Streit um EU-Abgaswerte Vorfahrt Deutschland

Die deutsche Autolobby stemmt sich erfolgreich gegen härtere Schadstoffwerte für ihre Spritfresser. Strengere EU-Vorschriften sollen schon wieder verschoben werden. Was für die Industrie positiv klingt, könnte sich bitter rächen.
Pkw-Auspuff: Abgasnormen erneut abgeschwächt

Pkw-Auspuff: Abgasnormen erneut abgeschwächt

Foto: Oliver Weiken/ picture alliance / dpa

Brüssel/Hamburg - Seit Monaten wird in Brüssel über strengere Abgasnormen für Autos gestritten, nun haben sich die Verhandlungspartner auf einen Kompromiss geeinigt. Dieser lautet: Die Umweltschutzregeln werden - mal wieder - aufgeweicht.

Zur Debatte stand ein Entwurf, den das Parlament an den Rat gesandt hatte. Er sah vor, im Jahr 2020 endlich den bereits ausgehandelten Zielwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer für Neuwagen festzusetzen. Dieser Wert bezieht sich auf den europäischen Durchschnitt und entspricht einem Verbrauch von knapp vier Litern Sprit.

Doch der Rat unter Federführung Litauens schwächte die Forderung gleich in zwei Punkten ab.

  • Er gewährte den Autokonzernen erstens ein weiteres Jahr Aufschub. Bis 2020 müssen nur noch 95 Prozent der Flotte den Abgaswert erreichen, hieß es. Erst vom 31. Dezember 2020 an sollen die neuen Vorgaben komplett gelten.
  • Zudem können sich Autobauer emissionsfreie Elektrofahrzeuge als sogenannte Supercredits stärker als Entlastung anrechnen lassen. Statt wie bisher geplant 2,5 Gramm pro Jahr fließen dafür in die Berechnung von 2020 bis Ende 2022 bis zu 7,5 Gramm insgesamt pro Kilometer ein.

Das ist ein großer Erfolg für große deutsche Autobauer wie Daimler oder BMW. Sie bauen vor allem schwere und verbrauchsstarke Fahrzeuge und müssen somit größere Anstrengungen unternehmen, um die neuen Schadstofgrenzen einzuhalten.

Punktesieg für Deutschland

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich persönlich in Brüssel mehrfach dafür eingesetzt, den deutschen Autokonzernen mehr Zeit zu verschaffen. Ihr scheidender Staatsminister Eckart von Klaeden wechselt zudem als Cheflobbyist zu Daimler. Das Kanzleramt musste eingestehen, dass Klaeden interne Vorlagen des Bundeskanzleramts zur Regelung des CO2-Ausstoßes von Neuwagen in der Europäischen Union erhalten hatte.

Der deutsche Einfluss ist spürbar. Aggressiv kommunizierte der Rat am Dienstag die Absicht, den Parlaments-Vorschlag zu verwässern. "Ratsvertreter ließen von Anfang an keinen Zweifel daran, dass eine komplette Neuregelung für das Jahr 2020 ausgeschlossen ist", sagten Beobachter der Konsultationen. "Die nahezu kompromisslose Verhandlungshaltung des Rates, hinter der maßgeblich die Interessen von BMW und Daimler stehen, war unangenehm", schimpft Sabine Wils, Europaabgeordnete für Die Linke.

Deutschland hat tragfähige Allianzen geschmiedet. Zwar protestierten auch andere EU-Mitgliedstaaten anfänglich gegen das aggressive Berliner Lobbying für seine heimische Autoindustrie. Staaten wie Italien oder Frankreich produzieren zudem weniger Elektroautos, daher waren sie skeptisch, von Supercredits ähnlich umfangreich wie deutsche Konkurrenten profitieren zu können. Doch dem Kompromiss, dem der Rat noch zustimmen muss, werden sie sich kaum entgegenstellen: Vorfahrt Deutschland.

Industriepolitisch fragwürdige Entscheidung

Fragt sich nur, ob die Aufweichung der Abgaswerte der Industrie langfristig mehr nützt oder mehr schadet. "Mit diesem Kurs erweisen CDU und SPD den deutschen Autobauern mittelfristig einen Bärendienst", sagt Daniel Moser von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. "Die Verschiebung wird sie technologisch zwei Jahre zurückwerfen. "

Andere teilen Mosers Bedenken. Schließlich beschleunigten schärfere Auflagen oft Innovationsabläufe: Die Vorgängerregelung zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes habe "eine wahre Innovations-Initiative ausgelöst", von der Zulieferer und Autohersteller profitiert hätten, schreibt der Experte Ferdinand Dudenhöffer in einem Papier zum CO2-Streit. Ergebnis: "Mit 762.000 Beschäftigten verzeichnet die deutsche Autoindustrie heute ihren höchsten Stand seit der Wiedervereinigung."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren