VW-Abgasaffäre Kritische Passagen aus Untersuchungsbericht getilgt

Seit Beginn der Dieselaffäre inszeniert sich Verkehrsminister Dobrindt als schonungsloser Aufklärer. Doch Akten aus seinem Ministerium beweisen das Gegenteil: Aus einem Untersuchungsbericht wurden kritische Passagen gestrichen.
Verkehrsminister Dobrindt (links) und Staatssekretär Odenwald

Verkehrsminister Dobrindt (links) und Staatssekretär Odenwald

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/ picture alliance / dpa

Dass die Opposition Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt dafür kritisiert, zu lasch mit der Autoindustrie umzugehen, daran hat sich der CSU-Mann längst gewöhnt. Doch am Donnerstag ist ihm dieser Vorwurf schriftlich und von höchster Ebene auf den Tisch geflattert: Die Europäische Union werde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen sein Haus eröffnen in Sachen Dieselaffäre, teilte ihm die EU-Verkehrskommissarin mit.

Der Minister wies die Kritik zurück, schließlich passte sie so gar nicht zu der Rolle, in der Dobrindt sich selbst immer sah: als oberster Aufklärer der Abgasaffäre. Doch Akten seiner eigenen Behörde, die ein Rechercheteam von SPIEGEL ONLINE, der Nachrichtenagentur dpa und BR Recherche einsehen konnten, legen nahe, dass der Minister und seine Beamten nach Ausbruch des Umweltskandals bei Volkswagen alles daran setzten, die Autoindustrie schonend zu behandeln.

Es geht dabei um den Bericht, den die von Dobrindt eingesetzte "Untersuchungskommission Volkswagen" verfasst hat. Deren Ergebnisse von Stickoxid-Messungen an 53 Automodellen stellte Dobrindt im April vor. Ein Vergleich jedoch mit älteren Versionen des Berichtes, die im Januar und Februar in seinem Haus erstellt worden waren, zeigt: Anklagende Passagen zu diversen Modellen sind wieder herausgestrichen worden. Zu Gunsten etwa von Herstellern wie Opel, Audi und Fiat.

Kritische Urteile aus einem Gutachten verschwiegen

Dabei waren die Prüfer den Herstellern relativ schnell auf die Schliche gekommen, dass sie die Abgasreinigungsanlagen ab einer bestimmten Temperatur herunterfahren, bis diese schließlich ganz ausgeschaltet sind. "Thermofenster" lautet der harmlose Begriff der Industrie dafür. Bei Opel etwa war das schon bei 17 Grad der Fall, andere Hersteller, wie beispielsweise Mercedes, regelten bei 10 Grad ab. In den USA wäre so etwas illegal gewesen - und selbst die einschlägige EU-Verordnung hätte aus Sicht vieler Juristen so ausgelegt werden können, dass diese Abschalteinrichtungen als unzulässig hätten eingestuft werden können.

Selbst die Experten des Ministeriums hegten große Zweifel an der Rechtmäßigkeit und wollten die Ausrede der Autobauer nicht gelten lassen, aus Gründen des Motorschutzes müsse die Reinigung giftiger Stickoxide gedrosselt werden. Selbst das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kam zu dem Ergebnis, man müsse wie im Falle eines Opel Insignias und Zafiras "von einer Abschalteinrichtung" ausgehen. So stand es jedenfalls zunächst in dem Untersuchungsbericht.

Ein Gutachten sei bestellt worden, dessen Autor die "Zweifel an der Zulässigkeit dieser temperaturabhängigen Emissions-Minderung-Strategie" gestützt habe. Zu ähnlichen Ergebnissen seien die Prüfer auch für einen Audi A6, einen Chevrolet Cruze, eine Alfa Romeo Giulietta, zwei Hyundai-PKW sowie Modelle von Nissan, Suzuki und Range Rover gekommen.

Doch die kritische Passage findet sich in der später veröffentlichten Version nicht mehr wieder.

Ebenso verhielt es sich mit einer anderen Passage in dem Untersuchungsbericht, die noch deutlicher ausfiel. Darin geht es um zwei untersuchte Modelle des Renault Kadjar und des Dacia Sandero. Dazu hielt die Kommission zunächst fest, dass die Abregelung der Abgasreinigungsanlage auffälligerweise direkt unterhalb jener Temperatur beginnt, bei der die Fahrzeuge im Prüfstand getestet werden. Der "Verdacht auf eine unzulässige Abschalteinrichtung" könne deshalb "nicht ausgeräumt" werden.

