
Innovativer Nahverkehr: Die Weiterentwicklung des "Stangentaxis"
Neue Elektrobusse Wie Solingen 147.000 Liter Diesel spart
Es surrt wie in einem Elektrizitätswerk, dann setzt sich der Trollino 18,75 in Bewegung. Von innen wirkt der Gelenkbus eher schlicht: gelbe Haltestangen, bunte Sitzbezüge, Handy-Steckdosen mit USB-Anschluss. Das Besondere bemerkt man erst, wenn man aussteigt: Der Bus hängt am Stromnetz, genau wie eine Straßenbahn.
Spätestens seit dem Diesel-Skandal wird in Deutschland laut über die Luftqualität in den Innenstädten diskutiert. Ein sauberer öffentlicher Nahverkehr kann dazu einen Beitrag leisten. So sollen im feinstaubgeplagten Stuttgart ab 2020 mehrere Elektrobusse rollen. Der Berliner Senat liebäugelt im jüngsten Nahverkehrsplan sogar mit dem Aufbau eines neuen Netzes für Oberleitungsbusse.

Innovativer Nahverkehr: Die Weiterentwicklung des "Stangentaxis"
Im nordrhein-westfälischen Solingen sind die Stadtwerke schon deutlich weiter. Der neueste Vorzeigebus, der Trollino, kann sich per Knopfdruck vom Stromnetz lösen - und trotzdem weiterfahren. Er ist einer von vier batteriebetriebenen O-Bussen ("Bob"), die seit diesem Jahr in der 160.000-Einwohner-Stadt getestet werden. Ihr Akku lädt immer dann, wenn sie mit der Leitung verbunden sind.
In Solingen gehören die "Stangentaxis" schon seit 1952 zum Stadtbild
"Diese Busse zu fahren, macht einen Heidenspaß", meint Thomas Schulz, 51, Busfahrer und Ausbilder beim Verkehrsbetrieb. Privat besitzt Schulz ein Spritschlucker-Auto mit 400 PS. Im Job ist er auf den Geschmack der Elektromobilität gekommen. "Mit diesem Bus erreichen wir sogar unsere Nachbarstadt Wuppertal", schwärmt Schulz. Bis zu 20 Kilometer könne der Bus im reinen Batteriebetrieb fahren.
In Solingen gehören die "Stangentaxis" schon seit 1952 zum Stadtbild. Komplett elektrisch fahren die O-Busse aber bis heute nicht. Wenn der Strom einmal ausfällt, müssen sie ihren Dieselmotor anwerfen. Da auch in Solingen längst nicht alle Linien elektrifiziert sind, fahren die Hälfte aller Busse noch immer mit Verbrennungsmotor. Manchmal enden die Stromleitungen kurz vor der letzten Haltestelle. In solchen Fällen muss die gesamte Linie per Dieselbus bedient werden.

Alternativen zum Auto: Verkehrsprojekte in EU-Städten
Die neuen Hybrid-O-Busse sollen genau dieses Problem beheben. Ab 2019 werden sie im Regelbetrieb auf der Linie 695 eingesetzt, die nur teilweise mit Stromleitungen ausgestattet ist. Dadurch könnten pro Jahr bis zu 147.000 Liter Diesel und 334 Tonnen CO2 eingespart werden, heißt es von Seiten des Verkehrsbetriebs.
Die Uni Wuppertal begleitet das Projekt
"Langfristig wollen wir unseren gesamten Nahverkehr elektrifizieren", erklärt Stadtwerke-Geschäftsführer Conrad Troullier. Schon heute nutze der kommunale Betrieb zertifizierten Öko-Strom. In Zukunft wolle man mithilfe der "Bobs" komplett emissionsfrei fahren. Das Bundesverkehrsministerium, welches das Projekt mit 15 Millionen Euro fördert, spricht von einem "fahrenden Innovationslabor".
Rund 900.000 Euro kostet der neue Hybrid-O-Bus - deutlich teurer als das Vorgängermodell, das ohne Akkus ausgeliefert wurde. Ob die hehren Ziele damit wirklich wahr werden, muss sich erst noch herausstellen. Seit Anfang des Jahres rollen die vier "Bobs" zu Testzwecken durch Solingen. Dabei habe es durchaus einige Kinderkrankheiten gegeben, räumen die Verantwortlichen ein.
Auch auf lange Sicht sind viele Fragen offen: Wie lange halten die Batterien im Winter durch? Ist ihre Lebensdauer lang genug, um die hohen Investitionen zu rechtfertigen? Und wird das Versprechen der Emissionsfreiheit wirklich wahr? Um Antworten darauf zu finden, begleitet die Uni Wuppertal das Projekt.
In Deutschland gibt es nur noch in drei Städten O-Busse
Thoralf Knote, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden, forscht schon länger zu Elektrobussen. "Der O-Bus ist eine unglaublich robuste, über viele Jahrzehnte erprobte Technologie", sagt Knote. Aber auch sehr teuer: "Ein Kilometer Stromleitung kostet zwischen 700.000 Euro und einer Million Euro", so Knote. "Das rechnet sich nur auf Linien mit einem hohen Fahrgastaufkommen."
Der reine Batteriebus wiederum komme mit einer Ladung nur bis zu 200 Kilometer am Tag - zu wenig für eine Großstadt. Hybrid-O-Busse wie in Solingen hält der Wissenschaftler daher für eine naheliegende Alternative. "Wenn man 40 Prozent einer Linie mit Stromleitungen versieht, lohnt es sich." Die Umsetzung scheitere in Deutschland eher an praktischen Gründen: "In unsere Innenstädte neue Fahrleitungen reinzubauen, wäre sehr aufwendig."
Tatsächlich gibt es O-Busse in Deutschland nur noch in drei Städten: Neben Solingen verkehren sie in Esslingen (Baden-Württemberg) und Eberswalde (Brandenburg). Und demnächst vielleicht auch in Berlin, sofern der Nahverkehrsplan tatsächlich umgesetzt wird.
Auch andere rüsten um
Mit dem "Bob" ist Solingen nicht allein. Auch die anderen beiden O-Bus-Städte wollen mithilfe von staatlicher Förderung die Diesel-Aggregate aus ihren Flotten verbannen. Die Esslinger Verkehrsbetriebe haben ebenfalls vier batteriebetriebene O-Busse im Einsatz; sechs weitere sind bestellt. Die Fahrzeuge kommen, wie in Solingen auch, vom polnischen Bushersteller Solaris.
Eberswalde wollte von 2010 bis 2012 den Fuhrpark der O-Busse erneuern - mit dem Ziel, alle Fahrzeuge mit Batteriespeicher auszustatten. "Die Industrie war anfangs allerdings noch nicht in der Lage, solche Fahrzeuge zu liefern", erklärt Frank Wruck, Geschäftsführer der Barnimer Busgesellschaft. Aus diesem Grund hat das Unternehmen damals nur ein solches Fahrzeug kaufen können.
Inzwischen ist die Technik weiter. "Wir haben den Auftrag erteilt, alle O-Busse mit einem entsprechenden Batteriespeicher auszurüsten", sagt Wruck. Die erste Batterie werde bereits im Dezember geliefert. "Wir denken, bis zum Sommer 2019 sind dann alle O-Busse umgerüstet."