Drohende Diesel-Fahrverbote So funktioniert das Software-Update von VW

Abdeckung von einem manipulierten EA 189
Foto: Julian Stratenschulte/ picture alliance / dpaKein Verbrennungsmotor erlangte je größere Negativschlagzeilen als der EA 189, gemeinhin als Schummel-Diesel bekannt. Vor mehr als zwei Jahren wurde VW erwischt, bei diesem Zweiliter-Vierzylinder-TDI zwei Software-Modi gefahren zu haben.
Ingenieure manipulierten den Ausstoß von Stickoxid so, dass die Autos zwar den Vorschriften auf dem Prüfstand genügten, draußen im realen Verkehr aber deutlich mehr ausstießen. Volkswagen zahlte bis heute rund 25 Milliarden Euro für Strafen, Rückrufe, Rückkäufe und Reparaturen. Ob die Angelegenheit damit abgegolten ist , weiß derzeit niemand. Nach wie vor drohen Sammelklagen von Aktionären in Milliardenhöhe.
In den USA haben Volkswagen, Audi und Porsche sämtliche ihrer Dieselmodelle vom Markt genommen. In Europa und im Rest der Welt wurde den betreffenden Motoren zumeist eine neue Software aufgespielt, teils auch kleinere Hardware-Teile ergänzt oder ausgetauscht. Mit diesen Arbeiten ist man zu rund 90 Prozent fertig. Der Rest soll in diesem Jahr vom Tisch sein. Und dann? Alles gut? Aus VW-Sicht ja.
Experten und Politiker widersprechen. "Man wird das Problem nicht mit ein paar Mausklicks lösen können", zeterte beispielsweise der damalige Grünen-Parteichef Cem Özdemir im August im Nachgang des Dieselgipfels in Berlin. Kunden wiederum klagen über Probleme nach dem Update, unter anderem mit Partikelfiltern und der Abgasrückführung.
Der ADAC forderte erst jüngst eine größere Hardware-Nachrüstung von Dieselfahrzeugen der Abgasnorm Euro 5. Darunter würden auch die von VW "geflashten" Fahrzeuge fallen, wie der Hersteller das Software-Update nennt. Hardware-Nachrüstungen mit einem sogenannten SCR-Kat, der die gefährlichen Stickoxide mittels Harnstoff (AdBlue) zu großen Teilen in harmlosen Stickstoff und Wasserstoff umwandelt, sind laut Motorclub deutlich effektiver. In Tests reduzierten sie den Stickoxidausstoß um bis zu 88 Prozent. Softwarelösungen sollen hingegen nur etwa 25 bis 30 Prozent bringen. VW - wie auch der Rest der Industrie - lehnen Hardware-Lösungen ab, vor allem wegen der höheren Kosten.
SPIEGEL ONLINE hatte die Möglichkeit, sich die neue Software bei VW in Wolfsburg erklären zu lassen.
Was soll die neue Software laut VW bewirken?
Software-Updates sind im Lebenszyklus eines modernen Autos nichts Ungewöhnliches. Ähnlich wie beim Smartphone laufen danach Programme besser oder bieten mehr Inhalte. Um die für den Betrieb der Fahrzeuge erforderliche Typgenehmigung nicht zu verlieren, mussten die betroffenen Motoren nach dem Update die gleiche Leistung haben, das gleiche Drehmoment und durften kein schlechteres Geräuschverhalten oder höhere Verbräuche aufweisen. Geprüft wurde zudem, welche Motorsteuerungsstrategien vom Nachfolgemotor EA 288 (Euro 6) einfließen, beziehungsweise übernommen werden konnten.
Trotz dieser Maßnahmen gibt es Zweifel an der Wirksamkeit: Die meiste Zeit des Jahres seien VW-Modelle, die einem Update unterzogen worden sind, nicht sauber unterwegs, sagt die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Der Verein hatte unter anderem am Verwaltungsgericht Düsseldorf für einen Entzug der Betriebserlaubnis der Fahrzeuge geklagt. Als Argument führte die DUH an, dass VW immer noch Abschalteinrichtungen verwende. Die Klage wurde zwar abgewiesen, doch das Gericht ließ die Sprungrevision zu. Laut DUH werde die Abgasreinigung bei den entsprechenden Modellen bei Temperaturen unterhalb von 15 Grad reduziert. Die sogenannten Thermofenster werden von den Herstellern mit dem Schutz des Motors begründet.
