
Hochräder: Der etwas andere Thron
Herausforderung Hochrad Bei Gefahr abspringen
Wer Radfahren kann, kann noch lange kein Hochrad fahren. Auf dieses altertümliche Gefährt steigt man nicht einfach auf. Man muss das Fahren lernen. "Am Besten mit einem Lehrer", sagt Achim Knorr, der auf seinem Hochrad schon einige tausend Kilometer pedaliert ist.
Die Theorie ist simpel: Man nimmt das hintere, kleine Rad zwischen die Füße, fasst den Lenker, setzt die linke Fußspitze auf den Aufsteiger, stößt sich mit dem rechten Fuß kräftig ab, lässt sich in den Sattel gleiten, setzt die Füße auf die Pedale und tritt sofort los.
Die Praxis sieht anders aus: Man liegt fast auf dem Rad, bevor man den Lenker zu fassen bekommt. Der Fuß tastet nach dem Aufsteiger, der sich mit 60 Zentimeter Höhe gefühlt auf Steigbügelhöhe eines großen Pferdes befindet. Ein beherzter Schwung gen Sattel befördert einen nicht zwangsläufig in denselben, denn die Beine stoßen an den Lenker. Sitzt man endlich, sucht man die Pedale, die ungewohnt mittig unter dem Sattel angebracht sind. Wer jetzt noch nicht gestürzt ist, stellt fest: Ein Hochrad ist hoch, sehr hoch.
Hoch durch Europa
Achim Knorr mag das. Auf seinem Sattel rund 1,40 Meter über dem Boden fühlt er sich wohl. "Es hat etwas königliches in dieser Höhe durch die Landschaft zu gleiten", sagt er. Aus dieser Perspektive schaut sich Knorr Europa an. Mit Hochradfahrern aus ganz Deutschland trifft er sich bei internationalen Rallyes oder zu gemeinsamen Fernfahrten.
Darunter zum Beispiel eine Frankreichfahrt mit einer Distanz von 300 km und eine zwölftägige Tour von Passau nach Budapest. Bei dieser Ausfahrt legten sich täglich 70 bis 90 Kilometer zurück. Einige von ihnen in traditioneller Kleidung, meist auch auf traditionellen Routen. Wie etwa die 1100 km lange Strecke von Gerlingen nach Budapest, die bereits von Thomas Stevens, der von 1884 bis 1886 auf einem Hochrad um die Welt gefahren ist, bereist wurde.
Leichter werden die Reisen dadurch nicht. Statt auf ebener Strecke an der Donau entlang zu gleiten, pedalierte Knorr mit seinen Freunden quer durch Österreich. Die 20 bis 25 Kilo schweren Velos mussten sie oft die Berge rauf und runter schieben. "Bergab muss man genau wissen, welches Gefälle man meistern kann", sagt Knorr. Beim Hochrad sind die Pedale starr mit der Achse verbunden. Das heißt: Es gibt weder Freilauf noch Rücktrittbremse. Sobald das Rad rollt, drehen sich die Pedale.
Gebremst wird über die Pedale
"Es ist ein sehr gleichmäßiger und angenehmer Tritt", sagt Knorr über die Technik. Eine richtige Bremse gibt es nicht. Die Bremse am Lenker hat lediglich eine Alibifunktion, verzögert wird durch Gegentreten auf die Pedale. Wer beim Bergabfahren zu schnell wird, dem bleibt nur der Notabstieg: Füße weg von den Pedalen und springen.
"Das kann man nicht üben, das ist ein Reflex", sagt Knorr. Er weiß wovon er spricht. Auf einer seiner Hochradreisen löste sich plötzlich bei seinem Vordermann das Gummi von der Felge. Die über vier Meter lange Vollgummischlange blockierte Knorr den Weg. Als sein Vorderrad das Hindernis erwischte, war Knorr war bereits in der Luft. Er ließ sein Velo los und sprang mit einem Satz über die Leitplanke ins Gebüsch. "Ich hatte Glück", sagt er. Er hatte lediglich eine kleine Prellung, sein Oldtimer dagegen keinen Kratzer.
Die Panne war schnell behoben. "An einem Hochrad kann nicht viel kaputt gehen", sagt Knorr. Sie reparierten den gerissenen Vollgummireifen mit Sekundenkleber, dann ging es weiter.
Knorr ist auf dem Hochrad ein alter Hase. Vor 25 Jahren saß er zum erstmals auf dem filigranen Velo mit den rennraddünnen Reifen. Er machte sich keine Gedanken übers Auf- und Absteigen und schon gar nicht über das Kurvenfahren. Vielleicht war das sein Glück. Jedenfalls stieg er damals ohne Probleme auf ein kleines, 38-Zoll-Hochrad mit einem Raddurchmesser von 97 cm, und fuhr sofort los.
Ehefrau in Angst
"Es war natürlich ungewohnt", gibt er zu. Aber sein Lehrer hatte die Strecke gut gewählt: Immer am Rhein entlang, geradeaus und topfeben. Jedes Schlagloch und jeder große Kiesel, der Anfänger leicht zu Fall bringt, war gut zu umrunden. Seitdem träumte er von einem eigenen Hochrad. Doch seine Frau bremste ihn. Zu gefährlich, lautete ihr Urteil. Ihre Angst hatte Gründe. Kaum war das Hochrad um 1870 erfunden worden, wurde es in vielen Städten schon wieder verboten. Viele der wohlhabenden Fahrer waren gestürzt und hatten sich tödlich verletzt. Ein Sicherheitslenker, der sich beim Sturz nach vorn selbstständig von der Stange löste, sollte später das Schlimmste verhindern.
Auf einem Oldtimer-Fahrradmarkt fand Knorr 1991 dann sein erstes Hochrad. Ein 50-Zöller, stark angerostet, 105 Jahre alt, Vorder- und Hinterrad schrottreif. 1200 Mark hat er dafür bezahlt. Die Felge und Speichen der Räder erneuerte er selbst, die Nabe restaurierte ein Freund. Als es fertig war, übte Knorr das Fahren. Heimlich. Als er es konnte, führte er seiner Frau seine Fahrkünste vor. Seitdem fährt Knorr regelmäßig. Auch schon mal ein Rennen.
Aber das ist nicht seine Welt. "Viele die dort mitfahren sind Radrennfahrer, Muskelpakete, die Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 40 km/h fahren. Das ist nicht sein Stil. "Mit einem Hochrad ist man zwar zügig unterwegs, aber es ist ein gemütliches Fahren ohne jeglichen Stress", sagt er und sehnt sich nach der nächsten Ausfahrt.