Forderung nach strengeren Tests Mehrere Behörden nach Abgasaffäre unter Druck

Audi-Fahrzeug auf einem Prüfstand: "Verschwendung von Mitteln"
Foto: AVLEin Abteilungsleiter des Umweltbundesamtes hat der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem VW-Skandal vorgeworfen, eine Erhöhung der Sterblichkeit in Deutschland zu tolerieren. Die Regierung habe seit langem gewusst, "dass das, was auf der Straße passiert", nicht mit Ergebnissen aus den Abgastestbetrieben übereinstimme, sagte der Leiter der Abteilung Umwelthygiene in der Behörde, Andreas Gies, der SWR-Sendung "Report Mainz". "Ich denke, dass wir uns klar sein müssen, dass wir eine Erhöhung der Sterblichkeit tolerieren", sagte er.
Diskrepanzen beim Abgasausstoß sind der Bundesregierung dem Bericht zufolge seit Jahren bekannt. In der schriftlichen Antwort auf eine Anfrage von "Report Mainz" habe die Bundesregierung eingeräumt, dass sie seit 2010 Kenntnis von den Abweichungen zwischen Laborwerten und Messungen auf der Straße gehabt habe. Diese seien jedoch "noch kein Beleg für Manipulationen".
Die EU-Kommission habe der Bundesregierung jedoch in einem vertraulichen Schreiben vom Juni diesen Jahres vorgeworfen, "keine geeigneten Maßnahmen" getroffen zu haben, um die schädlichen Stickstoffdioxid-Emissionen schnellstmöglich zu begrenzen, heißt es in dem Bericht weiter. Der SPIEGEL hatte bereits über das Schreiben der Kommission berichtet.
KBA sei "unfähig und unwillig"
Auch von Seiten mehrerer Verkehrsexperten wurde am Dienstag Kritik sowohl an der Bundesregierung als auch am Kraftfahrtbundesamt (KBA) laut. Große Automobilklubs forderten vor dem Hintergrund des Abgasskandals bei Volkswagen, alle Modelle im normalen Straßenbetrieb zu testen. Solche Tests seien notwendig und auch finanzierbar, sagte der Leiter des ADAC-Technikzentrums, Reinhard Kolke, bei einem Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion in Berlin. Der ehemalige Abteilungsleiter beim Umweltbundesamt, Axel Friedrich, nannte Messungen auf einem Prüfstand "eine Verschwendung von Mitteln". Entgegen der Argumentation der Industrie ließen sich Emissionen "sehr gut auf der Straße messen".
Es sei ein "fundamentales Problem", dass Autokonzerne in der Regel selbst die Abgaswerte ihrer Fahrzeuge prüften, sagte Friedrich. Für die Zulassung ist dann das Kraftfahrtbundesamt zuständig. Die Behörde taugt in den Augen der Experten jedoch nicht als Aufsicht der Autohersteller. Das KBA habe sich in dieser Hinsicht bisher "unfähig und unwillig" verhalten, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch. Der verkehrspolitische Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland, Gerd Lottsiepen, bezeichnete das KBA ebenfalls als "nicht die richtige Behörde" dafür.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verteidigte bei dem Fachgespräch in Berlin hingegen die Tests unter Laborbedingungen. VDA-Geschäftsführer Ulrich Eichhorn wehrte sich gegen die Kritik an standardisierten Abgastests. "Auf der Straße spielt zum großen Teil der Zufall eine Rolle", sagte er. Neben dem Wetter und dem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer beeinflusse auch die Verkehrsführung den Schadstoffausstoß eines Fahrzeugs. Das Verkehrsmanagement mancher Städte beruhe auf dem "Abschalten von 'grünen Wellen'" und auf "Verkehrsbehinderung", sagte Eichhorn.
Industriekommissarin will neues Testverfahren rascher einführen
Dagegen herrscht im EU-Parlament ebenfalls die Ansicht, dass in Europa so schnell wie möglich realistische Abgastests eingeführt werden sollten. Dies forderten mehrere Parlamentarier am Dienstag in Straßburg. Eine unabhängige, EU-weite Typengenehmigungsstelle sollte rasch angegangen werden, sagte die Belgierin Kathleen Van Brempt im Namen der Sozialdemokraten.
Der Skandal sei nicht aus "heiterem Himmel" gekommen, meinte auch die Kovorsitzende der Grünen-Fraktion, Rebecca Harms. Der Testzyklus funktioniere nicht, dies müsse die EU-Kommission zugeben. Das Problem seien nicht zu strenge Auflagen, sondern mangelhafte Kontrollen gegen Schummelei, sagte der CDU-Abgeordnete und Umweltexperte Peter Liese.
Die Kommission habe bereits vor zwei Jahren ein neues Testverfahren unter echten Fahrbedingungen vorgeschlagen, sagte EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska Bienkowska. Nun werde die Prozedur für deren Einführung beschleunigt. Noch vor Jahresende werde sie einen Zeitplan für eine Neuregelung vorlegen, versprach die Kommissarin. Dazu würden die bisherigen Pläne im Lichte der VW-Affäre überprüft und gegebenenfalls nachgebessert.