Abgasaffäre bei Porsche "Kunden bewusst hinters Licht geführt"

Nach der SPIEGEL-Enthüllung zu drastisch erhöhten Stickoxid-Werten eines Porsche Cayenne fordern Verbraucherschützer und Umweltverbände Konsequenzen. Befeuert wird auch die Debatte über Diesel-Fahrverbote.
Porsche-Autos in Leipzig

Porsche-Autos in Leipzig

Foto: Candy Welz / Arifoto Ug/ picture alliance / dpa

Ausgerechnet Stuttgart ist das Epizentrum des Umweltskandals um Stickoxid-Konzentrationen in deutschen Städten. Nirgends sind die Werte des gesundheitsgefährdenden Abgases höher, nirgends werden die Grenzwerte, auch beim Feinstaub, an so vielen Tagen des Jahres gerissen wie am Neckartor, dem Herzen der baden-württembergischen Landeshauptstadt.

Schon Anfang nächsten Jahres könnten hier Fahrverbote für Diesel kommen. Deshalb entbehren die Enthüllungen über zu hohe Abgaswerte eines Porsche Cayenne nicht einer gewissen Ironie: Die Ingenieure aus Stuttgart-Zuffenhausen können die Wirkung ihrer Tricks mit Abschalteinrichtungen vor der eigenen Haustür beobachten. Und die Mitarbeiter, die in Stuttgart wohnen, sind gesundheitlich direkt betroffen.

Seit den SPIEGEL-Enthüllungen ist klar, dass der Abgasskandal längst nicht vorbei ist - erst recht nicht für Porsche: Der TÜV Nord stellte bei einem Labortest eines Cayenne deutlich erhöhte Stickoxidwerte fest. Experten zufolge sind die Diesel-Modelle dieses Geländewagens mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet, die offensichtlich dafür sorgt, dass der Geländewagen im Straßenverkehr weit mehr giftige Abgase ausstößt als zulässig (lesen Sie die ganze Geschichte hier bei SPIEGEL Plus).

Ein Porsche-Sprecher erklärte in einer ersten Reaktion, der beim TÜV Nord vorgenommene Test sei "für Porsche nicht plausibel nachvollziehbar", der Cayenne V6 TDI beinhalte "gemäß unseren vorliegenden Informationen keine unzulässigen Abschalt- oder Umschalteinrichtungen".

"Plausible Erklärung für hohe Stickoxid-Konzentrationen"

Bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat der SPIEGEL-Bericht aufhorchen lassen: "Was dort beschrieben wird, ergibt eine weitere, sehr plausible Erklärung für die hohen Stickoxid-Konzentrationen in Stuttgart und anderswo", sagt Geschäftsführer Jürgen Resch.

Der Porsche Cayenne besitzt laut Experten einen als vermeintliches Aufwärmprogramm getarnten Modus, in dem er bei Typzulassungstests die geforderten Grenzwerte einhält. Doch wie Fahrtests zeigten, habe dieses Programm nichts mit dem Aufwärmen des Getriebes oder des Motors zu tun.

"Hier wird deutlich, dass der Wagen, sobald er auf der Straße fährt, das im Test verwendete Schaltprogramm verlässt und dann hohe Schadstoff-Emissionen produziert", analysiert Resch, dessen Organisation mit einer Klage die Diskussion um Fahrverbote in Stuttgart erst in Gang gebracht hatte. Das Verkehrsministerium müsse jetzt schnell eigene Untersuchungen einleiten.

Der Präsident des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller, sieht jetzt Konzern und Regierung in der Verantwortung: "Auch fast zwei Jahre nach Beginn der Abgasaffäre werden Kunden offenbar weiter bewusst hinters Licht geführt", sagte der oberste Verbraucherschützer des Landes dem SPIEGEL: "Mit Porsche ist nun das dritte Mitglied der Volkswagen-Markenfamilie von dem Skandal betroffen."

Müller geht hart mit dem Volkswagen-Konzern und dessen Vorstandschef Matthias Müller ins Gericht: "Offenbar hält der Volkswagen-Konzern es nicht für nötig, sein Verhalten grundlegend zu ändern, sondern macht in aller Ruhe weiter und spielt auf Zeit", sagte der Verbraucherschützer.

Sein Verband setzt sich seit Ausbruch der Diesel-Affäre im Jahre 2015 dafür ein, dass Kunden mit Autos, deren Abgassysteme nachweislich manipuliert worden sind, eine Entschädigung bekommen. "Zum Jahresende werden viele VW-Kunden ihre aus dem Abgasskandal resultierenden Ansprüche durch Verjährung verlieren. Es sei denn, sie erheben bis dahin Klage", erinnert Müller und fordert den VW-Konzern auf, diese Frist zu verlängern.

"Handlanger der Autobosse"

Auch aus der Politik flammt die Kritik am Verhalten von Behörden und Autokonzernen wieder auf. "Auch wenn CDU/CSU und SPD es gerne so hätten: Der Abgasskandal ist noch lange nicht beendet", sagte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir dem SPIEGEL: "Das organisierte Staatsversagen geht in die nächste Runde."

Özdemir kritisiert deshalb vor allem Verkehrsminister Dobrindt, der nach seiner Ansicht die Hauptverantwortung dafür trage, dass "eine Reinwaschung" der Autokonzerne durch die von Dobrindt eingesetzte Untersuchungskommission Volkswagen erfolgt sei. "Eine funktionierende Überwachung von Herstellern durch die zuständigen Behörden war nie gewollt und hat nicht stattgefunden", sagte Özdemir. Die neuen Enthüllungen seien deshalb nicht weiter überraschend. Sein Fazit lautet: "CDU/CSU und SPD bleiben Handlager der Autobosse und der Verbraucher der Dumme."

Der Vize-Obmann des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Diesel-Affäre im Deutschen Bundestag, Oliver Krischer, erinnert an die im ganzen Bundesgebiet drohenden Fahrverbote für Diesel-Autos. "Durch das Wegschauen von CDU/CSU und SPD manövriert sich die deutsche Autoindustrie immer weiter in eine Sackgasse", sagte der Grüne dem SPIEGEL.

Krischer spielt dabei auf die bereits jetzt deutlich sinkenden Verkäufe von Diesel-Fahrzeugen und die bröckelnden Wiederverkaufswerte von Selbstzündern an. Besonders in der Region Stuttgart hat die Beliebtheit des Diesel schwer gelitten. Die baden-württembergische Landesregierung ist deshalb vergangenen Monat mit einer Initiative vorgeprescht, Diesel-Fahrzeuge der Euronorm 5 umzurüsten, damit sie auch weiterhin in die Innenstädte fahren dürfen und nicht unter das Fahrverbot fallen.

Deshalb sei der Fund bei einem Porsche mit der modernsten Euronorm 6 besonders alarmierend, so Krischer. Es ist nämlich zweifelhaft, ob eine Umrüstaktion für die älteren Dieselmodelle der Euronorm 5 überhaupt ausreichend ist, um das Stickoxid- und Feinstaubproblem in den Metropolen zu lösen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten