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Flugtaxi Ehang 216 Zehn Meter in die Zukunft

Das autonome Flugtaxi mit E-Motor ist die Zukunft, behauptet die Luftfahrtbranche. Ein chinesischer Hersteller sagt: Es ist schon die Gegenwart. Er lädt zur Europapremiere - und lässt ein paar Journalisten fliegen.

Es ist eine verlockende Vorstellung: Unten stauen sich die Autos, die Straßen sind verstopft. Kein Vorankommen auf dem Weg zur Arbeit oder vom Flughafen in die Innenstadt. Man steigt deshalb einfach in eine eiförmige, weiße Designkapsel, und schon hebt die Drohne ab und fliegt einen automatisch, also ohne Pilot, zum Ziel. Kosten: nicht viel mehr als ein normales Taxi.

Es klingt wie Science-Fiction, aber Ehang, ein chinesischer Hersteller von autonomen Luftfahrzeugen, behauptet, das sei schon heute Realität. In der Stadt Taizhou fliegen seit ein paar Monaten einige Drohnen im Testbetrieb und transportieren Passagiere. "Ein paar Hundert Flüge" habe man schon absolviert, sagt Derrick Xiong, Mitgründer des Unternehmens. "Technisch ist dieses Luftfahrzeug so gut wie serienreif."

Mit acht Armen und 16 Rotoren in die Zukunft

Der 29-Jährige ist nach Wien gekommen, um das Modell Ehang 216 im Fußballstadion vorzustellen: eine zweisitzige Drohne mit acht Armen und 16 Rotoren, die autonom fliegen kann. Es ist Europapremiere, eine Handvoll Journalisten ist eingeladen, einmal mit der Drohne zu fliegen. Die Akkus, die es derzeit auf dem Markt gibt, reichen für 50 bis 75 Kilometer, das Gerät könne maximal 150 km/h fliegen, sagt Xiong.

Etwa die Hälfte der Reporter und Kameraleute zweifelt, ob sie überhaupt in das Ding einsteigen sollen. Und damit wird eine von drei großen Herausforderungen deutlich, die es bei den "AAV", die Kurzform für "Autonomous Aerial Vehicle" gibt: die fehlende Akzeptanz bei den Menschen. Sind solche Fluggeräte ohne Pilot überhaupt sicher? Studien zeigen, dass die Mehrheit der Menschen Flüge ohne Piloten ablehnt. Gerade in jüngster Vergangenheit ist das Vertrauen in die Technik durch Abstürze des Flugzeugmodells Boeing 737 Max 8 aufgrund von Softwareproblemen nicht gerade gestiegen.

FPÖ-Minister will Tausende Drohnen für Österreich

"Ja, das ist in der Tat eine Hürde, die wir nehmen müssen", räumt auch Xiong ein. "Es wird immer Leute geben, die Vorbehalte haben. Aber es gibt auch immer mehr Menschen, die in dieser Art von Mobilität die Zukunft sehen", sagt er. Die Pressevorführung, sagt er unumwunden, diene auch dazu, die Drohnen bekannt zu machen und Vertrauen zu gewinnen.

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Testflug im Ehang 216: Zehn Meter in die Zukunft

Foto: JOE KLAMAR/ AFP

In Österreich kooperiert Ehang mit dem Flugzeugkomponentenhersteller FACC. Der österreichische Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), ausgebildeter Flugtechniker, gilt als treibende Kraft. "Wir wollen in dieser Technologie ganz vorne dabei sein", sagt er. Derzeit, und das ist die zweite große Herausforderung, arbeite man daran, die gesetzlichen Voraussetzungen für den Betrieb zu schaffen. "Das ist ja keine österreichische Angelegenheit, sondern wir arbeiten mit der europäischen Luftfahrtbehörde zusammen." Er sei überzeugt, dass das Regelwerk noch in seiner jetzigen Amtsperiode als Minister durchgesetzt werde. "In Österreich werden dann Tausende Drohnen fliegen!", sagt er euphorisch.

