

Michael Ritt hat erreicht, wovon mancher Entwickler bei Audi, VW und Opel noch träumt - zumindest beinahe. Denn während die genannten Automarken auf der IAA in Frankfurt soeben mit Studien wie Audi Urban Concept, VW Nils oder Opel RAK-e noch das Terrain für eine neue Art von Schmalspurfahrzeugen sondierten, produziert der Österreicher ein ähnliches Fahrzeug bereits in Serie. Ritt nennt in Jetflyer.
Ritt arbeitete einst als Manager beim Automobilzulieferer Magna. "Wie so viele in dieser Branche wollte auch er irgendwann sein eigenes Fahrzeug entwerfen", sagt sein Mitgesellschafter Oliver Pulley. So begann die Suche nach einem coolen Gefährt, das sicherer und komfortabler ist als ein elektrischer Roller, dafür aber weniger Platz braucht und billiger ist als ein Auto. Heraus kam ist eine Mischung aus Quad und Jetski, die auf den ersten Blick wirkt wie ein getunter Krankenfahrstuhl. Prompt berichtet Pulley von zahlreichen älteren Interessenten. "Mit einem elektrischen Rollstuhl würden die erst fahren, wenn es gar nicht mehr anders geht. Aber mit einem Jetflyer muss sich niemand schämen."
Was genau dieses Jetflyer genannte Gerät allerdings ist, wissen selbst seine Erfinder nicht genau. "Auch beim deutschen Bundesverkehrministerium kann uns noch keiner sagen, in welche Fahrzeugkategorie der Jetflyer fällt", sagt Pulley und zitiert wunderbare Paragraphen-Prosa. "Elektrische Mobilitätshilfe" zum Beispiel sei ein Vorschlag, den er aus Berlin bereits zu hören bekam. Die Wortklauberei ist wichtig. Denn erst durch die Einstufung der Behörden wird klar, wer den Jetflyer wann, wo und unter welchen Voraussetzungen fahren darf. Gibt es eine Helmpflicht? Braucht man einen Pkw-Führerschein? Muss man volljährig sein? Darf man auf der Straße oder auf dem Radweg fahren? "All diese Fragen sind noch ungeklärt", sagt Pulley.
Eigenartige Mixtur aus Quad, Jetski und Roller
Angetrieben wird der Zweisitzer, der mit einem Quad die vier Räder und mit einem Jetski die lange Sitzbank sowie das schlanke Schild vom Boden bis zum Lenker gemein hat, von elektrischen Radnabenmotoren. In der Basisversion fährt das Vehikel mit zwei Motoren à 2 kW und kommt so auf bis zu 80 km/h. Geplant sind aber auch Varianten mit 4 x 2 kW und 4 x 4 kW, mit denen dann mehr als 120 km/h möglich sein sollen. Den Strom dafür liefern Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus aus China, die unter der Sitzbank stecken. Deren Kapazität reicht für bis zu 130 Kilometer Fahrstrecke, die Ladezeit soll eineinhalb Stunden betragen.
Das Fahren auf dem 1,80 Meter langen und 1,20 Meter breiten Jetflyer ist gewöhnungsbedürftig: Man sitzt auf dem Gefährt wie auf einem bequemen Motorroller, kann aber wegen der vier Räder weder umfallen, noch sich in die Kurve legen. Daher schlingern Ungeübte zunächst recht unbeholfen durch den Stadtverkehr. Wer aus dem Auto auf den Jetflyer umsteigt, muss sich zudem an den Gasgriff gewöhnen. Ferner fällt der Wendekreis zumindest beim Prototypen noch extrem groß aus, und das Bremsen ist auch nicht so einfach wie gedacht. Zieht man beherzt an den beiden Handbremshebeln, verzögert das Gefährt derart heftig, dass man wie ein Cowboy beim Rodeo aus dem Sattel gehebelt wird. Wer in dieser Situation die Füße nicht schlagartig aufs Bodenblech stemmt und sich am Lenker abstützt, erlebt womöglich eine Flugeinlage.
