
Bikesharing: China greift an
Bikesharing Geräderte Großstädte
Verbogen, verkratzt, verschmutzt - defekte Fahrräder türmen sich zu einem Berg aus Lenkern, Rahmen und Reifen. Ursprünglich sollten die Menschen im chinesischen Shenzhen auf diesen Rädern abgasfrei durch die Stadt fahren. Doch das Bild ist ein Beleg dafür, wie ein zukunftsweisendes System aus dem Ruder laufen kann. Den Anbietern wuchs die Instandhaltung über den Kopf. Beschädigte Räder wurden nicht repariert und stehen nun als rollender Metallschrott in Parks und am Straßenrand.
Was chinesischen Städten Ärger bereitet, steht deutschen Kommunen möglicherweise bevor. Auch hierzulande hat ein harter Wettbewerb zwischen Bike-Sharing-Anbietern aus Asien begonnen. In München verschandeln die ersten Schrotträder das Stadtbild.
Beobachter schlagen Alarm. Die Zweirad-Einkaufsgenossenschaft (ZEG), eine Initiative von 1000 Händlern, wirft den Anbietern Verantwortungslosigkeit vor. "Eine milliardenschwere Ressourcenverschwendung", sagt Sprecher Franz Tepe. Ein Transportsystem, das ökologisch und nachhaltig sein soll, werde damit in sein Gegenteil verkehrt.
Kritik kommt auch vom Zweirad-Industrie-Verband. Er wirft den neuen Anbietern vor, dass ihre Fahrräder nicht verkehrssicher seien. "Das haben Überprüfungen ergeben, die wir vorgenommen haben", sagt Sprecher David Eisenberger. Mängel habe man unter anderem bei der Lichttechnik festgestellt.
Wettbewerber wirbeln Markt auf
Leihfahrräder werden in den von Abgas und Stau geplagten Metropolen seit Jahren beliebter. In vielen Ballungsräumen sind sie eine Alternative zu Autos oder Bussen und Bahnen. Als eine der ersten europäischen Städte richtete Paris 2007 ein flächendeckendes System mit festen Stationen in der Stadt ein.

Erfolgreich etabliertes Fahrradleihsystem in Paris
Foto: EPA / HORACIO VILLALOBOS / DPAIn Deutschland teilten sich lange Zeit zwei Anbieter einen Großteil des Marktes. Der eine heißt Call-a-bike und gehört der Bahn. Er bietet 13.000 Räder in 50 Städten an und ist damit ähnlich groß wie der Konkurrent Nextbike. Ärger gab es selten.
Bis 2009 wachten die deutschen Städte ohnehin streng über den Aufbau von Leihfahrrad-Systemen. Das ging solange gut, bis Call-a-bike den Zuschlag für die Stadt Hamburg bekam und Nextbike daraufhin sein System eigenmächtig aufstellte. Die Stadt Hamburg klagte - und verlor. Seitdem ist der Weg frei für einen wilden Wettbewerb, der 2017 noch einmal angezogen hat.
Die neuen Konkurrenten aus Asien heißen Mobike, Obike, Ofo oder Yobike. Sie stellen Tausende farbige Fahrräder mit knuffigem Rahmen, Vollgummireifen und einfacher Technik in europäischen Städten auf. Mobike aus China ist der größte Anbieter. Allein in der Volksrepublik verteilte er innerhalb eines Jahres 4,5 Millionen Leihräder in 80 Städten.
Sowas geht heute ziemlich schnell. Denn dank smarter Technik müssen die Firmen ihre Räder nicht mehr an feste Stationen anbinden, sondern können sie nach dem Gießkannenprinzip im Stadtgebiet verteilen.
Kunden registrieren sich wie beim Onlinehändler mit ihren Kontodaten und schalten per Smartphone die am Straßenrand stehenden Räder frei, indem sie einen daran angebrachten QR-Code einscannen. Am Ziel steigen sie ab, beenden die Fahrt per App, worauf das Rad funkgesteuert verriegelt wird - bis der nächste Kunde es freischaltet.
PR-Desaster in München
Mobike hat 2017 in Manchester sein erstes Leihfahrradsystem in Europa gestartet. Der flinke Konkurrent Obike aus Singapur ist in Deutschland seit Sommer vor Ort. In Frankfurt am Main ist die Firma aus Singapur mit 1200 Rädern vertreten, 688 sind es in Berlin und 500 in Hannover. Wichtigster deutscher Standort von Obike ist München mit knapp 7000 Fahrrädern.

