Abgasskandal bei Volkswagen Die Folgen des Millionen-Rückrufs

Was kommt jetzt auf betroffene VW-Kunden zu? Welche Sanktionen drohen dem Konzern in Deutschland? Gab es schon mal einen vergleichbaren Fall? Der Faktencheck zum Volkswagen-Rückruf.
VW-Logo in Wolfsburg: "Eine logistische Herausforderung"

VW-Logo in Wolfsburg: "Eine logistische Herausforderung"

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

"Wir ordnen den Rückruf an", hat ein Sprecher des Kraftfahrt-Bundesamts am Donnerstag erklärt. Damit meinte er eine behördliche Anweisung, wonach alle Autos von VW mit Betrugssoftware in die Werkstatt müssen.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat später weitere Einzelheiten bekannt gegeben. 2,4 Millionen Autos sind betroffen, das ist eine für Rückrufaktionen in Deutschland extrem hohe Zahl. Sie stellt die Kunden, den Konzern und die Behörden vor große Herausforderungen.

Ein Überblick über die Auswirkungen, die die neuste Entwicklung in der Abgasaffäre haben wird.

In meinem Wagen steckt die VW-Betrugssoftware. Was kommt mit dem Rückruf jetzt auf mich zu?

Für betroffene Kunden gilt zunächst einmal: Sie dürfen weiterhin ihre Autos benutzen - denn diese gelten als technisch sicher und fahrbereit. Die Besitzer müssen laut Angaben von Verkehrsminister Dobrindt erst aktiv werden, wenn sie Post von VW erhalten haben. Alle betroffenen Autofahrer bekommen demnach bald ein Schreiben, in dem das weitere Vorgehen erklärt werde.

Die Rückrufaktion ist aber für jeden Halter verpflichtend - früher oder später muss man mit seinem VW also in die Werkstatt. Am Ende von Rückrufaktionen werden die nicht nachgebesserten Fahrzeuge vom KBA an die Zulassungsbehörden gemeldet. Diese können dann die Zulassung entziehen.

Im Video: Amt zwingt VW zu Rückruf-Aktion

Können betroffene Kunden wegen des Rückrufs Entschädigung von VW verlangen?

"Dauert die Reparatur mehrere Tage, können Halter möglicherweise Entschädigung für den Nutzungsausfall geltend machen", sagt Josina Starke von der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Wer dringend auf sein Auto angewiesen ist, kann eventuell auch einen angemessenen Mietwagen bekommen. "Allerdings kommt es immer auf den Einzelfall an."

Anspruch auf eine solche Entschädigung haben Fahrzeugbesitzer sonst in der Regel, wenn sie schuldlos in einen Unfall verwickelt waren. Auch beim Rückruf der VW-Fahrzeuge trifft die Halter keine Schuld: "In diesem Fall ist es ja kein Verschleiß oder ein Verschulden der Halter, sondern ein Herstellerfehler", erklärt Starke. Daher sei es auch hier denkbar, dass eine Entschädigung für den Nutzungsausfall geltend gemacht werden kann.

Betroffene dürften sich dadurch aber nicht bereichern: "Wenn Sie einen Golf fahren, können Sie nicht einen Porsche mieten", sagt Starke. Alternativ könne eine Nutzungsausfallentschädigung eingefordert werden. "Die Höhe ist unter anderem abhängig vom eigenen Automodell."

Wichtig zu beachten: Ein Recht auf Entschädigung besteht nur in begründeten Fällen. "Wenn Sie zum Beispiel einen Zweitwagen haben, können Ansprüche nicht ohne weiteres durchgesetzt werden", erklärt Starke.

Wird VW seitens der Bundesregierung für den Betrug bestraft?

Einzelne Politiker haben Steuernachzahlungen in Millionenhöhe für VW ins Gespräch gebracht. So erklärte der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) gegenüber dem SPIEGEL, dass "nicht nur die Kunden vorsätzlich über den Schadstoffausstoß getäuscht" wurden, "sondern auch der Staat bei der Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer".

Autos, die zwischen Ende 2008 und Mitte 2009 neu zugelassen wurden und der Abgasnorm Euro 5 entsprachen, waren teilweise bis zu zwei Jahre von der Steuer befreit. War diese Einstufung falsch, wären die Steuern zu niedrig festgesetzt worden. Die mittlerweile für die Kfz-Steuer zuständige Zollverwaltung hätte somit das Recht, Steuernachzahlungen festzulegen. Diese müssten dann aber von den Autobesitzern getragen werden.

