Selbstversuch Fahrschule Wir schaffen das - schwer zu sagen, wann

Symbolbild
Foto: Patrick Seeger/ picture-alliance / dpa/dpawebIst es wirklich eine gute Idee, mit 54 Jahren noch den Führerschein zu machen? In einem Alter, in dem andere Menschen darüber nachdenken, ihn wieder abzugeben? Das frage ich mich manchmal. Denn wie alt ich sein werde, wenn ich die Prüfung bestanden habe, ist derzeit schwer zu sagen.
Seit vielen Wochen fahre ich an der Seite von Klaus kreuz und quer durch die Uckermark. Klaus ist mein Fahrlehrer, seit über 20 Jahren macht er diesen Job, er ist patent und nervenstark. Sein härtester Fall sei eine 74-jährige Dame gewesen, erzählt er, doch auch die habe es am Ende geschafft.
Klaus und ich verstehen uns inzwischen fast blind. Wenn ich einen Fehler mache, zieht er einmal scharf die Luft durch die Zähne. Leider wache ich nun jede zweite Nacht schweißgebadet auf, denn die Heizung in meiner Wohnung macht ein ganz ähnliches Geräusch.
Eigentlich war das Leben ohne Führerschein ganz okay. Als ich 18 war, hatten meine Freunde nur eins im Sinn: den Lappen machen, so schnell wie möglich. Wir wohnten in einer Kleinstadt im Münsterland, da war ohne Auto wenig zu bestellen. Doch was alle machen, fand ich schon damals doof. Ich ging nach Berlin und gewöhnte mich an Bus und Bahn.
Natürlich kamen immer wieder diese nervigen Fragen: "Na, willste nicht doch irgendwann mal den Führerschein machen?" Ich antwortete: "Wieso? Spätestens mit 30 kann ich mir eine Chauffeurin leisten." Hat nicht geklappt. Irgendwann war ich über 40. Und die Fragen hörten auf.
Zum ersten Mal hätte ich selbst gern am Steuer gesessen
Vor zwei Jahren habe ich mit meinen Eltern eine Reise durch die USA gemacht, von El Paso über den Yellowstone Park bis nach Salt Lake City. Über 3000 Meilen kutschierten mich die zwei, heute beide über 80, durch die Gegend. Als wir mitten in den Rocky Mountains nach zahllosen Serpentinen auf rund 4000 Meter Höhe haltmachten, kam mir der Gedanke, dass ich mich bei meinen Eltern vielleicht mal revanchieren sollte.
Während wir durch die Farbenpracht des Indian Summer fuhren, nein, glitten, auf diesen leeren, breiten Straßen, völlig entspannt mit Tempomat, hätte ich zum ersten Mal in meinem Leben gern selbst am Steuer gesessen.
Im Video: Abgewürgt! Fahranfänger geben Gas
Plötzlich kam es mir seltsam, fast widersinnig vor, dass ich als Filmkritiker Hunderte von Autoverfolgungsjagden gesehen hatte, dass mich James Bond, der tollste aller Raser, als Teenager ins Kino getrieben hatte, ich aber nie den Wunsch verspürt hatte, selbst zu fahren.
Nun habe ich mir in einem Dorf in der Nähe von Templin ein Grundstück gekauft. Dort gibt es keinen Supermarkt, keine Kneipe, immerhin einen Briefkasten. Zweimal am Tag kommt der Bus vorbei. Vielleicht war der Kauf des Grundstücks auch eine Art Zwangsmaßnahme in eigener Sache. Nun führt an einem Führerschein kein Weg mehr vorbei.
Ich fühlte mich wie ein Sitzenbleiber
In den Theoriestunden saß ich unter lauter Halbwüchsigen, einige erst 14 und wild entschlossen, den Mofa-Führerschein zu machen. Ich fühlte mich wie ein Sitzenbleiber, der ungefähr die dreißigste Ehrenrunde dreht.
Doch das Online-Lernprogramm, mit dem ich schon tagelang superstrebermäßig gebüffelt hatte, attestierte mir bereits vor der ersten Theoriestunde Prüfungsreife. Also lehnte ich mich lässig im Stuhl zurück, und wann immer sich im Raum unter all den jungen Leuten Ratlosigkeit breitmachte, gab ich die richtige Antwort. Meistens jedenfalls.
Als Student las ich viele Texte von Immanuel Kant und fand es toll, Sätze zu entschlüsseln, die über zwei Seiten gingen. Bin ich seitdem dümmer geworden? Eine der Prüfungsfragen lautet: "Wann muss ein PKW mit Anhänger außerorts auf Straßen mit nur einem Fahrstreifen für jede Richtung vom Vorausfahrenden einen so großen Abstand einhalten, dass ein Überholender einscheren kann?" Wissen Sie's? Bei Regen? Am zweiten Weihnachtsfeiertag? Oder wenn der rechte Zeh juckt? Seltsamerweise lautet die richtige Antwort: Bei einer Zuglänge über sieben Meter.
Auch 007 kann kein Schaltgetriebe fahren
Verstehen Sie nicht? Scheißegal. Wissen müssen Sie's! Klaus sagt, es soll Fahrschüler geben, die sich für die Prüfung eine Brille besorgen, in der sich eine Minikamera befindet. Die richtigen Antworten werden ihnen dann über einen unsichtbaren Knopf im Ohr eingeflüstert. Sind wir wieder bei James Bond.
Als bekannt wurde, dass 007-Darsteller Daniel Craig kein Schaltgetriebe beherrscht, wurde er in den sozialen Netzwerken verspottet. Klaus lässt mich erst mal in seinem Automatikwagen fahren, danach kommt das Schalten dazu. Meine Freunde sagen mir, nur wer schalte, fahre wirklich Auto.
Komisch, reden nicht gerade alle über selbstfahrende Autos? Mir kommt es so vor, als sollte ich lernen, mit einem Faustkeil Bäume zu fällen. Für mich ist das Schalten eine große Herausforderung, weil ich ein motorischer Idiot bin. Meine Eltern verzweifelten beinahe, als sie mir beibringen wollten, Fahrrad zu fahren. Ich begriff das Konzept der Kurve nicht und fuhr immer nur geradeaus.
Wir schaffen das
Das mit den Kurven funktioniere schon ganz gut, sagt Klaus, als wir durch Potzlow fahren. Er zeigt aus dem Fenster. Da drüben hätten vor vielen Jahren ein paar Rechtsradikale einen jungen Mann durch einen Tritt ins Genick getötet, erzählt er. Okay, denke ich, hier baue ich besser keinen Unfall.
Als ich das Ortsschild von Templin passiere, schalte ich runter und freue mich wie Bolle auf die 30-Kilometer-Zone. Wir passieren den Rathausplatz und die Maria-Magdalenen-Kirche, in der Angela Merkel getauft wurde. Ihre 90-jährige Mutter lebt noch immer hier und lehrt an der Volkshochschule Englisch. Die Kanzlerin hat eine Datsche in der Nähe und bekam Anfang Februar im Rathaus von Templin die Ehrenbürgerinnen-Urkunde überreicht.
Als Merkel vor Jahren gefragt wurde, ob sie Auto fahren könne, antwortete sie, sie habe es mal gelernt. Leider habe sie durch ihr Amt bedingt wenig Praxis und würde sich höchstens auf Feldwege wagen. Also, liebe Kanzlerin, Klaus wäre für das Aufbauseminar perfekt. Der bringt es jedem bei, sogar mir. Wir schaffen das.