Ab 2019 jedes neue Modell mit Strom Volvos Elektro-Revolution

Volvo-Logo auf einem Kühlergrill
Foto: VolvoHakan Samuelsson musste gleich mal zugeben, dass er sich getäuscht hat. Gerade hatte der Volvo-Chef auf einer Pressekonferenz in Stockholm die neue Strategie des schwedischen Autoherstellers erläutert: Ab 2019 sollen neue Modelle entweder rein batteriebetrieben fahren oder mit Hybridsystem, auf jeden Fall aber elektrisiert.
Dann die erste Frage aus der Journalistenrunde: "Vor zwei Jahren sagten Sie", erinnerte sich eine Reporterin, "dass Sie nicht an Elektromobilität glauben. Warum jetzt der Wandel?"
Samuelsson - blaues Sakko, weißes Hemd, gut gebräunt und äußerst gelassen - musste nicht lange für die Antwort überlegen: Die Batteriekosten seien stärker gesunken als erwartet und die Ladeinfrastruktur habe sich stark verbessert, sagte der 66-Jährige. "Alles hat sich schneller entwickelt als erwartet."
Das gilt auch für Volvo selbst. Wer hätte gedacht, dass ein Hersteller, der im Moment kein einziges E-Mobil im Angebot hat, plötzlich so radikal auf Elektrifizierung setzt? "Wir verabschieden uns vom Verbrennungsmotor", sagte Samuelsson am Mittwoch. Das klingt tatsächlich erst einmal revolutionär. Bei genauerer Betrachtung ist es aber eigentlich naheliegend.
Die Diesel-Gefahr
Denn Samuelsson lieferte eine nüchterne Erklärung für die Abkehr von dem Konzept, ausschließlich Diesel- oder Benzinmotoren zu nutzen: "Wir wollen den Kohlendioxidausstoß unserer Autos reduzieren." Wie alle Autohersteller tut Volvo das nicht in erster Linie der Umwelt zuliebe, sondern auf Druck der EU-Regularien: Wer die von Brüssel vorgeschriebenen CO2-Grenzwerte beim Flottenverbrauch nicht einhält, dem drohen als Hersteller millionenschwere Strafzahlungen.

Volvo-Chef Samuelsson auf der Detroit-Autoshow 2016
Foto: Uli Deck/ dpaBis vor ein paar Jahren schien die Erfüllung dieser Auflagen kein Problem für Volvo: Der Diesel-Anteil bei den verkauften Autos liegt bei den Schweden im Schnitt über 80 Prozent - das wirkt sich positiv auf die CO2-Bilanz aus, weil die Selbstzünder eine geringere Kohlendioxid-Emission als Benziner haben. Doch dann kam der VW-Abgasskandal um manipulierte Motoren, in dessen Folge der Diesel immer mehr in Verruf geriet. Derzeit drohen in Deutschland sogar Fahrverbote und Umrüstungsaktionen. Die Kunden sind verunsichert, die Verkaufszahlen sinken. "Der nachlassende Dieselanteil", sagt Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management, "könnte die CO2-Bilanz von Volvo zusammenbrechen lassen".
Laut den Berechnungen von Peter Mock, Europa-Geschäftsführer beim Öko-Forschungsinstitut International Council on Clean Transportation (ICCT), muss Volvo seinen derzeitigen Flottenverbrauch um rund elf Prozent senken, um die ab 2021 gültigen Grenzwerte zu erreichen. Er sieht die Schweden dabei zwar auf einem guten Weg: Der Durchschnittswert aller Hersteller sehe eine nötige Senkung von knapp 20 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre vor. Mock warnt aber auch: "Volvo wird besonders stark von dem aktuellen Abwärtstrend bei Diesel betroffen sein".
Als vergleichsweise kleiner Hersteller sei Volvo deshalb gezwungen, sich die Investitionen in die Zukunft genau zu überlegen, sagt Stefan Bratzel. Während zum Beispiel der weltgrößte Autobauer Volkswagen gleichzeitig E-Autos entwickelt, an der Brennstoffzelle forscht und mittlerweile sogar die totgeglaubten Erdgasmotoren wieder als Brückentechnologie wiederbeleben will, bleibt den Schweden nicht so viel finanzieller Spielraum zum Experimentieren. Stattdessen musste Volvo sich festlegen - und das hat Unternehmenschef Samuelsson mit der Elektrifizierungsstrategie nun getan.
Wie diese genau aussieht, machte er nach einer ersten Mitteilung am Mittwochmorgen auf der Pressekonferenz noch mal deutlich:
- Ab 2019 werden zwar noch Verbrennungsmotoren in neuen Modellen eingesetzt, aber nur noch ergänzt mit Hybridsystemen.
- Dazu gehört zum einen der Plug-in-Hybridantrieb, mit dem sich der Akku an der Steckdose aufladen lässt. Volvo hat hier bereits das sogenannte Twin-Engine-System entwickelt, das einen Zwei-Liter-Vierzylinderbenziner mit 320 PS mit einem 87 PS starken Elektromotor kombiniert. Dieses Aggregat kommt derzeit in den Flaggschiffen der Marke zum Einsatz, unter anderem im Kombi V90 und im SUV XC90. Bestenfalls sind damit rein elektrische Reichweiten von rund 50 Kilometern möglich.
- Zum anderen setzt Volvo auf ein Mild-Hybridsystem mit 48-Volt-Bordnetz, das sowohl zusammen mit Benziner- als auch mit Dieselmotoren kombiniert wird. Hier lädt sich der Akku durch Rückgewinnung der Bremsenergie auf. Rein elektrisch kann das Auto damit nicht fahren, der Akku liefert aber Energie beim Anfahren und beim Beschleunigen. Geplant ist unter anderem ein besonders sparsamer Dreizylindermotor mit Mild-Hybridsystem.
- Zwischen 2019 bis 2021 sollen außerdem fünf rein batteriebetriebene Elektrofahrzeuge erscheinen. "Das werden keine Low-Budget-Autos", sagte Samuelsson, "sondern Premiumprodukte mit bis zu 500 Kilometern Reichweite". Eigentlich schade - ein Elektro-Volvo für den Massenmarkt wäre die spektakulärere Ankündigung gewesen. Zwei der fünf angekündigten E-Modelle sollen unter dem Label Polestar auf den Markt kommen - Volvos ehemalige Tuning-Firma wurde zu einer Elektroautomarke umgewandelt. Zu Preisen äußerte sich Samuelsson nicht.