Auch diese Passage sucht man im veröffentlichten Untersuchungsbericht vergebens.

Experte: "Für mich nicht nachvollziehbar"

Es scheint demnach so zu sein, dass der Druck der Autoindustrie auf die Arbeit der Kommission Erfolg gehabt hat. Ende November hatte SPIEGEL ONLINE zusammen mit der dpa und BR Recherche über Kommentare unter anderem von Opel berichtet, mit dem der Konzern Widerspruch gegen die Erkenntnisse der Expertenkommission eingelegt hatte: Man könne dem Entwurf "nicht zustimmen", die Formulierungen würden "einen Gesetzesverstoß" des Konzerns nahelegen, was Opel zurückweist - so hieß es in einer Stellungnahme des Konzerns vom Frühjahr diesen Jahres. KBA-Präsident Ekhard Zinke hatte sich damals der Meinung Opels angeschlossen.

Das ist insofern verwunderlich, als dass es sich bei dem Gutachter um den Verbrennungsmotor-Experten Georg Wachtmeister von der Technischen Universität München handelt, der auch Mitglied in Dobrindts Untersuchungskommission ist. In seinem Gutachten, das vom Verkehrsministerium noch immer unter Verschluss gehalten wird, schreibt er unmissverständlich, das Abregeln bei Temperaturen unter 17 Grad sei "für mich nicht nachvollziehbar".

Wachtmeister bleibt auch heute bei seiner Kritik an vielen Abschaltvorrichtungen der Konzerne. Zwar gebe es physikalische Gründe, weswegen das Abregeln der Abgasreinigungsanlage technisch sinnvoll sein könne. Dies habe insbesondere bei älteren Modellen gegolten, in der die Technik noch nicht ausgereift war. Doch mit Konstruktionsverbesserungen sei es immer weniger notwendig gewesen, bei bestimmten Temperaturverhältnissen das Reinigungssystem abzuschalten. "Das Argument des Motorschutzes darf für die Industrie kein Freibrief sein, schon bei normalen Umgebungstemperaturen die Abgasreinigung abzuschalten."

Dobrindt und seine Beamten entschieden sich trotzdem dafür, die Abschalteinrichtungen als zulässig anzuerkennen. Das Ministerium verteidigt diese Entscheidung damit, dass den Unternehmen für die betroffenen Modelle freiwillige Maßnahmen auferlegt worden seien, die Abgasreinigungsanlagen zu verbessern. "Die Untersuchungskommission hat mit den Herstellern dieser Fahrzeuge mit Typzulassung in Deutschland zur Optimierung der Abgasreinigungssysteme einen Rückruf im Rahmen einer Serviceaktion festgelegt", erklärt das Ministerium auf Anfrage.

"Nicht Aufklärung, sondern Vertuschung"

Die Opposition will das nicht gelten lassen. "Wenn ein Verdacht von illegalen Abschalteinrichtungen aus dem Bericht getilgt wird, ist das nur vorstellbar mit Anweisung von ganz oben", kritisiert der Grüne Verkehrsexperte Oliver Krischer. Er ist der Ansicht: "Es wird immer deutlicher, dass es bei Untersuchungskommission von Verkehrsminister Dobrindt nicht um Aufklärung, sondern um Vertuschung ging."

Die erwähnten Hersteller betonen, sie hätten sich stets an die gültigen Gesetze bei der Auslegung ihrer Motorsteuerung gehalten. Opel verwies an das Bundesverkehrsministerium, Nissan betonte, das Unternehmen, "hat nie und wird nie illegale Abschalteinrichtungen oder betrügerische Mittel in irgendein Fahrzeug einbauen".

Ein Audi-Sprecher erklärte stellvertretend für den Volkswagen-Konzern, man sei mit einer "freiwilligen Serviceaktion dem Wunsch des KBA zur Nachbesserung" gefolgt. Ein Software-Update sorge dafür, dass "die Reinigungswirkung auch in niedrigen Temperaturbereichen verbessert" worden sei.

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