Feindbild Nahverkehr Wie zwei Brüder Bahnprojekte in den USA zerstören

Busse und Bahnen sind für sie Teufelszeug: In den USA kippen Gegner des öffentlichen Nahverkehrs ein Neubauprojekt nach dem anderen. In Deutschland formieren sich Nachahmer.
Blechlawine in Kalifornien

Blechlawine in Kalifornien

Foto: Justin Sullivan/ Getty Images

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Die US-Metropole Nashville erfüllt viele Klischees über Verkehr in den USA. Mit dem Fernzug ist Tennessees Hauptstadt nicht zu erreichen. Der einzige Pendler-Bummelzug bindet ganze drei Orte im Umland ans Zentrum an. Der Nahverkehr basiert vor allem auf Bussen - und nur zwei Prozent der Einwohner nutzen ihn für den Weg zur Arbeit.

Daran wird sich so schnell nichts ändern: Im Frühjahr haben die Wähler ein Bauprojekt abgelehnt, das das öffentliche Verkehrsangebot drastisch ausgeweitet hätte. Fünf Stadtbahn-Korridore und Trassen für Schnellbusse waren geplant. Doch eine Kampagne von Anti-Nahverkehrs-Aktivisten trug dazu bei, dass das Fünf-Milliarden-Dollar-Vorhaben scheiterte.

Glaubenskrieg um den Nahverkehr

Um den Nahverkehr tobt ein Glaubenskrieg in Amerika. Nashville steht in einer Reihe mit zahlreichen weiteren US-Städten, in denen überregional agierende Lobbyisten eine lokale Verkehrswende torpedieren. Auch in Phoenix (Arizona), Little Rock (Arkansas) sowie Regionen in Michigan und Utah hatten sie Erfolg, wie die "New York Times" aufzählt .

Hinter derartigen Kampagnen steht häufig die Organisation "Americans for Prosperity" (AFP), maßgeblich finanziert von den Milliardären Charles und David Koch. Die Brüder haben ihr Vermögen unter anderem im Ölgeschäft gemacht. Der Staat soll sich ihrer Meinung nach aus dem Verkehrswesen heraushalten - zumindest wenn es um Schienen geht und nicht um Straßen.

"Das Projekt war von Anfang an eine gigantische Geldverschwendung und hätte dauerhaft Fahrspuren vernichtet" teilte AFP nach dem "großen Sieg" in Nashville mit. Bei Bussen und Bahnen handele es sich um "veraltete Technik". Bereits in Sicht seien autonome und saubere Autos.

Zudem hätte das neue Transportsystem zu steigenden Mieten und Gentrifizierung geführt. Dieses Argument verfing offenbar in großen Teilen der afroamerikanischen Bevölkerung.

Mitglieder und Helfer der Lobby-Truppe hatten an 6000 Türen geklopft und mehr als 40.000 Telefonanrufe abgesetzt. Öffentlicher Nahverkehr sei zutiefst unamerikanisch und beschränke die Freiheit des Einzelnen, erklärten sie den Bürgern. "Wenn jemand aussuchen kann, wie er sich fortbewegen möchte, wird er sich niemals für den öffentlichen Nahverkehr entscheiden", sagte Tennessees AFP-Chefin Tori Venable der "Times".

David (l.) und Charles Koch

David (l.) und Charles Koch

Foto: AFP, AP

Busse und Bahnen haben es in den USA traditionell schwer. Dies auch, weil die Autoindustrie Mitte des vergangenen Jahrhunderts ganze Tram-Systeme aufkaufte und stilllegte . Das milliardenschwere Infrastruktur-Programm von US-Präsident Donald Trump soll überwiegend dem Straßenbau zugute kommen.

In manchen Städten wie Houston und Portland hat die Straßenbahn dennoch ein Comeback erlebt. Viele Konservative und Libertäre sehen sich zum Gegenschlag herausgefordert.

Den Kochs gehe es bei ihrem Kreuzzug gegen den Nahverkehr jedoch nicht um amerikanische Werte, sondern ums eigene Geld, finden Kritiker. Koch Industries stellt Benzin und Asphalt im großen Stil her und beliefert die Autoindustrie.

Scharfe Kritik an Nahverkehrsprojekten auch in Deutschland

"'Steuerverschwendung' ist ihr Schlachtruf, doch ein hoher Benzinverbrauch hilft ihnen", sagte Verkehrsforscherin Ashley Robbins von der Technischen Universität Virginia über die Kochs. Der Koch-Konzern weist Robbins' Logik zurück und bestreitet, AFP direkt zu steuern.

In Deutschland ist zwar keine landesweite Anti-Nahverkehrs-Bewegung bekannt, die aus dem Umfeld der Autoindustrie finanziert wird. Scharfe und bisweilen polemische Kritik an Nahverkehrsprojekten bricht in der Bundesrepublik aber immer wieder hervor.

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So protestierte die Berliner FDP Anfang des Jahres öffentlichkeitswirksam gegen den Ausbau der Straßenbahn vom Alexanderplatz zum Potsdamer Platz. Sie ließ einen Lastwagen auf die Leipziger Straße stellen, beschriftet mit den Worten "Ich bin eine Tram. Und staue hier bald öfter rum."

Die Liberalen geißelten das Vorhaben als "auf Schienen gelegten Wahnsinn einer ideologisierten Verkehrsplanung" des rot-rot-grünen Senats. Alle Verkehrsteilnehmer sollten frei entscheiden, womit sie sich fortbewegen - gern auch mit dem eigenen Pkw. Der Autofahrerclub ADAC ist ebenfalls gegen das Tram-Projekt.

SPD bescherte Anti-Straßenbahn-Aktivisten größten Sieg

Wie in den USA sprechen sich in Deutschland oft Wirtschaftsliberale gegen Bus- und Bahnprojekte aus. So opponierten CDU und FDP erfolgreich gegen eine Stadtregionalbahn im Raum Kiel. Nun kommt bestenfalls eine abgespeckte Version.

Ihren wohl größten Erfolg verdanken Anti-Straßenbahn-Aktivisten allerdings der SPD. Als 2011 Anwohner gegen das Comeback der Hamburger Tram protestierten, kippte Bürgermeister Olaf Scholz das Zwei-Milliarden-Euro-Vorhaben. Es sei zu teuer, zudem nehme die Bahn Autofahrern Platz weg. Nun wird das U-Bahn-Netz ausgebaut - für noch mehr Geld.

Vielen Hamburgern bleibt aber weiterhin nur der Bus. So wie den Bürgern von Nashville, Tennessee.

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