
Verkehrssicherheit Flüsterleise Elektroautos bekommen Krachgenerator
Die Zahl ist schockierend. "Straßenverkehrslärm gefährdet die Gesundheit. Er wird europaweit für 50.000 Todesfälle jährlich verantwortlich gemacht", sagt Werner Korn, Mitglied des Bundesvorstands des Verkehrsclub Deutschland (VCD). Derzeit dürfen Autos in Europa eine Lautstärke bis zu 74 dBA erreichen, für Sportwagen sind gar bis zu 75 dBA erlaubt (zum Vergleich: ein Presslufthammer liegt bei circa 80 dBA). Doch mit jedem Elektroauto, dem laut allgemeiner Einschätzung fast aller Industrieverantwortlichen die Zukunft gehört, wird es leiser auf den Straßen.
Denn Elektromotoren brummen, dröhnen oder röhren nicht, sie surren oder sirren allenfalls. In Fahrberichten über Elektroautos notieren die Autoren stets erstaunt, wie flüsterleise sich die mit Strom betriebenen Wagen bewegen, und das beim Beschleunigen höchstens ein "turbinenartiges Sirren" zu hören sei. Mit weniger als 50 km/h sind Elektroautos sogar nahezu lautlos unterwegs, die Abrollgeräusche der Reifen oder das Zischen des Fahrtwinds sind bei diesem Tempo kaum wahrnehmbar.
Das könnte eine gute Nachricht sein für lärmgeplagte Anwohner in Durchgangsstraßen. Doch die Vision des lautlosen Innerorts-Autoverkehrs hat nicht nur Befürworter. "Schon aus Sicherheitsgründen wird es in Zukunft keine Fahrzeuge geben, die unhörbar bleiben", sagt Ralf-Gerhard Willner, Leiter Entwicklung Konzepte bei VW. "Unser Ziel ist es, Geräusche beim Fahren nicht generell zu vermeiden, sondern einen wertigen Sound mit Informationen zum Fahrzustand zu geben."
VW wird voraussichtlich im Jahr 2013 das Elektroauto E-Up auf den Markt bringen. Bei der Präsentation des Kleinwagens auf der IAA fuhr VW-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg mit dem quietschgelb lackierten Auto auf die Bühne - und ließ den Motor brüllen. Das war eine Showeinlage, doch es wird ernsthaft darüber nachgedacht, Elektroautos mit künstlich erzeugten Motorensounds sowohl emotional aufzupeppen als auch für Außenstehende akustisch wahrnehmbar zu machen. VW-Entwickler Willner: "Wir denken über künstliche Sounds nach und testen unterschiedliche Varianten mit Probandengruppen."
Als das Auto bimmelte, griffen die Testpersonen zum Mobiltelefon
Auch der japanische Hersteller Nissan plant, das Elektroauto Leaf, das ab 2011 in Deutschland erhältlich sein soll, mit synthetischen Klängen auszustatten. Noch ist nichts endgültig entschieden, aber ein Sounddesigner arbeite bereits an unterschiedlichen Geräuschen, die der Wagen beim Anlassen, beim Fahren und beim Verbinden mit einer Steckdose zum Laden der Batterie machen soll. Bei Renault - wo gleich vier Elektroautotypen demnächst in Serie gehen werden - wird derzeit noch untersucht, ob spezielle Kunstgeräusche in die Modelle implantiert werden sollen. Unter anderem ist beispielsweise ein Warnton beim Abbiegen im Gespräch.
Von Lexus hört man, dass es beim Experimentieren mit Geräuschen zum Ankündigen von lautlosen Autos durchaus Aha-Effekte gab. Bei einem Warnton, der dem Klingeln eines Mobiltelefons nachempfunden war, blickte keiner der Probanden in die Richtung, aus der sich der Ton näherte - sondern alle kramten in den Taschen auf der Suche nach dem Handy.
Brabus lässt den Tesla klingen, als ob Klingonen erfreut werden sollten
Brabus lässt den Tesla klingen, als ob Klingonen erfreut werden sollten
Die Bottroper Tuningfirma Brabus knöpfte sich unlängst den Elektrosportwagen Tesla Roadster vor und brezelte den Zweisitzer aus den USA nach allen Regeln der Branche auf. Zur Ausstattung gehörte auch ein sogenannter Space-Sound-Generator, der über vier Lautsprecher im Kofferraum einen künstlich erzeugten Ton in Abhängigkeit von der Gaspedalstellung wiedergab. Der Fahrer hat dabei die Wahl zwischen einem eher klassischen "V8"-Klang und einem Science-Fiction-artigen "Warp"-Geräusch (Tonbeispiele siehe links). Brabus-Sprecher Dalibor Erakovic weist darauf hin, dass "jeglicher Sound programmiert werden könne, sofern er die nötige Emotionalität ausstrahlt".
Wer den Tesla Roadster in der Serienversion fährt, wird nichts von solchen Klangtüfteleien hören, denn das Auto ist frei von künstlichen Geräuschen. "Wir glauben, es ist richtig, dass die Autos möglichst leise sind. Fahrräder werden ja auch nicht mit Soundgeneratoren ausgerüstet", sagt Craig Davis von Tesla Motors. Eine höhere Unfallgefahr, weil andere Verkehrsteilnehmer den Wagen überhören könnten, hält er für höchst unwahrscheinlich. "Dazu kommt, dass Fahrer von Elektroautos - weil sie nicht schalten müssen - stets beide Hände am Lenkrad haben. Das erhöht die aktive Sicherheit enorm."
Der Mini E fährt ohne Extra-Sound - bislang völlig problemlos
Auch bei der Marke Mini, die derzeit 600 Elektrovarianten des Kleinwagens in mehreren Großstädten weltweit testet, gibt es keinerlei Soundtuning - und auch noch keinerlei Vorkommnisse, bei denen die akustische Schleichfahrt der Autos in irgendeiner Weise negativ auffiel. "Sinn des Feldversuchs ist es unter anderem auch, herauszubekommen, ob die Stille von Elektroautos bei langsamer Fahrt zum Problem werden kann", sagt Mini-Sprecher Cypselus von Frankenberg.
Schwieriger als die Frage, welcher Sound es denn sein soll, dürfte die nach der Lautstärke werden. Denn wenn auch Mobiltelefon-Wichtigtuer oder mit iPod-Ohrhörern verstöpselte Passanten mitkriegen sollen, dass da ein Elektroauto herangefahren kommt, dürfte der Stadtverkehr der Zukunft noch sehr viel lauter und dissonanter werden als er es jetzt schon ist.