
VW Sedric: Käfer ruft KITT
VW-Robo-Taxi Wir schaffen was ab
Volkswagen gibt es derzeit gefühlt in zwei Editionen. Die eine, nennen wir sie mal "Realistic Edition", steht für solide automobile Durchschnittsware mit einem ziemlich großen Schönheitsfleck: dem Dieselskandal. Der wird das Unternehmen noch lange beschäftigen, sorgt immer wieder für unschöne Schlagzeilen, deswegen gibt es die zweite Ausführung, nennen wir sie mal "Future Edition". Sie soll den ganzen Dreck überstrahlen, mit verwegenen Zukunftsvisionen. Digital. Sauber. Modern. Diese Edition ist vor allem auf Automessen zu sehen, wo publikumswirksam spektakuläre Studien präsentiert werden. Wie aktuell auf dem Autosalon in Genf.
Die menschgewordene Future Edition ist Johann Jungwirth. Der Digitalchef von VW, der vorher für Mercedes und Apple arbeitete, hält in Genf etwas in der Hand, was aussieht wie ein Flaschenöffner. Ein von Apple designter Flaschenöffner. Sobald er den Knopf darauf drückt, die Elektronik seinen Fingerabdruck erkennt und ein blauer Ring aufleuchtet, kommt Sedric herangesurrt. Sedric, das ist die Wolfsburger Vision vom Se lf Dri ving C ar: Eine Kunststoffkiste auf Rädern, die sich nicht nur den Verbrennungsmotor, sondern gleich auch den Fahrer spart. Lenkrad? Pedale? Fehlanzeige.
Sedric ist ein Roboter-Taxi. Es wurde von der Konzernforschung unter der Leitung von Ulrich Eichhorn binnen eines Jahres auf die Räder gestellt. Das gewöhnungsbedürftige, aber irgendwie ganz sympathische Design verantwortet Michael Mauer. Der Clou beim Konzept ist die Fernbedienung: Mit dem einen Knopf, VW nennt das Ding entsprechend "OneButton", einer App und der Sprachsteuerung soll Sedric maximal einfach zu bedienen sein und Mobilität so erschwinglich machen, wie es der Name Volkswagen mal versprochen hat.
Gesucht: Kontakt zum Kunden
Mit dem jetzt auf dem Genfer Salon vorgestellten Konzept zielt VW auf einen Markt, dessen Bedeutung gar nicht groß genug eingeschätzt werden kann, urteilt die Strategieberatung Arthur D. Little: Sogenannte Mobility-on-Demand-Lösungen, bei denen Kunden Robotertaxis nutzen können, seien eine entscheidende Komponente für die Mobilität der Zukunft, schreibt das Unternehmen in einer neuen Studie.
Die Experten glauben, dass "Mobility as a Service" den privaten PKW be- oder gar verdrängen könnte. Robotertaxis werden dann für den Kunden eine komfortable Alternative zum Auto, für die Hersteller aber zum Risiko. Denn sie drohen, den direkten Zugang zu den Autofahrern und damit das Gros ihres Geschäftes zu verlieren, wenn nicht mehr Millionen Endkunden in die Showrooms kommen, sondern sehr wenige, sehr große und multinationale Flottenbetreiber auf Einkaufstour gehen. "Diese könnten die beherrschende Rolle der Hersteller im Ökosystem übernehmen, da sie über direkten Kundenzugang sowie erhebliche Volumenmacht verfügen würden. Dies wäre insbesondere ein Problem für heutige Premiumhersteller," warnt Co-Autor Klaus Schmitz und erklärt damit, weshalb immer mehr Autohersteller selbst zum Mobilitätsanbieter werden wollen.

Genfer Autosalon: Sportlich, sportlich
Auch Sedric wird wohl primär in Carsharing-Flotten eingesetzt, die durchaus von VW selbst betrieben werden könnten. Doch so ganz wollen die Macher noch nicht vom Besitz-Prinzip lassen. Sie glauben fest daran, dass sich durchaus auch Endkunden für den Besitz eines Autos interessieren könnten, das die Kinder alleine in die Schule shuttlet oder sie am Ende eines stressigen Arbeitstages in den Feierabend fährt.
VW ist im internationalen Vergleich spät dran
Mit Sedric schlägt VW einmal mehr eine Brücke zum Sympathieträger Bulli. Weil der Fahrer wegfällt, hat der Sedric trotz der Abmessungen vom Format des Kleinwagens Up Platz wie ein Bus: Die Insassen steigen durch zwei gegenläufig angeschlagene Schwenktüren ein wie in einen Stadtbus und nehmen auf einer Sitzinsel Platz, wie man sie ebenfalls aus dem öffentlichen Linienverkehr kennt. Nur dass sie dort vielleicht nicht ganz so vornehm ist und man in den Öffis während der Fahrt auch nicht auf einen transparenten Bildschirm starrt, auf dem Filme laufen, Navikarten eingeblendet werden oder ein Videotelefonat mit Mutti übertragen wird.