Obike in München - erste Anzeichen von Chaos
Foto: imago / Sven SimonFlorian Paul, Radverkehrsbeauftragter der Stadt, ist davon wenig begeistert. Zwar hat München bereits Erfahrung mit frei verfügbaren Leihrädern. Neben Call-a-bike betreibt die städtische Verkehrsgesellschaft ein System gemeinsam mit Nextbike. Rund 3000 Leihräder standen den Münchnern auf diese Weise bislang zur Verfügung. Damit gab es nie Probleme. "Ihre Zahl ist langsam gewachsen und seit langer Zeit gleich hoch", sagt Paul. Die Bürger konnten sich so an die Räder am Straßenrand gewöhnen.
So viel Zeit ließ Obike den Münchnern nicht. Innerhalb von Wochen verteilte das Unternehmen seine 7000 Räder im Stadtgebiet. Ohne enge Absprache mit der Verwaltung und ohne die Bevölkerung zu informieren. Pressearbeit? PR-Kampagne? Nichts dergleichen! An manchen Plätzen wurden auf einen Schlag mehr als 20 Räder abgestellt. Die Münchner fühlten sich überrumpelt - was nun unschöne Folgen hat. "Wir stellen fest, dass Räder mutwillig beschädigt werden", berichtet Paul. Bremskabel würden durchschnitten, manchmal sogar Räder in Seen und Flüsse geworfen. Räumt Obike den Schrott weg? "Aus meiner Sicht sind die Bemühungen nicht ausreichend", sagt Paul.

Florian Paul, Radverkehrsbeauftragter der Stadt München
Foto: Jan KliewerObike wollte sich nur schriftlich zu der Kritik äußern. Durch die hohe Zahl der Fahrräder wolle man den Münchnern eine echte Alternative zum Auto bieten. Denn nirgendwo in Deutschland stünden sie solange im Stau wie in der bayerischen Hauptstadt. Auch den Vorwurf, dass kaputte Räder achtlos liegengelassen würden, will das Unternehmen nicht auf sich sitzen lassen. "Obike arbeitet mit Mobilitätspartnern zusammen, die mehrmals am Tag ausrücken, um beschädigte Räder einzusammeln und zu reparieren sowie Fahrräder, die verkehrswidrig geparkt wurden, umzuverteilen."
Undurchsichtige Geschäftsmodelle
Fest steht, dass der Aufwand enorm ist, Leihfahrradsysteme ohne öffentliche Hilfe rentabel zu betreiben. In der Branche ist man überzeugt, dass die neuen Anbieter ein anderes Geschäft im Auge haben: das Geschäft mit Daten. Denn die Systeme zeichnen ein genaues Bewegungsprofil der Fahrradkunden auf. Dies könnte zum Beispiel genutzt werden, um ihnen an der richtigen Stelle Werbung aufs Smartphone zu spielen.
Obike bestreitet, es auf die Daten seiner Kunden abgesehen zu haben. "Obike verkauft keine Daten und hat daran auch zukünftig kein Interesse." In der Datenschutzerklärung finden sich tatsächlich keine Hinweise darauf. Anders sieht es beim Konkurrenten Mobike aus. Aus der zehnseitigen Datenschutzerklärung geht hervor, dass die erhobenen Daten weitergegeben würden. Mobike-Sprecher Steve Milton sagte dem SPIEGEL, dass ein Verkauf von personenbezogenen Daten an Dritte nicht vorgesehen sei. Er räumte aber ein, dass sein Unternehmen die Daten sehr wohl auswerte. Immerhin verfüge Mobike über acht Millionen Leihfahrräder in der ganzen Welt, die alle mit dem Internet verbunden seien. "Unsere Daten zeigen, wo die Fahrräder genutzt werden." An den Informationen über Verkehrsströme seien Kommunen und Stadtplaner sehr interessiert. Mobike hat im November sein Bikesharing-System in Deutschland gestartet und in Berlin 700 Fahrräder aufgestellt.
Ein weiterer Hinweis, dass Informationen in dem Geschäft eine Rolle spielen, zeigt die Liste der Investoren. Der chinesische Apple-Zulieferer Foxconn investierte ein Vermögen in Mobike, 600 Millionen Dollar kamen vom chinesischen Medienkonzern Tencent. Ein Investor von Ofo ist wiederum Alibaba, ein chinesischer Medienkonzern, vom dem Hunderte Millionen Dollar kamen. Ausgestattet mit so viel Kapital bauen die Firmen ihr Geschäft aus.
Dem Image von Mobike konnten die Schlagzeilen bislang nichts anhaben. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP verlieh dem chinesischen Unternehmen den Titel "Champion of the Earth 2017". Mit ihrer höchsten Umweltauszeichnung wollten die UN honorieren, dass Mobike zur Weiterentwicklung von kohlenstoffarmen öffentlichen Verkehrsmitteln beitrage.
Für die deutschen Fahrradhändler ist das ein Skandal. Um zu protestieren, trat die ZEG im Dezember aus der UN-Initiative Global Compact (UNGC) aus. In dem Pakt hatten sich weltweit Tausende Unternehmen zusammengeschlossen - um an Seite der Vereinten Nationen die Globalisierung sozialer und ökologischer zu gestalten.