Die politische Forderung, VW müsste dafür aufkommen, entbehre jedoch jeder juristischen Grundlage, sagt Rechtsanwalt Remo Klinger gegenüber SPIEGEL ONLINE. Hohe Strafzahlungen wie sie VW in den USA drohen, sind in Deutschland ebenfalls nicht möglich. "Es gibt in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht", so Klinger.

Warum sprechen Verkehrsminister Dobrindt und das KBA erst jetzt von einem Rückruf - war nicht vorher schon klar, dass die betroffenen Autos in die Werkstatt müssen?

Dass die Schummelsoftware wirklich in den 2,4 Millionen VW-Fahrzeugen steckt, war schon länger bekannt. Jetzt hat Dobrindt noch einmal bekräftigt, dass die Software auch tatsächlich aktiviert war. An einem Rückruf hätte aber wohl selbst dann kein Weg vorbei geführt, wenn die Software nur installiert, aber nicht aktiviert worden wäre.

Bisher haben Verkehrsministerium und KBA keine gute Figur im Abgasskandal um VW gemacht. Obwohl schon lange bekannt war, dass die auf dem Prüfstand ermittelten NOX-Werte in der Realität weit überschritten werden, mussten Autohersteller keine Nachprüfungen von den Behörden fürchten. Jetzt präsentiert sich Dobrindt plötzlich als strenger Hüter der Grenzwerte.

Ist der Zeitplan für den Rückruf konkreter geworden?

Nein. Als Start wird noch immer Januar 2016 vorgegeben. Je nach Motorisierung wird aber nicht vor September 2016 etwas passieren. Das gilt vor allem für die 1,6-Liter- sowie die 1,2-Liter-Aggregate, weil hier eine neue Hardware verbaut werden muss.

Für diese Motoren soll VW bis Ende November einen Plan für die Nachbesserungen präsentieren. Bei den 2,0-Liter-Motoren reicht offenbar ein Software-Update, hier muss VW bis Ende Oktober eine Lösung präsentieren.

Warum darf sich VW so lange Zeit lassen für den Rückruf?

Zum einen wäre es kontraproduktiv, von dem Autokonzern jetzt eine schnelle Lösung zu fordern - das würde langfristig eher dem Ziel schaden, sauberere Motoren zu entwickeln. Zum anderen wird die schiere Masse an Fahrzeugen sowohl die VW-Werkstätten als auch das Kraftfahrt-Bundesamt an die Grenzen bringen. "Ein Rückruf in dieser Größenordnung ist eine logistische Herausforderung", sagt KBA-Sprecher Stephan Immen. Es mache deshalb wenig Sinn, mehr als zwei Millionen Anschreiben sofort an die Halter zu verschicken und alle Wagen in die Werkstätten zu bestellen.

Gab es schon mal einen Rückruf wegen erhöhter Abgaswerte?

Laut Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), ist der Vorgang bisher einzigartig. Jahrelang habe die DUH laut Resch dafür gekämpft, dass die Behörde auch bei technischen Defekten tätig werden, die der Umwelt schaden - wie zum Beispiel Dieselautos mit wirkungslosen, nachgerüsteten Partikelfiltern. "Vergiftete Atemluft durch Autoabgase ist genauso sicherheitsrelevant wie eine kaputte Bremse", sagt Resch.

2,4 Millionen Autos - ist das eine hohe Zahl für einen Rückruf?

Zum Vergleich: Nach Angaben von KBA-Sprecher Immen gab es im kompletten Jahr 2013 nur 1,5 Millionen zurückgerufene Autos in Deutschland. Da waren jedoch viele verschiedene Marken betroffen.

Am Anfang war immer von 2,8 Millionen betroffenen Autos die Rede - warum sind es jetzt weniger?

Die ursprüngliche Zahl habe sich aus den Zulassungen ergeben, sagt Dobrindt. Inzwischen seien aber rund 400.000 Wagen außerhalb Deutschlands unterwegs oder überhaupt nicht mehr im Verkehr.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Volkswagen will in Europa insgesamt 8,5 Millionen Fahrzeuge mit dem betroffenen Motor EA 189 zurückrufen. Das kündigte das Unternehmen am Donnerstag in Wolfsburg an. Nach Ansicht von Volkswagen-Chef Matthias Müller eröffnet der zuvor ergangene KBA-Bescheid ein "gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen in allen Mitgliedstaaten" der EU, heißt es in einem Schreiben an Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). VW hofft also, dass sich andere Märkte an dem Vorgehen des Kraftfahrtbundesamtes orientieren- und somit auch die technischen Lösungen akzeptieren werden.

Mit Material von dpa und Afp
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