Hereinspaziert: Viel Platz im Sedric
Foto: Tom GrünwegSo unkonventionell Sedric mit seinen voll verkleideten Rädern, den LED-befeuerten Dialogflächen und dem gläsernen Aufbau auch aussieht, so konventionell ist er gestrickt: Er nutzt mit einem auf etwa 400 Kilometer ausgelegten Lithium-Ionen-Akku und einer rund 100 kW starken E-Maschine an der Hinterachse die Technik aus dem Modularen Elektrizitätsbaukasten (MEB), mit dem VW-Konzern in den nächsten Jahren mehr als 30 Akku-Autos bauen willen.
Die Sensorik entspricht mit dem üblichen Lasergeweih auf dem Dach, einem halben Dutzend Kameras, weiteren Laserscannern in Bug und Heck, Radar- und Ultraschall-Sensoren dem Stand, mit dem sich heute Dutzende von Prototypen führerlos über die Fahrbahn tasten.

Kleiner Scherz am Rande: Blumenbeet unter der Heckscheibe
Foto: Tom GrünwegVW ist der erste deutsche Hersteller, der sich mit so einem radikalen Entwurf aus der Deckung traut. Alle bisherigen Konzepte zum autonomen Fahren hatten zumindest noch Lenkrad und Pedale. Doch im internationalen Vergleich sind die Niedersachsen spät dran. Ford hat bereits vergangenes Jahr ein führerloses Taxi angekündigt und die ersten Großversuche mit vielen Tausend Fahrzeugen in einer US-Metropole schon für 2021 versprochen. Und Google ist mit seinem unkonventionellen, aber im Grunde ganz ähnlich gestrickten Ei bereits seit über einem Jahr im Silicon Valley auf der Straße unterwegs.
Endlich eine Vision, mal wieder
Vor allem aber ist Sedric für den Augenblick mal wieder nur eine schöne Vision, die von der Umsetzung noch Jahre entfernt ist. Future Edition halt. Bis Anfang, womöglich sogar Mitte des nächsten Jahrzehnts werde es schon noch dauern, bis das Robo-Taxi die Straße erobern und VW zu einem ernstzunehmenden Mobilitätsdienstleister machen könnte, räumen die Entwickler ein. Damit teilt er das gleiche Schicksal wie zuletzt die Studie I.D., die vor einem halben Jahr in Paris den Aufbruch ins Elektro-Zeitalter dokumentieren sollte und Konkurrenten wie dem Opel Ampera E oder dem Renault Zoe doch nur hinterherfährt. Denn während die Franzosen ihren Stromer mit alltagstauglicher Reichweite und halbwegs bezahlbaren Preisen bereits auf der Straße haben und die Hessen die Markteinführung zum Sommer planen, kommen die Niedersachsen nicht vor 2019.
Den Vorwurf der Verschleppung will man bei VW nicht stehen lassen. Eichhorn verweist drauf, dass VW und Audi bereits seit Jahren entsprechende Prototypen einsetzen und mit großem Erfolg bei den Darpa-Rennen angetreten seien, mit denen vor über zehn Jahren der Run aufs autonome Fahren begann. Der Audi A8 werde im kommenden Jahr als erstes Serienauto aus dem Konzern autonom nach dem sogenannten Level 4 fahren, sagt der Forschungschef. Der Fahrer könne dann die Hände dauerhaft vom Lenkrad und den Blick von der Straße nehmen - zumindest auf der Autobahn und bis Tempo 60.
Dass diese Einschränkungen nötig sind und es bis zum Level 5, also dem autonomen Auto ganz ohne Fahrer, noch Zeit braucht, rechtfertigt Eichhorn mit dem Streben nach absoluter Sicherheit. Zugleich räumt er ein, dass es die nie geben wird. Am Ende sei es neben der gesetzlichen Einschränkung vor allem eine Frage der Risiko-Abwägung, die den Zeitraum der Serienumsetzung bestimme, sagt er.
Anders als Tesla, die mit ihrem vermeintlichen Autopiloten Unfälle zumindest billigend in Kauf genommen haben, sind die Niedersachsen offenbar lieber auf der sicheren Seite. "Je kontrollierter eine Umgebung ist, und je besser man die Rahmenbedingungen abschätzen kann, desto früher sind solche Fahrzeuge einsatzfähig", sagt Eichhorn. In den VW-Fabriken hat die Zukunft deshalb schon begonnen: Dort gehören führerlose Förderfahrzeuge längst zum Alltag - und man braucht dafür nicht mal eine Fernbedienung.