Viel Lärm und keine Schalter

Unklar ist bislang, wie der Luftraum reguliert werden soll und welche Infrastruktur benötigt wird. Landeplätze auf Hochhäusern? So etwas wie Bushaltestellen? Oder richtige Lufttaxi-Bahnhöfe? Wie soll die Massenabfertigung aussehen? Und wie wird die Sicherheit gewährleistet, wie verhindert, dass Terroristen die Lufttaxis kapern? Oder dass sich jemand ins System hackt und die Steuerung übernimmt? Was, wenn es während des Flugs einen medizinischen Notfall gibt, der eine Notlandung erforderlich macht? Xiong sagt: "Mit Autos geschehen ja auch Unfälle. Dennoch stellt niemand das Autofahren infrage."

Endlich ist es so weit: Immer zwei Journalisten dürfen im Viertelstundentakt einsteigen und einen Probeflug machen. Ich sitze also in der Kapsel, vorne zwei schwarze Bildschirme, die wie Tablets aussehen. Ansonsten kein Knopf, kein Schalter. Als die Propeller ihre Arbeit aufnehmen und das Lufttaxi abhebt, verstehe ich mein eigenes Wort nicht mehr. Die Drohne steigt senkrecht auf, ein unsicheres Gefühl entsteht dabei nicht. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass Xiong vorher noch versichert hat, dass von den 16 Rotoren sieben ausfallen können, ohne dass ich abstürzen würde.

Kurzer Flug mit sanfter Landung

Eine gute Minute schwebt die Drohne in der Luft, auf der Stelle. Leider fliegt sie nicht vorwärts, auch nicht sonderlich hoch, vielleicht zehn Meter. Schon gar nicht verlässt sie das Stadion, an einen Rundflug über Wien ist überhaupt nicht zu denken. "Es gibt ja noch keine Zulassung", sagt jemand von FACC. Und so endet der autonome Flug, der eher ein autonomer Hüpfer war: einmal zehn Meter hoch, dann wieder runter - ein wenig enttäuschend. Immerhin, man landet sanft. Dass die Maschine tatsächlich Strecke machen kann, sieht man in Videos aus China. Es seien echte Aufnahmen, keine Computeranimationen, betont ein Ehang-Manager.

Mehr als hundert Projekte dieser Art gibt es weltweit, beteiligt sind Branchenriesen Airbus und Boeing, der Hubschrauberhersteller Bell, Autokonzerne wie Daimler und Audi, der Fahrdienstvermittler Uber sowie Start-ups wie Volocopter  und Lilium. "Der Markt ist riesig", sagt FACC-Chef Robert Machtlinger. "Am Ende werden vielleicht zehn Prozent überleben." Ehang, glaubt er, werde dabei sein. Immerhin hätten die Chinesen schon vor Jahren die erste bemannte Drohne der Welt überhaupt vorgestellt. "Und Ehang zählt zu den Top-Ten-Start-ups von China."

Hört man Managern der Konkurrenz zu, reden sie in ähnlichen Superlativen von sich. Und auch von ihren Produkten gibt es eindrucksvolle Videos.

"Klar ist", sagt Machtlinger, "dass das Lufttaxi weder U-Bahn noch Auto ersetzen wird." Es werde lediglich eine Ergänzung sein, "allerdings zu einem Preis, den sich nicht nur Reiche leisten können", betont er. "Jährlich werden etwa 50 Millionen Autos gebaut. Bei Lufttaxis rechnen wir ab dem Jahr 2030 mit 20.000 bis 30.000 Stück pro Jahr."

Manche Experten sehen die Entwicklung durchaus kritischer und verweisen auf das dritte große Problem: Die Fahrzeuge verbrauchten eine Menge Strom, zudem sei die Herstellung von Batterien problematisch. Die Umweltbilanz sei insgesamt keineswegs so toll, wie es die Hersteller erzählen. Bis Lufttaxis serienreif seien, werde es mindestens bis zum Jahr 2050 dauern. Aber ein Hirngespinst seien sie nicht. "Es wird kommen", sagt zum Beispiel Manfred Hajek, Professor für Hubschraubertechnologie in München. In fünf Jahren würde er sich jedenfalls noch nicht reinsetzen.

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