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Ferrari F12 Berlinetta: Sanfter Extremist

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Autogramm Ferrari F12 Berlinetta Alarmstufe Rot

Der neue F12 Berlinetta ist der stärkste und schnellste Ferrari, den man ohne Rennlizenz bewegen darf. Wenn man hinterm Steuer sitzt, beschleicht einen das Gefühl von automobiler Allmacht. Dabei fährt sich der Bolide so leicht wie ein ganz normaler Fiat.

Der erste Eindruck: Nicht quatschen, fahren! Wer vor diesem Auto steht, will keine langen Reden hören. Den interessiert nicht, mit welchen Tricks die Ingenieure mehr Sauerstoff in die zwölf Zylinder des Saugmotors pressen, wie sie die Balance verändert und die Bremsen bissiger gemacht haben. Man sieht das Rot, die lange Haube, die schlanke Taille, das breite, kurze Heck und man streckt die Hand aus nach dem Schlüssel. Es ist wie ein Reflex. Dann einsteigen, den Motor anlassen - und fahren. Alles andere kann warten.

Das sagt der Hersteller: Firmenchef Luca di Montezemolo nennt den F12 den besten Ferrari aller Zeiten. Kein Straßenmodell aus Maranello sei je stärker, schneller und schlauer gewesen als der Nachfolger des F 599. Selbst der legendäre Enzo kommt dem 740 PS und 690 Nm starken Topmodell auf der Hausstrecke in Fiorano nicht hinterher. Und trotzdem ist der F 12 kein brettharter, kompromissloser Straßenrenner. "Es ist immer der Fahrer, der an seine Grenzen kommt. Nie das Auto", sagt Ferrari-Sprecherin Joanne Marshall.

Die brachiale Gutmütigkeit des Wagens ist Resultat raffinierter Technik. Das Coupé wurde im Vergleich zum Vorgängermodell um ein paar Zentimeter beschnitten, die neue Alu-Karosserie wiegt 70 Kilo weniger und der 6,3 Liter großen Frontmotor wurde ein paar Zentimeter weiter hinten und unten platziert, um eine leicht hecklastige Balance zu erreichen. Dazu kommt eine spezielle Aerodynamik. Statt das Design mit Schwellern und Flügel zu verschandeln, erfanden die Ferrari-Ingenieure die sogenannten Aero-Bridges. Durch diese beiden armdicken Löcher zwischen Motorhaube und Kotflügel streift so viel Luft, dass der Wagen von zusätzlichen 50 Kilogramm Anpressdruck auf den Asphalt geklebt wird.

Ach ja, ganz am Ende kommen die Entwickler auch auf den Verbrauch zu sprechen. Der ist gegenüber dem Vorgänger um 30 Prozent gesunken. Bei jedem anderen Hersteller wäre das eine Sensation, für Ferrari und wohl auf für die Ferrari-Kunden ist es eher eine Randnotiz.

Das ist uns aufgefallen: Nur ein kleines Zucken mit dem rechten Fuß genügt, um das eben noch gelassen blubbernde Kraftwerk förmlich explodieren zu lassen. Egal, mit welcher Drehzahl und in welchem Gang man gerade unterwegs ist: in weniger als einem Wimpernschlag schießt der Wagen nach vorn, als würde sein Drehmoment nie enden. Die rote Nadel im Drehzahlmesser springt geradezu bis zum Limit von 8700 Touren und der viel zu kleine Tacho kommt mit dem Hochzählen kaum hinterher. Von 0 auf 100 in 3,3 Sekunden, Tempo 200 nach 8,5 Sekunden und mehr als 340 km/h Spitze - es ist Autofahren im Superzeitraffer.

Was fasziniert, ist aber nicht allein der Vorwärtsdrang, sondern die phänomenale Querbeschleunigung. Messerscharf folgt der F12 der Straße und wirkt dabei nie nervös - ganz im Gegensatz zum Fahrer. Das Auto reagiert penibel auf jede noch so kleine Lenkbewegung, dreht sich so lässig in schnelle Kurven wie ein Kleinwagen im Parkhaus und lässt kurz vor dem Kurvenausgang dem Heck ein bisschen Auslauf, ehe sich der Wagen wie von selbst wieder gerade stellt und zum nächsten Sprint ansetzt. Ein paar solcher Passagen reichen aus, um automobile Allmachtsphantasien anzuregen.

Dabei steht das Manettino, jener Lenkradschalter für die Abstimmungscharakteristik noch auf der Grundstellung "Sport". Wechselt man auf "Race", wird das Fahrwerk straffer, das Auto reagiert noch schneller und es wird alles noch irrer. Jetzt auch noch die Positionen "CT OFF" (fahren ohne Traktionskontrolle) und "ESC OFF" (fahren ohne jede Elektronikassistenz) ausprobieren? Nein danke, es reicht.

Das wirklich Verrückte am F12 ist die Lässigkeit, mit der sich diese Spitzenleistungen abrufen lassen. Wer bei Tempo 200 mit voller Kraft bremst, steht nach aberwitzigen 131 Metern still. Doch es geht auch völlig entspannt mit dem Wagen. Bei Tempo 80 im sechsten Gang säuselt der Motor sanft mit 1200 Touren, das adaptive Fahrwerk bügelt die Grobheiten des Fahrbahnbelags glatt und man begreift, dass dieser Ferrari sogar als Alltagsauto taugen würde. Bequeme Sitze, ausreichend Platz und der Kofferraum ist größer als bei einer Mercedes C-Klasse.

Was bei ruhiger Betrachtung noch auffällt, ist eine bislang unerreichte Sorgfalt bei den Details. Vorbei die Zeiten, als man im Ferrari Fiat-Schalter fand und die Zierkonsolen schon nach einem kritischen Blick wackelten.

Das muss man wissen: In vier Wochen beginnt die Auslieferung der ersten Serienmodelle, und es ist fast schon zu spät für Interessenten. Weil erfahrene Ferrari-Kunden beim Kauf eines neuen Modells bereits den Blankoscheck für das jeweils nächste deponieren, ist der F12 bis Ende 2013 bereits weitgehend ausverkauft. Die Wartezeit hilft vielleicht dabei, die 268.400 Euro Kaufpreis anzusparen.

Das werden wir nicht vergessen: Die Lust, mit der man den F12 über Landstraßen treibt, mit Kurvenpassagen, die hoffentlich nie enden. Als der Pförtner in Maranello am Ende des Tages den Schlüssel zurück fordert, fühlt man sich fast verloren. Aus der Traum. Vielleicht spendet jetzt ein Gespräch über Resonanzsaugrohre, die hydrogeformte Abgasanlage, die Keramikbremsen oder computergesteuerte Magnet-Öle in den Dämpfern ein bisschen Trost.

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