
Studie Forvision Elektro-Smart für die Langstrecke
Normalerweise beschäftigt sich Annette Winkler mit Kosten und Kalkulationen. Doch in den letzten Monaten hätte die Smart-Chefin am liebsten wieder ihren Experimentierkasten "Chemie für Fortgeschrittene" hervorgekramt. Denn wenn sie über die Besonderheiten der Studie Forvision spricht, die auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt vorgestellt wird, geht es vor allem um neue Materialien, die Smart gemeinsam mit dem Chemieunternehmen BASF entwickelt hat. Die neuen Ideen sollen die Effizienz des Elektroautos steigern und das Gewicht reduzieren.
Beides ist für ein E-Mobil besonders wichtig, weil es direkten Einfluss auf die Reichweite hat. Um den Aktionsradius zu vergrößern, könne man zwar auch die Batteriekapazität weiter erhöhen, sagt Winkler, doch das würde den Preis und auch die Masse in die Höhe treiben.
Wie Gewichtsersparnis und eine bessere Energieeffizienz aussehen können, zeigt der Smart Forvision mit vielen kleinen Details:
- Weniger auf die Waage bringen zum Beispiel die weltweit ersten Kunststofffelgen. Sie werden in einem automatisierten Spritzgussverfahren hergestellt und sind bereits im Endstadium der Serienerprobung. Die neuen Räder seien nicht nur viel billiger als Alufelgen, sie sparen pro Rad auch drei Kilogramm, sagt Volker Warzelhan vom Entwicklungspartner BASF.
- Er ist auch verantwortlich für die neue sogenannte Tridion-Sicherheitszelle. Bislang wurde das Teil aus Metall gefertigt, für die Studie besteht es aus Karbon; Gewichtsersparnis: 100 bis 150 Kilogramm.
- Und weil auf der Waage auch Kleinigkeiten zählen, sind zum Beispiel die Sitze extrem dünn, sollen aber dank spezieller Polsterschäume trotzdem bequem sein - und vier Kilo leichter als die althergebrachten Materialien. Außerdem bieten sie ein herausnehmbares Rückenpolster mit einer Durchladeöffnung. So könnte man auch im Smart etwas größere Gegenstände transportieren.
- Ein weiterer Schwerpunkt der Entwickler war das Thermo-Management. "Wenn sich der Wagen im Sommer nicht so stark aufheizt, sparen wir Strom bei der Klimatisierung", sagt Winkler. "Und wenn er im Winter länger warm bleibt, muss man weniger heizen." Gegen die Kälte schützen deshalb neben einer besonders sparsamen Sitzheizung spezielle Schäume, die BASF aus dem Hausbau übernommen und für den automobilen Einsatz verdichtet hat. "Hier gelingt mit einem Zentimeter Dicke die gleiche Isolationsleistung wie sonst mit sieben Zentimetern", sagt BASF-Mann Christian Fischer.
- Speziell beschichtete Lacke und neue Folien in den Scheiben dagegen sollen die Wärme fernhalten, indem Infrarotstrahlen reflektiert werden und so das Aufheizen des Autos verhindert wird. "Bis zu 20 Grad Temperaturunterschied auf der Oberfläche sind damit möglich", sagt Fischer.
- Zusätzliches Highlight der Studie sind sechseckige Solarzellen auf dem Dach. Sie sind insgesamt nicht nur größer als bislang üblich, sondern auch durchsichtig. So lassen sich Sonnenkollektor und Glasdach in einem verwirklichen. Zudem ist in die Glasflächen eine LED-Beleuchtung integriert, die den Innenraum auf Knopfdruck in unterschiedliches Licht taucht.
- Der Solarstrom reicht nicht nur für Licht und Musik, sondern er treibt auch den riesigen Lüfter an, der hinter dem beinahe frei schwebenden Armaturenbrett zu sehen ist. Er verströmt einen steten Luftzug, der um das futuristische Cockpit mit dem großen Touchscreen weht und von zwei weiteren Ventilatoren in den Rückleuchten angesaugt wird. So entsteht mit der Kraft der Sonne ein Luftaustausch im Wagen, der genau die Wärme abführt, die durch die Sonneneinstrahlung erzeugt wurde.
Optischer Ausblick auf die nächste Generation
Unterm Strich sollen die neuen Ansätze etwa 20 Prozent mehr Reichweite bringen, was beim aktuellen E-Smart einen Sprung von 140 auf 170 Kilometer bedeuten würde. Doch bis auf die Lacke, die Scheibenfolie und die Kunststofffelgen gibt es an der Studie kaum etwas, was in den nächsten drei Jahren die Chance auf Serienfertigung hat.
Smart-Chefin Winkler sieht darin kein Problem. Smart sei eine Art Think-Tank, sagt sie. "Jetzt haben wir einen ganzen Strauß neuer Möglichkeiten und können weiter forschen, was davon sich wann umsetzen lässt."
Bei so viel futuristischen Materialien und neuer Technik gerät das Design der Studie beinahe in den Hintergrund. Dabei ist der Forvision nach dem Forspeed vom Genfer Salon im Frühjahr bereits der zweite Entwurf, mit dem die Kreativabteilung in Stuttgart auf den in etwa zwei Jahren bevorstehenden Generationswechsel des Smart hinarbeitet. Die kräftiger ausgeprägten Rundungen des etwas breiter und flacher geratenen Zweisitzers deuteten schon an, wie das neue Auto aussehen werde, sagt Designer Steffen Köhl.
Ganz so viele Kanten und Verwerfungen wie der Forvision wird ein späteres Serienmodell aber wohl nicht haben. Die Flanke der Studie nämlich erinnert an einen schlecht reparierten Unfallschaden.