
Parkplatz-Fotografie Eine Frage der Leere

SPIEGEL ONLINE: Herr Chmil, wann sehen Parkplätze besonders gut aus?
Erik Chmil: Wenn sie leer sind.
SPIEGEL ONLINE: So wie auf allen Bildern Ihrer Serie "Solitude". Darüber würden sich viele Autofahrer freuen. Wann findet man leere Parkplätze?
Erik Chmil (*1968) arbeitet als Fotograf seit Jahren für die Automobilbranche. Am Rande seiner Aufträge fing er an, Bilder von Parkplätzen aufzunehmen. Er lebt in Köln. erik-chmil.de
Chmil: Meistens sonntags morgens. Selbst in Manhattan ist Samstag auf Sonntag und auf Montag fast kein Auto auf den Parkplätzen zu finden. Ich mag es, wenn das erste oder letzte Licht des Tages auf diese Flächen treffen, die Laternen noch leuchten, der Himmel langsam blau wird. Diese Momente sind magisch.
SPIEGEL ONLINE: Die Parkplätze sind auch deswegen so schön, weil das, was fehlt, eher unschön ist.
Chmil: Das ist eine Frage des Standpunktes.
SPIEGEL ONLINE: Na ja, viele Menschen finden, dass Autos Lärm machen und die Umwelt verpesten.
Chmil: Mir geht es bei meinen Fotos nicht darum, anzuprangern, was Mobilität mit den Städten und unserem Klima macht. Dafür gibt es andere Fotografen, deren Aufnahmen uns anregen, vielleicht doch nur noch Rad zu fahren.
SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie beim Durchblättern Ihres Buchs nie das Gefühl: Das ist eine Utopie, so könnte die Welt ohne Autos aussehen?
Chmil: Es stimmt, bei einigen Aufnahmen denkt man: Was ist, wenn jetzt alle Autos zurückkommen? Ich bin beruflich oft in China, da kommt man schon ins Grübeln: Der Verkehr dort ist enorm. Ich habe sehr viele Anläufe gebraucht, um mal eine leere Parkfläche zu finden. In Shanghai oder Bejing braucht man, egal wohin man fährt, pro Strecke eine bis anderthalb Stunden im Verkehr. Wer es sich leisten kann, hat eine Limousine mit Fahrer, um die Stunden im Stau zu nutzen. Weil Stadtraum so teuer ist, werden Parkplätze unter die Erde gelegt, zudem sind sie wesentlich enger als etwa in den meisten Gegenden der USA.
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18.01.2021 23.48 Uhr
Keine Gewähr
SPIEGEL ONLINE: Automobilkritik ist vermutlich auch deshalb nicht Ihre Sache, weil Sie als Werbefotograf Geld damit verdienen, die Schönheit von Automobilen zu zeigen.
Chmil: Das stimmt, es wäre unglaubwürdig, wenn ich mit anderen Fotos plötzlich Autos anprangern wollte. Ich will vielmehr zeigen, dass alles eine besondere Schönheit hat, wenn man genauer hinschaut. Auch Beton, der brachial in die Landschaft gesetzt wurde.
SPIEGEL ONLINE: In der Tat wirken viele Ihrer Bilder wie Sehnsuchtsorte - eben weil da keine Autos sind.
Chmil: Nehmen Sie das Bild aus Palermo an der Küste: Man denkt ans Meer, an Sommer, Freiheit, Beziehungen. Da ist alles drin. Aber wenn man aus rein romantischer Sicht die Landschaft dort fotografiert, ohne den Parkplatz, lässt man meiner Meinung nach das Wichtigste weg. Denn ohne Auto wäre kaum jemand dort. Ein Parkplatz ist ein Raum in einer Szene, wie eine Bühne: Hier gibt es ein Kommen und Gehen, Menschen treffen sich.
SPIEGEL ONLINE: Vor allem bedeutet ein Parkplatz immer: Es gibt einen Grund, dort hinzufahren. Aber was sind die Gründe?
Chmil: Abgesehen von einer schönen Aussicht? Das wird in Los Angeles am deutlichsten, deswegen habe ich mit der Serie auch dort angefangen. Man merkt relativ schnell: Alles ist so angelegt, dass ich jederzeit überall mein Auto abstellen kann, an jeder Ecke gibt es einen riesigen Parkplatz, um möglichst kurze Fußwege zu Versorgungsstationen, Geschäften, Starbucks-Drive-Throughs zu haben.
SPIEGEL ONLINE: Was macht einen Raum eigentlich zum Parkplatz?
Chmil: Eine Markierung, die mir zeigt: Hier kann ich in einer gewissen Ordnung mein Auto abstellen. Auf Sizilien werden die Linien einfach per Hand gemalt, in den USA oder in Deutschland undenkbar. Es gibt aber auch das andere Extrem: Parkplätze, die nur aus Schotter bestehen.
SPIEGEL ONLINE: Wie am Rande der Atacama-Wüste in Chile: das erste Bild in Ihrem Buch.
