptungen durch die Behörden in Frankreich hätten ergeben, dass die vorgelegten Beweise keine weiteren Maßnahmen rechtfertigten.

Ford hat die Software schließlich nicht gekauft, was das Unternehmen bestätigt, ohne weitere Details zu nennen. In einer schriftlichen Zeugenaussage gab ein Zeuge für das Gericht zu Protokoll, dass der US-Autohersteller in Europa eine an Accentures Programm angelehnte Methode zur Preiserhöhung eingeführt habe.

Die Accenture-Berater sollen 2011 auch versucht haben, ein Treffen mit Volkswagen und PSA sowie Renault zu organisieren. Dabei sollten sich die Manager über Ersatzteilpreise austauschen. Ein hochrangiger damaliger VW-Manager soll daran interessiert gewesen sein. Unklar ist, ob das Treffen letztlich stattfand.

Das Interesse bei VW lässt sich auch an anderer Stelle ablesen: Laut den Dokumenten finanzierte der Wolfsburger Autokonzern zwischen September und Dezember 2011 einen Pilottest mit Partneo für 1900 eigene Ersatzteile in Deutschland und Großbritannien. Am Ende entschied sich VW für andere Methoden. Darüber hinaus nahm Volkswagen nicht Stellung.

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