Neue Ansätze in der Verkehrssicherheit Ausweitung der Knautschzone
Sushi, Wurst, Knäckebrot und Baguette beim Crashtest. Baguette gewinnt. Der Werbespot der Firma Renault ist noch nicht alt, aber genießt schon Kultstatus. Es ist den Werbestrategen gelungen, ein starkes Bild dafür zu finden, was umgangssprachlich eine Knautschzone genannt wird, und diese über ein nationales Stereotyp dauerhaft mit der französischen Automarke zu verknüpfen. Deutsche, japanische und schwedische Testobjekte geraten auf spektakuläre Weise völlig außer Form. Sie bestehen den Crashtest nicht, weil ihre Konsistenz sich als ungeeignete Mischung aus Steifigkeit und Deformierbarkeit erweist. Die hohe Energie eines Aufpralls kann nicht absorbiert werden.
Für die Forschung an Knautschzonen für Fahrzeuginsassen wird seit langem sehr viel Geld ausgegeben. Unverzichtbar für diese Forschung ist der Crashtest, in dem Personen durch "Crashtest Dummies" ersetzt werden, um biomechanische Schnittstellen zu erforschen. Technische Entwicklungen, die daran anschlossen, waren lange durch Einschränkungen bestimmt. So ging es bis vor kurzer Zeit nur um die Schnittstelle zwischen Autos und Fahrzeuginsassen. Die Sicherheit von Verkehrsteilnehmern außerhalb der Autos spielte bei Forschung und Entwicklung dagegen eine stark untergeordnete Rolle. Eine weitere Beschränkung besteht bis heute darin, dass zunehmend raffinierte Ausweitungen der Knautschzone nur die "passive Sicherheit" erhöhen: Sie dienen lediglich der Abschwächung von Unfallfolgen. Aber wäre es nicht besser, wenn Verkehrsunfälle von vornherein vermieden werden könnten?
Fortschritt der passiven Sicherheit
Die Fixierung auf passive Sicherheit hält an, obwohl sich auch ein Gegenpol um den Begriff der "aktiven Sicherheit" formiert hat. Aktive Sicherheit heißt, dass Unfälle gar nicht erst passieren. Ziel ist es, Sicherheitsabstände zwischen den einzelnen Verkehrsteilnehmern und zu anderen Hindernissen zu programmieren. Wenn dies in verlässlicher Weise gelingt, wären herkömmliche Knautschzonen überflüssig. Zweifellos fließt ein Großteil privater und öffentlicher Forschungsmittel inzwischen in die Entwicklung solcher ferngesteuerter Lösungen. Dies hat auch zu einigen Komponenten-Innovationen geführt, die die Sicherheit grundsätzlich erhöhen. Unter dem Schlagwort "elektronische Knautschzone" bietet zum Beispiel ein Automobilkonzern eine Kombination aus video- und radargestützter Fahrzeugumfelderkennung, Abstandsregeltempomat und automatischer Abbremsfunktion für Fahrzeuge der Oberklasse an.
Der Übergang von einer Philosophie der lokalen Verminderung von Unfallfolgen zu einer Systemvision bleibt jedoch außer Reichweite. Es ist bezeichnend, dass Automobilkonzerne praktisch durchgehend mit passiver Sicherheit werben. Lässt dies den Schluss zu, dass sie zu den Gewinnern der passiven Sicherheit gehören? Solche übergeordneten verkehrsökonomischen Fragen wurden bislang nicht einmal gestellt. Es gibt zwar Schätzungen über volkswirtschaftliche Kosten von Verkehrsunfällen. Aber wer verdient an Unfällen? Wer würde verlieren, wenn sich das System der aktiven Sicherheit durchsetzt? Eine umfassende Bewertung der passiven Verkehrssicherheit hinsichtlich ihrer Kosten und Gewinnspannen steht allenfalls am Anfang. Dieses Versäumnis hat zur Kontinuität der alten Konstellation der Sicherheitsforschung beigetragen, die durch das Bild der Knautschzone repräsentiert wird.
Sinkende Opferzahlen
Die passive Sicherheitsforschung ist mit einer Fortschrittsgeschichte verbunden, die mit der Einführung des Sicherheitsgurtes beginnt und mit Hinweisen auf immer raffiniertere "Crashtest Dummies" endet. Es ist unbestreitbar, dass neben der Verschärfung von Promillegrenzen keine Maßnahme nachweislich so viele Verkehrstote eingespart hat wie die Einführung der Gurtpflicht. Eine vergleichsweise simple Nachrüstung (und einiger disziplinarischer Aufwand) haben daher eine eingängige Geschichte des "natürlichen Fortschritts" der Verkehrssicherheit begründet.
