Navigationsunterricht an Schulen "Das Gefühl für den Raum ist weg"

Autofahrer bedient ein Navigationsgerät
Foto: Tobias Hase/ dpaMan kennt diese Geschichten: Lkw-Fahrer vertraut blind seinem Navi und reißt eine Brücke ein; Fahranfängerin gehorcht ihrem Navi aufs Wort und landet auf einer Wiese; Seniorinnen biegen von der Bundesstraße auf einen Waldweg ab - weil ihr Navi es ihnen befahl.
Wegen solchen Geschichten sieht sich der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Reinhold Strobl jetzt dazu veranlasst, einzugreifen. Strobl fordert, Kartenlesen müsse in der Schule wieder mehr geübt werden. Bei der Ausbildung zum Führerschein solle das Finden von Wegen eine größere Bedeutung bekommen. Er schlug außerdem Aufklärungsinitiativen vor, um Unfälle aufgrund eines irreleitenden Navigationsgeräts zu verhindern.
Hat Reinhold Strobl recht? Haben wir die Orientierung verloren, am Lenkrad und überhaupt?
Norbert Fritz muss die Antworten auf solche Fragen wissen. Er führt den Kompasshersteller C. Stockert & Sohn in Rednitzhembach bei Nürnberg. Das Traditionsunternehmen ist seit 1850 im Geschäft. Fritz, 45, ist seit sechs Jahren Inhaber. Ein Gespräch über die Kunst des richtigen Ankommens.
SPIEGEL ONLINE: Herr Fritz, was halten Sie von dem Vorschlag, Navigationsunterricht in der Schule einzuführen?
Fritz: Grundsätzlich eine gute Idee. Die Navigationsgeräte arbeiten ja meist fehlerfrei, das Problem ist der Benutzer. Autofahrer neigen dazu, die gesamte Verantwortung einem elektronischen Gerät zu übertragen. Ein bisschen muss man schon auch die Plausibilität prüfen. Einfach gesagt: Wenn man links vom Rhein entlang fährt und das Navi sagt 'Jetzt rechts abbiegen', sollte man sich vergewissern, dass eine Brücke kommt.
SPIEGEL ONLINE: Ist uns die Kulturtechnik der Orientierung verloren gegangen?
Fritz: Ja. Es ist nun mal einfacher und gleichzeitig präziser, sich mit einem Navigationsgerät zu orientieren als mit Karte und Kompass. Man braucht diese Hilfsmittel heute meistens nicht mehr.
SPIEGEL ONLINE: Aber ohne Navi sind viele Leute dann völlig hilflos.
Fritz: Klar, viele Menschen haben keine Vorstellung mehr von der Welt um sich herum, das Gefühl für den Raum ist weg.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Fritz: Schon mit den Himmelsrichtungen sind viele überfordert. Wenn man heute eine Gruppe von Schülern fragt, wo Norden ist, dann weiß das ein Großteil wahrscheinlich nicht mehr sofort.
SPIEGEL ONLINE: Sie bieten unter anderem Autokompasse an. Wie gut verkaufen die sich?
Fritz: Null.
SPIEGEL ONLINE: Null?
Fritz: Wir haben seit sechs Jahren keinen einzigen Autokompass verkauft. Und ich kann mich nur an eine einzige Anfrage erinnern. Autokompasse werden bei uns nicht mehr produziert.

Kugelkompass fürs Auto
Foto: Wellenshop.deSPIEGEL ONLINE: Wer hatte die früher gebraucht?
Fritz: Ich vermute mal, das waren vor allem Jäger, die bei der Fahrt im Gelände nachts die grobe Richtung wissen mussten. Oder vielleicht Leute, die in Autos Expeditionen in der Wildnis unternahmen.
SPIEGEL ONLINE: Tragen Sie persönlich einen Kompass bei sich?
Fritz: Nein, bei Tageslicht kann ich mich in der Regel auch ohne Kompass orientieren. Beim Pilzesammeln im Wald finde ich auch auf fremden Wegen wieder zu meinem Auto.
SPIEGEL ONLINE: Hat Ihr Auto ein Navi?
Fritz: Ja.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich damit schon mal verfahren?
Fritz: Oh ja! Das war vor ungefähr sieben Jahren… Auf der Autobahn bei Augsburg wurde damals eine Anschlussstelle umgebaut. Darauf war ich nicht eingestellt, und mein Navi auch nicht. Da bin ich prompt falsch abgebogen und musste noch mal zurückfahren.
SPIEGEL ONLINE: Ist doch nicht so schlimm.
Fritz: Ja, aber als ich an die Stelle zurückkam, bin ich wieder falsch abgebogen.