Nach einer Viertelstunde jedoch hat man sich an das ungewöhnliche Gefährt gewöhnt. Dann surft man durch den zähen Stadtverkehr, cruist durch die Fußgängerzone und schnurrt anschließend flüsterleise durch den Stadtpark. Bei trockener Witterung und milden Temperaturen eignet sich der Jetflyer ideal für Berufspendler, Hipster oder Touristen mit müden Füßen. Und auch als Kurzzeitleihwagen auf Ferieninseln und an Urlaubsstränden kann man sich den Zweisitzer gut vorstellen. Als Alltagsgefährt jedoch ist das Vehikel mangels nennenswerter Transportkapazitäten, Wetterschutz und Reichweite untauglich. Als reines Spiel- und Spaßgefährt wiederum ist das Ding zu teuer: Rund 9500 Euro soll die Basisversion kosten, und das stärkste Modell etwa 15.000 Euro.
Die Polizei in Dubai bestellte gleich mal 500 Modelle
Die ersten Kunden scheint das nicht zu stören. Während Pulley den Verkauf in Deutschland erst nach Abschluss der behördlichen Formalitäten ankurbeln will, hagelt es aus anderen Regionen bereits Aufträge. "Vor allem im arabischen Raum kommt der Jetflyer sehr gut an", sagt Pulley und berichtet von 500 Modellen, die von der Polizei in Dubai bestellt wurden.
Weil die Produktion eines Jetflyer in Stainz in der Steiermark derzeit noch einige Tage dauert, sind die rund 20 Mitarbeiter vorerst also ausgelastet. Ehe die Österreicher auch andere Märkte erschließen und etwa auch nach Deutschland liefern könnten, müssten sie die Produktionskapazität ausweiten und neues Personal einstellen. Dafür fehlt Ritt und Pulley derzeit das Kapital. Deshalb suchen die beiden nach neuen Investoren. Gemessen an den Summen, mit denen die große Autoindustrie hantiert, sind die neuen Fahrzeugbauer durchaus bescheiden. "Zehn Millionen Euro würden uns schon reichen."
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Jetflyer in Fahrt: Oliver Pulley, Kompagnon des österreichischen Fahrzeug-Erfinders Michael Ritt, fährt auf dem Jetflyer genannten Vehikel, von dem noch nicht klar ist, was es aus behördlich-juristischer Sicht eigentlich ist.
Elektrisch unterwegs: Der Jetflyer ist mit zwei elektrischen Radnabenmotoren ausgestattet. Später soll es auch eine stärkere Variante mit vier Radnabenmotoren geben.
Gefährt der neuen Art: Halb Roller, halb Jetski und mit vier Rädern bestückt wie ein Auto - der Jetflyer lässt sich in keiner der gängigen Fahrzeugkategorien eindeutig zuordnen. Die Behörden in Berlin schlugen zunächst vor, das Fahrzeug als "elektrische Mobilitätshilfe" zu klassifizieren. Damit würden die gleichen Regeln gelten wie für elektrische Krankenfahrstühle...
...allerdings wird der Jetflyer bis zu 80 km/h schnell, und die geplanten stärkeren Versionen sollen gar mehr als 120 km/h erreichen.
Juristisches Hickhack: Mit Helm oder ohne, Radweg oder Straße, Führerscheinpflicht oder nicht - all diese Fragen sind im Falle des Jetflyer noch ungeklärt.
Chinesische Akkus: Unter der Sitzbank sind Eisen-Phosphat-Batterien eines chinesischen Herstellers untergebracht. Voll aufgeladen liefern sie Energie für rund 130 Kilometer Fahrstrecke. Ein Ladevorgang an der Steckdose dauert laut Herstellerangaben etwa eineinhalb Stunden.
Neues Fahrgefühl: 1,80 Meter lang und 1,20 Meter breit ist der Jetflyer. Weil sich das Gefährt nicht in die Kurve legt, eiert man anfangs recht steif durch die Gegend. Erst allmählich lernt man, mit den Fliehkräften eleganter umzugehen.
Mini-Cockpit: Die kleine Digitalanzeige am Lenker informiert den Fahrer über die Geschwindigkeit, die zurückgelegte Strecke, den Ladezustand der Batterie und darüber, ob zum Beispiel die Scheinwerfer angeknipst sind oder nicht.
Antriebstechnik: In der Basisversion tritt der Jetflyer mit zwei elektrischen Radnabenmotoren an, die jeweils 2 kW (umgerechnet etwa 2,7 PS) leisten. Damit lässt sich eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erreichen.
Motorrad mit Stützrädern: Aus dieser Perspektive sieht man, dass der Jetflyer gar nicht so schlank ist, wie das Vehikel zunächst wirkt. In engen Großstadtvierteln dürfte also auch mit diesem Alternativfahrzeug die Parkplatzsuche nicht ganz so leicht sein.
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