
Autos in Sci-Fi-Filmen: Vorbilder aus einer fernen Zukunft
Mobilität der Zukunft Brauchen Menschen in 30 Jahren noch Autos?
SPIEGEL ONLINE: Herr Le Blanc, Sie beschäftigen sich beruflich mit Mobilität im Science-Fiction-Roman. Wie sieht die Mobilität in Zukunft aus?
Le Blanc: Es wird zwei extreme Szenarien geben, weil die Technisierung unserer Welt immer weiter fortschreitet: In dem einen Fall ziehen sich die Menschen komplett zurück und erleben die Welt nur noch über Internet und Google Earth. In dem anderen Fall werden alle Möglichkeiten der Mobilität komplett ausgelebt - schnell mit dem Flieger nach Australien, mit dem Zug in die nächstgrößere Stadt und mit dem Auto zum Getränkeeinkauf. Von diesen zwei extremen Szenarien glaube ich, dass die Menschen sich ganz individuell für eine der beiden Varianten entscheiden werden. Beide Lebensstile erfahren wir heute schon. Doch der ständige Wechsel zwischen Verkehrssystemen wird noch stärker in den Fokus rücken. Daher ist auch eine bessere Vernetzung der Verkehrssysteme unbedingt notwendig.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das für die Autokonzerne?

Thomas Le Blanc, geboren 1951, studierte Mathematik und Physik in Gießen und arbeitete dort im Anschluss als Studienrat. 1989 gründete er die Phantastische Bibliothek in Wetzlar, eine Spezialbibliothek für fantastische Literatur. Mit einem Bestand von 250.000 Titeln ist sie die weltweit größte öffentlich zugängliche Sammlung. Aus dem riesigen Ideenreservoir der Science-Fiction-Literatur exzerpieren Le Blanc und seine Mitarbeiter technische und systemische Ideen, die bereits heute oder in wenigen Jahren in die Realität umgesetzt werden können.
Le Blanc: Die müssen die gesamte Palette anbieten: vom SUV bis hin zum Kleinwagen und Carsharing und auch die entsprechende Kommunikation aller Fahrzeuge untereinander.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt nicht nach Science-Fiction, sondern eher nach Gegenwartsliteratur oder Historienroman.
Le Blanc: Das ist auch kein Science-Fiction-Stoff. Wir Menschen sind unvernünftig und kaufen ein großes Auto, weil wir ein Statussymbol wollen. Weil es zeigen soll, wie viel Geld wir haben. Die Automobilindustrie reagiert auf dieses Bedürfnis - sie wäre ja blöd, wenn sie diesen Markt nicht bedienen würde. Auch auf den neuen Märkten wie China und Indien will jeder erst einmal einen eigenen Pkw haben. Wenn ich mir vorstelle, dass diese Abgase auch noch unsere Erde verschmutzen, wird mir ein wenig bange.
SPIEGEL ONLINE: Werden die Klimaprobleme durch das Auto auch in der Science-Fiction thematisiert?
Le Blanc: Im Science-Fiction-Roman wird der Raubbau am Planeten im Allgemeinen thematisiert - und zeigt auch einen extremen Ausweg aus der Misere auf: Die Menschen verlassen die Erde und wechseln auf einen anderen Planeten. Wir hingegen werden mit diesem Planeten leben müssen und unsere Ressourcenverschwendung drastisch einschränken.
SPIEGEL ONLINE: Sind denn die Autos im Science-Fiction-Roman umweltfreundlicher?
Le Blanc: Pkw mit Verbrennungsmotoren gibt es gar keine. Stattdessen fahren sie mit kleinen Atomreaktoren an Bord. Auch der Elektroantrieb mit hochleistungsfähigen Akkumulatoren ist weit verbreitet oder sie erhalten ihre Energie durch im Boden eingelegte Leiter. Es gibt Einschienenfahrzeuge und Flugautos. Diese besitzen aber keine Propeller oder Rückstoßdüsen, damit kann man sie heute schon bauen. Schaffen wir es, die Gravitation aufzuheben, könnte man sich eine dritte bis sechste Ebene über unseren Straßen vorstellen. In dieser würde man sich schwebend bewegen. Außerdem liebt die Science-Fiction das Beamen. Etwas, das wir eher nicht erleben werden.