Vom SUV XC90 über den Kombi V90 bis zur Limousine S90 - diese Volvo-Modelle werden bereits mit Plug-in-Antrieb angeboten.
Foto: VolvoAuf der Pressekonferenz wurde deutlich, dass der angekündigte Abschied vom Verbrennungsmotor bei Volvo nicht abrupt kommen wird - Samuelsson sagte, dass anfangs vor allem die Mild-Hybrid-Lösungen eine große Rolle spielen werden. Hält man sich dann noch vor Augen, dass bei den Autos mit Plug-in-Hybridsystem die Diskrepanz zwischen den realen Verbrauchswerten und dem tatsächlichen Spritdurst noch eklatanter als bei Autos mit normalen Verbrennungsmotoren sind (der 2,4-Tonner XC90 soll laut Laborwert nur 2,1 Liter Benzin auf hundert Kilometern benötigen), erscheint der große Umschwung zunächst gar nicht mehr so revolutionär.
Autoexperte Stefan Bratzel sagt jedoch, man dürfe die Ankündigung von Volvo trotzdem "nicht zu niedrig hängen". Der Hersteller schaffe hier nichts geringeres als einen "Präzedenzfall des Wandels" - weg von Verbrennungsmotoren, hin zur Elektromobilität.
Die Rolle der chinesischen Konzernmutter
Der bereits im Mai von Volvo angekündigte Investionsstopp bei der Dieseltechnologie unterstreicht diese Haltung - die Schweden wollen zwar noch weiterhin Selbstzünder produzieren, aber nur noch mit bereits bestehenden Aggregaten. Weiterentwickelt werden jetzt nur noch andere, offenbar zukunftsträchtigere Antriebsarten.
Bei der jetzt verkündeten Strategie könnte auch der Einfluss der Konzernmutter von Volvo eine Rolle gespielt haben: Die schwedische Marke gehört seit 2010 zum chinesischen Autokonzern Geely. In China sind die Marktanteile von Dieselautos verschwindend gering, umso wichtiger sind dagegen Elektroautos - Fernost ist mittlerweile der größte Markt für E-Mobile weltweit.
"Natürlich hat Geely ein Interesse daran, dass die Marke Volvo in China stärker wächst, und das geht nur mit Elektroantrieben", sagt Stefan Bratzel. Gebaut werden soll das erste rein elektrische Volvo-Modell übrigens in China, verkauft wird es weltweit.
Was der Kunde will
"Die Kunden verlangen nach Elektroautos", sagte Hakan Samuelsson auf der Pressekonferenz in Stockholm. Nach der Einsparung von CO2 sei das der wichtigste Grund für die neue Zukunftsstrategie seines Unternehmens.
Wie begehrt die Elektroautos von Volvo sein werden, wird sich zeigen. So ganz scheint nämlich auch Samuelsson die Autokäufer da draußen noch nicht durchdrungen zu haben: Als ihn ein englischer Reporter unverblümt fragte, wie lange die Dieseltechnologie jetzt noch zu leben habe, schaute er zuerst ratlos seinen Entwicklungschef zu seiner Rechten an - und als der auch nichts sagen wollte, antwortete Samuelsson: "Fragen Sie die Kunden."
Zusammengefasst: Volvo ist ein vergleichsweise kleiner Hersteller, der seine Investitionen und Zukunftsstrategien genau abwägen muss. Nicht nur deshalb erscheint das Bekenntnis zur Elektromobilität als folgerichtig, ab 2019 soll jedes neue Modell mit Strom fahren. Die chinesische Konzernmutter Geely will die schwedische Marke außerdem für den Markt in Fernost stärken - und dort sind E-Antriebe zwingend notwendig, um Erfolg zu haben.