Chmil: Da gibt es keinerlei Linien, kein Schild. Es ist ein großer Platz, auf dem Lkw, die aus der Atacama-Wüste über den Pass nach Bolivien fahren, über Nacht stehen. Irgendwann war der mal leer. Ohne das Wissen, dass da vorher Wagen standen, hätte ich den Platz nie fotografiert.
SPIEGEL ONLINE: Sie fotografieren seit 20 Jahren für diese Serie. Wie haben sich Parkplätze verändert?
Chmil: Mein Eindruck ist, dass stärker versucht wird, das Auto wegzugestalten, den Parkraum zu verstecken. Autos irgendwo unterzubringen ist wichtiger denn je. Aber individuelle Mobilität wird sich bald ändern, sie kann nicht weiter funktionieren wie bislang. Wenn Carsharing und andere Ansätze wichtiger werden, wird das auch den Parkraum verändern. Aber das dauert sicher noch 20 Jahre.
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Ligurien
Ein Unikat: Weil es das einzige Bild im ganzen Buch ist, auf dem ein Mensch zu sehen ist. "Der alte Herr spazierte ganz langsam am Strand entlang. Er kam auf mich zu und wollte wissen, wieso ich die kaputte Mauer fotografiere", erzählt Chmil. Diese Aufnahme stehe für ihn auch deshalb für Parkplätze als Orte solch kleiner Begegnungen.
Pueblo
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts: Dass dieser Parkplatz am Rande eines Wohngebiets der einstigen Stahlstadt Pueblo in Colorado so märchenhaft wie aus der Zeit gefallen wirkt, täuscht. "Normalerweise stehen da dicke, glänzende SUVs", erzählt Chmil.
Chicago
Alles leer, sogar die Werbetafel. Irgendwo im Niemandsland zwischen Flughafen und Downtown Chicago entdeckte Fotograf Erik Chmil dieses Parkdeck. Und einen fantastischen Blick auf die Skyline der Stadt im Sonnenaufgang.
Cefalu
Und unten der Strand: "Diese Aufnahme drückt für mich italienisches Lebensgefühl aus", so Erik Chmil und meint damit die schöne Aussicht und den melodramatischen Himmel über dem Parkplatz im sizilianischen Cefalu. Auf der Insel arbeitete er immer wieder wochenlang sie sei für Werbeaufnahmen für die Autobranche beliebt. Wegen der Vulkanlandschaft, den grünen Hügeln im Frühling. Und der alten Rennstrecke durch die Bergdörfer: Die Targa Florio ist ein Klassiker.
Barcelona
Platz im letzten Tageslicht: "Er ist wie eine Bühne mitten in der Stadt", sagt Erik Chmil. "Und zwar für die Autofahrer und die Bewohner in den Häusern drumrum." Diesen Parkplatz ließ er ausnahmsweise sperren Barcelona sei einfach zu voll, so der Fotograf.
Hongkong
Sieht aus wie eine Szene aus Blade Runner. Ist aber Hongkong. "Der Parkplatz ist das Oberdeck eines Fährterminals und Einkaufszentrums", erzählt Chmil. "Wenn man links runter schaut, liegen dort lauter Monsterkreuzfahrtschiffe vor Anker". Sein Tipp: Egal in welcher Stadt, bei Parkhäusern mit dem Aufzug immer ganz nach oben fahren. "Das mache ich jedes Mal und bekomme die überraschendsten Ausblicke."
Palermo
Markiert von Mülltonnen: "Allein dieses Detail zeigt uns, dass hier auf dem Parkplatz direkt am Strand sonst einiges los ist", so Chmil. Und dass man zu diesem Ort an der Küste Palermos selten alleine pilgert, las er noch aus anderen Schnipselresten, die er fand: aufgerissene Kondompackungen und ausgedrückte Zigarettenstummel.
Chicago 2012
In den Ohren Stadtgetöse, vor den Augen die Stille von Chicago: "Ich finde es wahnsinnig schön, wie hier der grafisch ruhige Parkplatz Ordnung ins Großstadtwirrwarr bringt", sagt Chmil.
Dallas
Ritzensport: Hier holt sich die Natur ihren Raum zurück. Wieso dieser Parkplatz offenbar nicht mehr gebraucht wird, wisse er nicht, sagt Chmil. Aber er stehe für so viele Orte in Texas, wenn von einem Straßenmeter zum nächsten die Großstadt zu Ende sei und vor einem nur noch plattes Land.
L.A. 2012
Hat Seltenheitswert in L.A.: Am Stadtrand fand Erik Chmil einen Park-and-Ride-Parkplatz. Eine Schnellbahnstation und eine Bushaltestelle liegen um die Ecke. "Mir ging es aber eigentlich um das Filigrane dieser Betonstelzen, unter denen der Parkplatz liegt", erzählt er.
L.A. 2006
Parken XXL: Diese extra langen Parktaschen seien für Trucks mit Trailer, erzählt Fotograf Chmil. Typisch Downtown L.A.: Er fotografierte von einem anderen Parkhaus direkt daneben. Ihm gefällt das Mysteriöse dieser Aufnahme besonders: Wieso sind diese zwei Betonpoller links verrutscht? Und kommen da gleich Autos von oben ins Bild gefahren?
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