Wie viele Autos sind betroffen?
Weltweit geht es um 10,7 Millionen Fahrzeuge aus dem Konzern, europaweit 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen. Rund 500.000 waren es in den USA, wo die Abgasmanipulation aufflog. Bei der Marke VW sind es 5,6 Millionen Autos, 2,4 Millionen zählt Audi, 1,2 Millionen Skoda, 0,7 Millionen Seat und 0,8 Millionen kommen von VW Nutzfahrzeuge.
Was ändert sich?
Eine der wichtigsten Komponenten am Dieselmotor ist die Hochdruckeinspritzung. Wie zuvor bleibt es nach dem Update bei einer sogenannten Piloteinspritzung. Sie wird angewandt, um allzu viel Sauerstoffüberschuss im Brennraum zu reduzieren und somit den Entzündungsprozess "weicher" zu gestalten. Die Piloteinspritzung "wärmt" das Diesel-Luft-Gemisch vor, die Stickoxid-Rohemission sinkt. Erfreulicher Nebeneffekt: Das "Nageln" wird abgemildert, der Motor läuft ruhiger.
Neu programmiert wurde die Haupteinspritzung. Sie erfolgt jetzt Millisekunden früher mit einer Verlagerung in Richtung OT (oberer Totpunkt des Kolbens) und wird in der Menge reduziert. Damit geht entsprechend auch der Verbrauch herunter, es bedeutet aber auch weniger Leistung. Kompensiert wird das Ganze mit einer angelagerten Nacheinspritzung. Sie soll bewirken, dass Rußpartikel teils schon im Zylinder verbrennen. Zudem gibt es durch die nachgeschaltete Einspritzung einen kleinen Nachschlag an Drehmoment, sodass am Ende die Leistung wieder jener vor dem Update entspricht.
Der maximale Einspritzdruck von 1.800 bar bleibt für die EA 189 erhalten. Im häufig gefahrenen Teillastbereich liegen die Drücke zwischen 600 und 1.200 bar. Sie wurden leicht erhöht. Die Anhebung des Einspritzdrucks sowie die nachgeschaltete Einspritzung sorgen unter anderem dafür, dass der Motor mit höheren Abgasrückführraten fahren kann und die Stickoxide (NOx) in einem bestimmten Fenster bleiben - selbst bei kälteren Außentemperaturen. Zuvor wurde hier ein zweiter Modus gefahren. Er hielt die Rußpartikel zwar geringer, schickte dafür aber NOx in wesentlich höherer Menge ins Freie.
Leiden die Einspritzdüsen?
VW sagt nein. Bei den Einspritzdüsen schließen die Ingenieure einen durch die Druckerhöhung bedingten größeren Verschleiß in Rücksprache mit den Lieferanten Bosch, Conti und Delphi sowie nach umfangreichen Tests aus. Zweifel hegt dagegen Motorenexperte Stefan Carstens, Geschäftsführer der EngineSens Motorsensor GmbH in Viernheim: "Bei den Magnetinjektoren handelt es sich letztlich um bewegte Feder-Masse-Systeme, die Rückpreller erleiden und durch die mehrfache Einspritzung einem höheren Verschleiß unterliegen. Es bleibt abzuwarten, ob die Testergebnisse von VW auch den Kundenalltag widerspiegeln."
Was ist mit dem Rußpartikelfilter?
Die neue Software lässt den EA 189 weniger Stickoxide, aber in bestimmten Betriebsbereichen, insbesondere im Teillastbereich mit geringen Geschwindigkeiten (Stadt- und Kurzstreckenverkehr), mehr Rußpartikel ausstoßen. Letztere müssen zunächst vom Filter aufgefangen werden. Ist hier ein bestimmter Sättigungsgrad erreicht, werden die Partikel verbrannt. VW garantiert, dass bei der Verbrennung kein Schaden am Partikelfilter (DPF) entsteht, da die Temperatur nicht über einen kritischen Wert hinausgeht. So soll gewährleistet sein, dass der DPF praktisch unbegrenzt oft Ruß verbrennen kann, ohne vorzeitig zu verschleißen.
