VW-Futurologe Das Auto-Orakel
Spoiler sterben aus, SUVs verschwinden von den Straßen - dafür findet der Pkw freie Parkplätze per Autopilot. Für den Blick in die Zukunft beschäftigt VW einen eigenen Futurologen, den viele anfangs für den Spinner vom Dienst hielten. Heute hat er einflussreiche Fans.
Wolfsburg - Über die vermeintliche Zukunft des Autofahrens gibt es einen Film, der seit kurzem im Internet kursiert. Er zeigt einen unbemannten Porsche Cayenne mit einem Wust von Kameras und Drähten auf dem Dach, der sich langsam in Gang setzt. Dann beschleunigt er zügig in eine Betonmauer hinein.
Diese Szene ereignete sich vor einigen Monaten auf der Darpa-Challenge in Kalifornien, einem automobilen Zukunftswettbewerb des US-Verteidigungsministeriums. Dort treten per Autopilot gesteuerte Autos auf einem Verkehrsübungsplatz gegeneinander an.
Eigentlich wollte die Branche hier das Morgen zeigen und demonstrieren, wie gut die fahrerlose Steuerung schon funktioniert. Was blieb, war ein Crashkurs in Sachen Visionen.
Auch der etwas zu kurz geratene Überholvorgang eines Land Rovers löste Gelächter unter den Zuschauern aus. Im Zeitlupentempo rammte er einen stehenden Wagen. Dabei hatten ihn Forscher des renommierten Massachusetts Institute of Technology programmiert.
Es ist der Job von Wolfgang Müller-Pietralla, 47, solche Pannen zu vermeiden. In einer Halle im VW-Werk in Wolfsburg steht er neben einem selbstfahrenden Passat, den sie bei Volkswagen
"Junior" nennen. Müller-Pietralla ist Zukunftsforscher. Vorher war er Umweltbeauftragter beides Jobs, mit denen man sich in einem Autokonzern nicht unbedingt beliebt macht. Dass der Passat heil vom Wettbewerb in Amerika zurück ist, freut ihn. Aber er ist schon einen Schritt weiter. Dass Autos sich autonom bewegen werden können, ist für ihn nicht mehr die Frage.
Kleine Kühlschubladen für Sushi?
Müller-Pietralla beschäftigt sich damit, was die Menschen später in einem Wagen machen wollen, wenn der Autopilot fährt. Mit der Serienausstattung des Autos von übermorgen sozusagen, Das Auto könnte dann zu einer sauberen, zu recycelnden Kommunikationszelle geworden sein, die per Funk vom leeren Parkplatz zwei Kilometer weiter erfährt und diesen sogar allein findet - zumindest, wenn es ein Premium-Pkw ist. Vielleicht wird es für solche Wagen kleine Kühlschubladen für Sushi geben.
Selbst das günstige Standardmodell wird noch eine Art Geiz-Navi haben denn nicht nur die Reichen sollen am automobilen Fortschritt teilhaben. Spoiler und andere PS-Insignien dagegen werden im Land der Raser aussterben, sagt Müller-Pietralla voraus. Schwer zu glauben - aber auch hohe Endgeschwindigkeiten werden auch die Deutschen nicht mehr interessieren, glaubt er.
Zukunftsforschung wie sie Müller-Pietralla betreibt, ist eine relativ junge Disziplin. Anders als die Trendforscher, die oft kurz vor Weihnachten herausfinden, dass sich alle nach mehr Geborgenheit und Wärme sehnen, beschäftigen sich die Firmen-Futurologen nicht mit dem, was schon da ist, sondern mit dem Unsichtbaren, das kommt. Sie schärfen ihren Blick bis 2015, weiten ihn sogar bis 2050 und kommen mit dem, was sie mit Hilfe von Roadmaps und Zukunftsstudien als Essenz gewonnen haben, zurück aus der Zukunft ins Unternehmen. Sie interpretieren quasi das spätere Bauchgefühl der Säuglinge von heute. Sie antizipieren industrielle Transformationsprozesse und erahnen Brüche. Und sie müssen sich gegen Mythen stemmen, die bei Unternehmen wie eine schleichende Muskellähmung wirken.
Ein bisschen Guerilla spielen
Ein gutes Beispiel für Betriebsblindheit sei die deutsche Automobilindustrie, sagt Klaus Burmeister. "Die ist noch immer gefangen im eigenen Erfolg." Burmeister ist Chef der Essener Strategieberatungsfirma Z_punkt und wird oft von Automobilherstellern eingeladen, um deren Manager zu provozieren.
Er darf dann mit seinem Team ein bisschen Guerilla spielen und Szenarien entwerfen, in denen die Autos von heute wie Saurier einer untergegangenen Epoche wirken. Er darf sich über ihren panischen CO2-Lobbyismus in Brüssel lustig machen und auf das kleine norwegisches Unternehmen Think Global verweisen, dessen Elektroautos kürzlich vor dem Autosalon in Genf vorfuhren, während die Großen nur von neuen Antrieben redeten. 2006 hatten die Norweger die Technik für kleines Geld vom Ford
-Konzern gekauft, der vorher 150 Millionen Euro investiert und dann die Lust verloren hatte. "Fjord", spottet die Branche nun, "die tun was."
Wolfgang Müller-Pietralla sitzt manchmal in einem kleinen Café in der Wolfsburger Autostadt. Aus den Salons des Auto-Erlebnis-Parks ist das Dröhnen von Motoren zu vernehmen. Noch vor nicht allzu langer Zeit galt auch das Konzept der Autostadt als futuristisch. Gegenüber vom Café blickt Müller-Pietralla auf eine Teststrecke, wo erhitzte Rentner in VW-Touaregs über Holpersteine hubbeln. Die Euphorie bei den SUVs gehe bald "zur Neige", sagt er.
Er muss es wissen: Er brütet bereits über deren Ersatz.
Als der Biologe vor fünf Jahren die neue Abteilung aufbaute, begann er mit zwei Doktoranden. Von den anderen Kollegen, die er fragte, wollte keiner mitmachen. Auf dem Weg in die Zukunft, zu Müller-Pietrallas "Future-Lab", geht es vorbei an der Vergangenheit. Am Lamborghini-Pavillon, dessen Geräuschkulisse an den Start eines Düsenflugzeugs erinnert, an den konzerneigenen Kohlekraftwerken. Am Vorstandsgebäude.
Neue Ideen mitunter sind sie auch in diesem Gebäude versandet. Dass jetzt etwa ernsthaft zum Batterieantrieb geforscht werde, sei ein Riesenschritt, so Müller-Pietralla. Vor einem Jahr und jetzt ist er ganz diplomatisch sei man "noch nicht soweit gewesen".
Das hat einen simplen Grund: Den Blick ins Übermorgen halten nur wenige hohe Manager lange aus. Er zeigt ihnen meist eine Unausweichlichkeit, gegen die ihre eigene PR-Abteilung noch mit allen Mitteln ankämpft. Das Glaubensbekenntnis der Automobilbranche lautet noch immer: Vor 2015 will der Kunde keine alternativen Antriebe. Erst jüngst betete ein Automanager dieses Mantra wieder dem Zukunftsforscher Burmeister vor. "Der fand auch seinen Slogan 'Freude am Fahren' noch völlig zeitgemäß."
- 1. Teil: Das Auto-Orakel
- 2. Teil: Verunsicherung ist die beste Arbeitsgrundlage