Schwerer zu isolierende Faktoren dafür, dass trotz stark zunehmender Kilometerleistungen in den meisten westlichen Ländern sinkende Opferzahlen zu vermelden sind, bleiben dagegen im Dunkeln. Unterhalb der Maßnahmen zur Nachrüstung und zum Ausbau von Knautschzonen und jenseits der Verschärfung von Strafen gibt es noch eine andere Art der "aktiven" Verkehrssicherheitsforschung, die weder auf staatliche Eingriffe noch auf technische Innovationen zurückgeht.
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Sicherheitsforschung außerhalb des Labors
Täglich entwickeln und testen Millionen von Verkehrsteilnehmern neue Formen und immer virtuosere Strategien der Unfallvermeidung; sie kalkulieren mit den Reaktionsfähigkeiten anderer Verkehrsbeteiligter, sammeln und evaluieren Daten über die Eigenheiten und Schwächen ihrer Fahrzeuge, bilden Routinen aus und verwerfen sie wieder. Solange diese Leistungen nicht sichtbar gemacht und von der Politik aufgegriffen werden, wird die Erfolgsstory der Knautschzone blind fortgeschrieben. Denn der Ort, an dem bisher über die biomechanische Schnittstelle "verhandelt" wird, liegt jenseits politischer Foren: in den Laboranlagen für Crashtests.
Während der Werbespot der Firma Renault den Crashtest als unabhängige Instanz einfach bestätigt, beschäftigt sich David Cronenbergs Film "Crash" aus dem Jahr 1996 mit Crashtests, die außerhalb von Labors und ohne "Crashtest Dummies" durchgeführt werden. Vaughan, der Testleiter, betreibt Unfallforschung mit einem Ansatz, der sich eher als Feldforschung charakterisieren lässt: Zwar ist er wie seine Kolleginnen und Kollegen diesseits der Leinwand damit befasst, Informationen über Unfälle zu sammeln und zu ordnen. Sein Verfahren der Zusammenführung und Analyse dieser Daten reduziert aber die Vielfalt der Unfallhergänge nicht auf wiederkehrende Schemata.
James Deans Todesfahrt
Er untersucht Unfälle nicht auf durchschnittliche oder typische Muster hin, die dann auf bestimmbare Einflüsse zurückgeführt werden könnten. Sein Erkenntnisinteresse gilt vielmehr dem Extremfall. Er konzentriert sich auf strikt singuläre und besonders spektakuläre Unfälle. Diese Unfälle, etwa James Deans Todesfahrt von 1955, werden vor Publikum nachgestellt. Vaughans Strategie, Unfälle vergleichbar zu machen und die Vorstellung zu widerlegen, jeder Unfall sei eine unerklärliche Ausnahme, besteht also in einer sorgfältig inszenierten Verdopplung. Während die Öffentlichkeit der Renault-Crashtests eine Laborsituation bezeugt, in die Botschaft ausschließlich mit technischen Apparaturen hergestellt wird, werden in den Crashtests bei Cronenberg konkrete historische Unfälle von Menschen nachgestellt, die durchaus verletzbar sind.
Der Film thematisiert die wechselseitige Durchdringung von menschlichen und mechanischen Körpern und setzt sie eindringlich ins Bild. Werden normalerweise Schnelligkeit und die glatte Perfektion der Karosserie mit Erotik und Potenz in Verbindung gebracht, so eint die Gruppe um Vaughan die bizarre Lust an der Kollision und geborstenem Metall. In Cronenbergs Science-Fiction-Film, wo Unfälle sexualisiert werden und Sex mechanisiert wird, gilt das Dogma der Knautschzone nicht.
Das ist verstörend, aber noch aus einem weiteren Grund unheimlich. Es wird nicht nur die Grenze zwischen technischen und menschlichen Körpern ständig verletzt. Es wird auch eine institutionelle Grenze aufgehoben. Die ausgefeilten Versuchsanlagen werden diesseits von Labormauern aufgebaut und sind darum illegal. Die Behörden versuchen, diese Experimente rigoros zu unterbinden.
Wenn es gelingt, den Eindruck zu korrigieren, dass Autos nur in Laboren getestet werden, könnte das Paradigma der Knautschzone Risse bekommen. Eine Anerkennung und Problematisierung der ganz privaten Sicherheitstaktiken im Straßenverkehr brächte die Diskussion um Verkehrssicherheit voran.