Radfahren mit Kindern Wenn die StVO mit dem Schutz-Instinkt kollidiert

Radfahrende Kinder: Erwachsene müssen durch Zurufe oder körperlich eingreifen können
Foto: CorbisMit den eigenen Kindern durch die Stadt radeln - das kann für Probleme sorgen. Beispielsweise weil die Kleinen motorisch noch gar nicht in der Lage sind, sich umzudrehen und gleichzeitig die Spur zu halten. Mit den Fahrkünsten von Kindern soll es ja ohnehin abwärts gehen, glaubt man den Aussagen von Verkehrserziehern. Laut einer Befragung durch die deutsche Versicherungsbranche haben immer mehr Viertklässler große Schwierigkeiten, wenn es darum geht, kleine Stresssituationen, wie sie alltäglich sind, zu meistern. Erklärt wird dies auch mit der zunehmenden Überbehütung von Kindern ausgerechnet in gutsituierten Elternhäusern.
Motorische Schwierigkeiten sind aber nicht das einzige Problem beim Radeln mit Kindern. Es geht auch um die ganz banale Frage, wo Kinder eigentlich mit ihrem Rad fahren sollen und dürfen. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt in § 2 Absatz 5 zunächst ganz klar und eindeutig:
Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen.
Dass man Fünfjährige nicht auf der Hauptverkehrsstraße zur Kita radeln lässt, erscheint auf jeden Fall sinnvoll, sie sind auf dem Fußweg am besten aufgehoben. Dummerweise dürfen jedoch die Eltern, wenn diese auch Rad fahren, nicht mit auf den Gehsteig. Sie müssen entweder auf den Radweg, sofern vorhanden, oder auf die Straße.
Eine Bekannte von mir ignoriert diese Regelung ganz bewusst: "Ich kann meinen Sohn nicht allein auf dem Fußweg fahren lassen", sagt sie, "der fährt sonst ständig Leute um oder rollt auf die Straße". Und so radelt sie verbotenerweise hinter ihrem Sohn auf dem Fußweg - Ärger mit der Polizei hatte sie noch nicht, immerhin drohen Bußgelder zwischen 10 und 25 Euro.
"Jederzeit auch körperlich eingreifen"
Eltern, die sich strikt an die StVO halten, können im Falle eines Unfalls allerdings ebenfalls Ärger bekommen, wie ein Urteil des Amtsgerichts Traunstein aus dem Jahr 2004 zeigt (AZ: 311 C 734/04). Eine Mutter war mit dem Fahrrad am rechten Rand der Straße gefahren, die sechsjährige Tochter mit dem Kinderfahrrad auf dem gegenüberliegenden Gehweg. Auf der rechten Seite gab es nämlich keinen Bürgersteig. Plötzlich rollte das Kind auf die Straße und stieß mit einem Auto zusammen, an dem Sachschaden entstand.
Das Traunsteiner Gericht entschied: Die Mutter muss für den Schaden aufkommen, weil sie die Aufsichtspflicht über ihr Kind verletzt und dadurch den Unfall verursacht hat. Ein Erwachsener müsse sich in einer solchen Nähe zu dem Kind befinden, "dass er jederzeit durch Zurufe, gegebenenfalls auch körperlich, eingreifen kann", entschied das Gericht . Der Frau hätten zwei Möglichkeiten offen gestanden, heißt es in der Urteilsbegründung: "Sie hätte zum einen selbst auf dem Gehsteig fahren können (zwar ordnungswidrig, dennoch häufig anzutreffen!) oder aber sie hätte mit dem Kind den rechten Fahrbahnrand benützen müssen, und zwar in der Weise, dass das Kind in unmittelbarer Nähe fährt, so dass sie hätte beobachten können, wie sich das Kind konkret verhält." Das Amtsgericht empfiehlt also: Lieber gegen die StVO verstoßen, als weit weg vom Kind sein.
Menschenverstand statt Paragraphen
Es gibt aber eben auch gegenteilige Entscheidungen von Gerichten, die beispielsweise das gemeinsame Radeln von Eltern und Kindern auf der Straße als unzulässig einstufen. "Die Rechtslage ist unklar", konstatiert der Kieler Anwalt Dietmar Kettler, Autor des Buchs "Recht für Radfahrer". "Wie soll man seiner Aufsichtspflicht genüge tun, wenn Fußweg und Radweg durch parkende Autos oder einen breiten Grünstreifen getrennt sind?"
Roland Huhn, Rechtsexperte beim ADFC beklagt, dass die Rechtsprechung keine brauchbare Anleitung für einen Familienausflug auf dem Rad gibt. Er empfiehlt Eltern, sich auf ihren gesunden Menschenverstand zu verlassen und in ruhigen Straßen gemeinsam am rechten Fahrbahnrand fahren, bei stärkerem Verkehr aber auch auf dem Gehweg.
"StVO und Aufsichtspflicht kollidieren miteinander", erklärt Huhn. "Das ist ein Dilemma, da gibt's keinen Ausweg." Gerichte dürften Eltern deshalb auch nicht bestrafen, wenn sie sich für eine der beiden Pflichten entschieden hätten.
Lieber nicht zum Badesee radeln?
Im Bundesverkehrsministerium sieht man das anders: "Die Rechtslage bei Rad fahrenden Kindern unter acht Jahren ist klar." Zugleich betont man jedoch, dass man kann nicht alles bis ins letzte Detail regeln könne. "Eltern sollten auf jeden Fall immer die Gefahrenlage abschätzen und an ihre Eigenverantwortung denken."
Noch vertrackter wird die Lage, wenn es gar keinen Fußweg gibt - beim Radeln zum Badesee vor den Toren der Stadt keine so ungewöhnliche Situation. Dürfen siebenjährige Kinder auf so einer typischen Landstraße überhaupt Radfahren? Die Beamten im Bundesverkehrsministerium raten von solch einem Ausflug ab: "Eltern sollten mit ihren Kindern nur dort Radfahren, wo es Gehwege gibt." Falls kein Gehweg vorhanden sei, solle man im Zweifel lieber absteigen und laufen, weil Kinder in diesem Alter oft noch nicht sauber in der Spur fahren könnten. "Vermeiden Sie zum Wohle Ihrer Kinder Situationen, in denen Kinder auf der Straße fahren müssen", lautet die Empfehlung aus dem Ministerium.
Verkehrsrechtler Kettler will in den Tipps der Beamten vor allem eins erkennen: Hilflosigkeit. Roland Huhn vom ADFC empfiehlt Eltern, die StVO nicht als das non plus ultra zu sehen, sondern einfach möglichst nahe bei den Kindern zu bleiben: "Am besten immer die Kinder vorausfahren lassen, aber natürlich nur, wenn sie auf Zurufe reagieren."