SPIEGEL ONLINE: Hat die Literatur die Ingenieure bisher beeinflusst?
Le Blanc: Literatur und Naturwissenschaften befruchten sich wechselseitig. Sehr viele Science-Fiction-Autoren sind Naturwissenschaftler und schreiben über Technologie, die sie in der Wirklichkeit nicht umsetzen können. Jemand wie Hans Dominik, Vater der deutschen Science-Fiction, hat ja nicht nur Romane in den Zwanzigerjahren geschrieben, sondern er war als Ingenieur auch Leiter des Literaturbüros von Siemens & Halske, einem Vorläufer des Siemens-Konzerns. Heute würde man die Position von Dominik als Leiter PR bezeichnen.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrer Datenbank Future Life sammeln Sie die Vorstellungen von Science-Fiction-Autoren über Konsumgüter der Zukunft. Zu den Kunden dieser Datenbank gehören auch große Industriekonzerne. Was interessiert beispielsweise die Autoindustrie daran?
Le Blanc: Die Automobilindustrie interessiert sich mehr für Szenarien als für bestimmte Motoren oder Technologien. Sie möchte wissen, ob in 30 Jahren Autos überhaupt noch gebraucht werden. Das Szenario könnte ja auch sein, dass der Individualverkehr zurück geht, die Städte ihre Grenzen dichtmachen, keine Parkplätze mehr bauen und es viel Geld kosten wird, überhaupt in die Stadt zu fahren. Dann muss der öffentliche Personennahverkehr völlig anders aussehen. Die Romanautoren lösen den ÖPNV unter anderem mit Tunneln oder Röhren.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es die Autokonzerne in der Science-Fiction-Literatur noch?
Le Blanc: In den meisten Science-Fiction-Romanen gibt es weiterhin eine funktionierende produzierende Industrie. Allerdings bieten die Konzerne eine Vielfalt von Fahrzeugen an - sowohl für den Individualverkehr, den Massenverkehr als auch für Gütertransporte. Mobilität in jeder Form kommt aus einer Hand.
SPIEGEL ONLINE: Der Elektroauto-Pionier Tesla hat erst kürzlich seine Vision von einer Rohrpost für Menschen vorgestellt. In Kapseln sollen wir ohne unser Zutun mit bis zu 1220 km/h durch Röhren jagen. Hat Musk sich ebenfalls von Science-Fiction inspirieren lassen?
Le Blanc: Bereits im James-Bond-Film "Der Hauch des Todes" von 1987 wurde ein Agent aus Prag durch so eine Rohrpost nach Österreich geschickt. Ich bezweifle allerdings, dass so etwas wie der Hyperloop ein Massenprodukt werden könnte. Die Menschen müssten in sargähnliche Gefährte eingeschlossen werden und dann mit irrsinniger Geschwindigkeit befördert werden.
SPIEGEL ONLINE: Wie unterscheiden sich die Vorstellungen der klassischen Science-Fiction-Autoren von denen heute?
Le Blanc: Tatsächlich hat sich das Bild von Mobilität über die letzten hundert Jahre kaum verändert. In einem von Jules Vernes' letzten Romanen aus dem Jahr 1863, "Paris im 20. Jahrhundert", beschreibt er die Welt im Jahr 1960. Bei ihm fahren die Menschen mit Hochgeschwindigkeitszügen und gasbetriebenen Autos. Auch Magnetschwebebahnen, Röhren mit Pressluft und Elektrofahrzeuge tauchen bereits Ende des 19. Jahrhunderts in der Literatur auf. Was in der modernen Science-Fiction jedoch noch hinzukommt, ist die Virtualität. In neueren Werken bewegen sich die Menschen oft gar nicht mehr, sondern schicken ihre Hologramme zu Besprechungen oder ihre Avatare. Damit gäbe es auch keine Verkehrsunfälle mehr.