Margret Hucko

Kostenloser Nahverkehr Gratis gibt es nicht gratis

Die Bundesregierung erwägt einen kostenlosen Nahverkehr. Doch die gute Idee wird aus den falschen Motiven ins Spiel gebracht.
Feinstaub-Messstation in Stuttgart

Feinstaub-Messstation in Stuttgart

Foto: Daniel Naupold/ picture alliance / Daniel Naupold/dpa

Es klingt wie eine kleine Revolution: Die Bundesregierung denkt darüber nach, den öffentlichen Nahverkehr kostenlos zu machen. Bus und Bahn nutzen zum Nulltarif - wer wird da schon protestieren? Schwarzfahrer gibt es nicht mehr, lästiges Ticketlösen fällt weg. Alles super? Nicht ganz. Denn die gute Idee wird aus den falschen Gründen ins Spiel gebracht.

Natürlich ist es richtig (und überfällig!), den öffentlichen Nahverkehr zu stärken. Gratis-ÖPNV scheint dabei der konsequenteste Ansatz; ein Statement im Autofahrerland, von dem nicht nur die Umwelt, sondern vor allem Menschen profitieren, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind.

In Zeiten von Luftverschmutzung und drohenden Fahrverboten zählt zudem jeder Großstädter, der sein Auto stehen lässt. Besonders diejenigen, die sich hoffentlich von den klimatisierten Ledersitzen im Luxus-SUV auf die Polster der S-Bahn bequemen. Es gibt Untersuchungen, die genau diesen Effekt bezweifeln. Kostenloser ÖPNV würde Radfahrer und Fußgänger in die Busse locken, heißt es. Doch davon sollte sich die Regierung nicht abschrecken lassen.

Denn zu groß wäre der Gewinn, wenn der Umstieg klappt: Im Vergleich zum privaten Pkw, der im Schnitt 1,5 Personen durch die Gegend kutschiert, schneiden die öffentlichen Verkehrsmittel in allen Punkten sauberer ab - beim Treibhausgas CO2, bei gefährlichem Feinstaub und den für die Atemwege belastenden Stickstoffoxiden. Mit Ausnahme von veralteten Linienbussen, die dringend einer Nachrüstung durch Katalysatoren bedürfen.

Wo bleibt das Verursacherprinzip?

Je niedriger die Hemmschwelle liegt, in den Bus zu steigen, desto größer die Wahrscheinlichkeit der Nutzung. Fast jeder kennt vermutlich die verzweifelte Suche nach Kleingeld für die Bahn, das vergessene Passwort für die Nahverkehrs-App. Wer dann ein Auto vor der Tür stehen hat, zögert nicht lange.

Trotzdem hat die Idee einer Demokratisierung der Mobilität, der kostenlosen Freiheit auf Schienen, einen Haken. Der Vorstoß von Umweltministerin Barbara Hendricks, Verkehrsminister Christian Schmidt und Kanzleramtschef Peter Altmaier beim EU-Umweltkommissar Karmenu Vella kommt ja nicht von ungefähr. Wegen anhaltender Überschreitung der EU-Luftqualitätsgrenzwerte in 70 deutschen Städten droht Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Verursacher der schlechten Luft sind nachweislich Diesel-Pkw.

Und da wären wir beim Punkt. Wo bleibt das Verursacherprinzip bei der Finanzierung? Zwar liegt noch kein belastbares Konzept vor, doch darf vermutet werden, dass am Ende der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Zwar ist es aus ökologischer und sozialer Sicht sinnvoller, Abgaben für Busse und Bahnen zu zahlen statt für die Instandhaltung von Straßen. Doch der kostenlose ÖPNV käme noch on top.

Und das kostet eben Geld. Wie groß die finanzielle Belastung für die öffentlichen Kassen wäre, rechnete der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) am Beispiel der Hansestadt vor. Der HVV erziele durch Fahrscheinverkäufe jährlich rund 830 Millionen Euro, sagte ein Sprecher. Diese Mittel müssten bei einem Gratis-Angebot zusätzlich vom Steuerzahler aufgebracht werden.

Die Allgemeinheit soll für ein Versagen der Verantwortlichen zahlen

Dabei gehören die Verantwortlichen in die Pflicht genommen - und das wäre die betrügerische Autoindustrie. Doch diese hat sich mit 250 Millionen Euro am Fonds für saubere Luft in den Städten freigekauft. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Politik wieder einmal die Allgemeinheit für ein Versagen der Pkw-Konzerne zahlen lässt. Als sei der Preis für die Dieselschummeleien nicht schon hoch genug: die Gesundheit vieler Menschen.

Es wäre schade, wenn die gute Idee des Gratis-ÖPNV durch das unlauter erscheinende Motiv der Politik Schaden nehmen würde. Deshalb der Vorschlag: Gratis-ÖPNV machen und durch Autoindustrie und -fahrer finanzieren lassen - durch höhere Steuern auf Dieselkraftstoff und dem Wegfall des Dienstwagenprivilegs!

Allein durch die Begünstigung von Diesel gehen dem Staat laut Umweltbundesamt 7,8 Milliarden Euro jährlich verloren. Damit ließen sich die Ticketpreise im Öffentlichen Nahverkehr schon deutlich reduzieren. Dann wäre Deutschland schon ganz nah dran am neuen Traum der freien Fahrt - mit Bus und Bahn.

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