Den Partikelfilter belastet allerdings noch eine andere Sache: Asche. Sie entsteht aus der Verbrennung von Motoröl und ist in gewissen Mengen nicht zu vermeiden. Da die Asche weder im Nachgang noch überhaupt verbrannt werden kann, ist der Filter irgendwann voll und verliert seine Wirkung. 180.000 Kilometer soll er bei Volkswagen im Bestfall mindestens halten. Bestfall heißt: Es darf nur "aschearmes", von VW zugelassenes Motoröl verwendet werden. Manch billiges Supermarktöl kann hier also vorzeitig dem DPF den Garaus machen. Daher ist es für Volkswagen schwierig zu beurteilen, ob bei älteren EA-189-Motoren mit hoher Laufleistung keine Aschevorschäden vorhanden waren. Wenn dann kurze Zeit nach dem Software-Update plötzlich die Warnlampe im Cockpit leuchtet, bedeutet dies für den Kunden natürlich, dass alles am Update gelegen hat. Streitigkeiten wie diese gebe es, gesteht VW. Versucht wird, das Problem auf Kulanz zu lösen.
Ein weiteres Problem könnte laut Motorenexperte Carstens beim Turbolader entstehen. Erzeugt der sich zusetzende Partikelfilter zu viel Gegendruck im Abgasstrom, beansprucht dies den Lader über Gebühr. Vorzeitige Ausfälle sind die Folge. "Wir sehen zunehmend, dass verstopfte DPF bei Fahrzeugen mit hoher Laufleistung auch Turboladerschäden verursachen, meist ab 200.000 Kilometern."
Welche Komponenten sind noch betroffen?
Das Abgasrückführventil steuert über die Menge des in den Brennraum umgeleiteten Abgases unter anderem die Akustik des Motors sowie sein Aufheizverhalten, und es beeinflusst die Menge an Stickoxiden und Rußpartikel. Weil es im Brennraum stets auch zu nicht verbranntem Kohlenwasserstoffen kommt, neigt das Ventil für die Abgasrückführung zum Verkleben - der Fachmann spricht von "Versottung". Interne Tests von jeweils über 200 Stunden Dauer ergaben laut VW keine nennenswerten Differenzen gegenüber vorher. Trotz der höheren Belastung des Ventils durch teils mehr Schaltungen im Teillastbereich und längeren Ventilhüben lag die jeweils gewogene Rußmenge auf gleich niedrigem Niveau. "Betroffen von der 'Versottung' ist allerdings nicht nur das Abgasrückführventil, sondern auch die gesamte Leitung und der AGR-Kühler", sagt Carstens.
Was für Außenstehende im Nachhinein vielleicht läppisch klingen möge, lediglich ein Computerprogramm umzuschreiben, habe sich im Konzern als Mammutaufgabe erwiesen, heißt es von VW. Hunderte neue Softwares musste Volkswagen neu programmieren, für jede Marke im Konzern und für jedes Modell, in dem der EA 189 verbaut wurde. 296 Varianten kamen infrage. Damit nicht genug. Dazu passend mussten die Autos gefunden werden. Insgesamt kaufte der Konzern rund 1.000 Fahrzeuge zurück. 750 betrafen allein die Marke VW. Teils wurden spezielle Motorvarianten aus Russland zurückgeholt.
Parallel liefen die Programmierungen und die danach anstehenden Testläufe. Gearbeitet wurde und wird an allen Tagen, rund um die Uhr. Kein Motorenprüfstand, weder im Werk noch extern gemietet, war auch nur eine Minute unbesetzt. Aus Zigtausenden von Prüfstunden galt es, Millionen von Ergebnissen auszuwerten. Diesen Labormessungen folgten Hunderttausende Kilometer an Vergleichstests. Gefahren wurde mit beiden Softwares, neu und alt, stets im Viererkonvoi und im steten Wechsel. Die Fahrer durften dabei nicht wissen, ob die alte oder neue Software im Steuergerät steckte.
So sehr sich Volkswagen jetzt um Wiedergutmachung bemüht und so gigantisch der Aufwand dafür auch ist, offen bleibt die Frage, warum man nicht schon vorher die Programmierung so vorgenommen hat, dass die Stickoxid-Emissionen stets unter den geforderten Werten geblieben wären.