
Neuer VW Golf VII: Glorreiche Sieben
Weltpremiere VW Golf VII Nummer sieben lebt
"Auf diesen Moment habe ich lange gewartet", sagte VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, als er den neuen Golf VII in silberfarbenem Lack auf die Bühne gefahren hatte. Den Gästen der Golf-Premiere in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ging es ähnlich. 55 Minuten hatte die Show rund um die siebte Generation des neuen Kompaktklassikers aus Wolfsburg bereits gedauert, als sie den neuen Golf zum ersten Mal zu Gesicht bekamen.
Zuvor waren für einen kurzen Auftritt auf der Drehbühne jeweils die sechs Vorgänger ins Rampenlicht gefahren worden. Es war lange und ausführlich über das Design gesprochen worden. Und über die technischen Neuheiten. Das alles unter den Augen von rund 650 Gästen, unter ihnen auch Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der deutschen Automobilindustrie.
Jene Gala-Gäste, die sich nicht so brennend für Autos interessieren, werden sich gefragt haben, warum VW ein derartiges Bohei um einen Wagen macht, der praktisch genauso aussieht wie das bisherige Modell. Ein berechtigter Einwand. Während sich die ersten vier Golf-Generationen noch ganz gut voneinander unterscheiden ließen, waren die optischen Veränderungen danach nur noch marginal. Man mag das Kontinuität nennen - aber ein bisschen wirkt es auch wie das Versprechen ewiger Jugend für die inzwischen angegraute Generation Golf.
VW-Designchef Klaus Bischoff sieht das erwartungsgemäß anders: "Extrem wichtig ist, dass sich die Proportionen des Golf mit der siebten Generation drastisch verändert haben und den Wagen souveräner denn je wirken lassen." Was Bischoff meint: Weil die Vorderräder im Vergleich zum Vorgängermodell um ganze vier Zentimeter nach vorn gerückt sind, erscheint die Motorhaube nun irgendwie länger. "Cab-Backward-Eindruck" nennt Bischoff das; der ist erwünscht, denn eine möglichst weit hinten platzierte Passagierkabine gilt als typisches Merkmal von Oberklassefahrzeugen.
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Eine weitere optische Neuheit, so Bischoff, ist die Motorhaube. Die sitzt nun höher als die Kotflügelkanten. Beim Vorgängermodell war es noch umgekehrt. Design-Experten werden vermutlich stundenlang über solche Details diskutieren und Glaubenskriege lostreten, Otto Normalbetrachter sieht eher darüber hinweg. Was dem Chefkreativen Bischoff aber gar nicht unrecht zu sein scheint. Wichtig sei, dass ein moderner Eindruck entstehe, der zugleich vertraut wirke. "Das Design des Golf ruht in sich selbst."
Endlich eine Start-Stopp-Automatik serienmäßig
Für optische Innovationen war der Golf - vom ersten, von Giorgio Giugiaro auf Falte gebügelten Modell abgesehen - allerdings noch nie bekannt. Und auch diesmal sind es eher technische Neuerungen, die aufhorchen lassen. Der Wagen wurde beispielsweise je nach Ausführung um bis zu 100 Kilogramm leichter als das Vorgängermodell. VW betont, die Gewichtsreduktion trotz leicht gewachsener Außenmaße und mehr Ausstattung hinbekommen zu haben - "und zwar ohne Mehrkosten".
Das stimmt auf den Cent, der Basispreis des neuen Golf bleibt mit 16.975 Euro unverändert. VW deutet dies in der branchenüblichen Argumentation als Preisermäßigung, schließlich seien ja ab sofort eine Start-Stopp-Automatik, ein Bremsenergie-Rückgewinnungssystem, ein Fünf-Zoll-Touchscreen sowie eine Multikollisionsbremse serienmäßig an Bord. Die bremst das Auto nach einer ersten Karambolage so ab, dass es zwar noch lenkbar bleibt, zugleich aber so stark verzögert wird, dass ein zweiter Aufprall möglichst abgeschwächt oder, im Idealfall, sogar verhindert wird.
Dass es diese Multikollisionsbremse wie auch die anderen neuen Serienausstattungen gratis dazu gibt, wie VW argumentiert, ist Unsinn. VW wird sehr gut verdienen am neuen Auto. Denn der Golf VII ist das erste Modell der Marke, das auf dem neuen modularen Querbaukasten (MQB) basiert, und der beschert dem Konzern nach Experteneinschätzungen eine Kosteneinsparung von rund 30 Prozent.
Neue Motoren, aber keine alternativen Antriebe
Parallel zum neuen Grundgerüst gibt es für den Golf auch ausschließlich neue oder überarbeitete Motoren. Anfangs werden das zwei Turbo-Benziner mit 85 oder 140 PS sein, außerdem zwei TDI-Aggregate mit 105 oder 150 PS. Interessantestes Triebwerk ist der 140-PS-Benziner, ein Motor aus der neuen Baureihe EA 211, der als erster Großserien-Vierzylinder über ein "aktives Zylindermanagement ACT" verfügt.
Im Volksmund heißt dieses Feature etwas griffiger "Zylinderabschaltung", und das bringt es schon ziemlich gut auf den Punkt: Drückt der Fahrer nur leicht bis mäßig aufs Gaspedal, arbeiten nur zwei der vier Zylinder, die beiden anderen haben Pause. Das senkt laut VW den Verbrauch auf dem Prüfstand um 0,4 Liter auf einen Durchschnittswert von 4,8 Liter je 100 Kilometer, was 112 Gramm CO2 entspricht. Wie oft der neue Golf dann im Alltagsbetrieb wirklich auf zwei Pötten läuft und inwieweit dies einen echten Spareffekt gibt, muss sich erst noch zeigen.
4,8 Liter Verbrauch sind für ein nigelnagelneues Fahrzeug dieser Klasse allerdings auch nur in Ordnung, mehr aber auch nicht. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die den Golf schon seit langem auf dem Kieker hat und auch bei der Premiere in Berlin protestierend vor der Tür stand, wirft VW deswegen vor, die Spritsparpotentiale nur zum Teil zu nutzen. Sie argumentiert, dass VW durch Einsatz vorhandener Technik und konsequenteren Leichtbau bereits jetzt den drei Liter-Golf hätte auf die Räder stellen können.
Eine lange Extra-Liste
Die Verantwortlichen sehen das natürlich ganz anders. Schließlich sinke über alle Motoren der CO2-Ausstoß um durchschnittlich 13,9 Prozent. "Wir schätzen, dass durch die neue Golf-Flotte allein in Europa pro Jahr 119.000 Tonnen CO2 eingespart werden", sagt VW-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg. Fakt ist aber, dass der Golf in Sachen alternativer Antriebstechnologien etwas hinterherhinkt: Erdgas-, Hybrid-, Elektroantrieb- beim Golf gibt es das alles frühestens ab 2013.
Mehr Auswahl hat der Golf-Fahrer erstmals bei den Fahrcharakteristika. Einstellen lässt sich ein Eco-, Normal-, Individual- und Sport- sowie, falls das Auto mit einer aufpreispflichtigen, adaptiven Fahrwerksregelung bestellt wird, auch noch ein Comfort-Modus. Wer "Eco" wählt, entschärft die Motorsteuerung und drosselt die Klimaanlage sowie weitere Nebenaggregate - dann fährt das Auto so effizient wie möglich. Wer hingegen "Sport" einstellt, entscheidet sich für das Gegenteil.
Entscheidungen treffen - das ist ohnehin das große Stichwort für künftige Golf-Kunden. Denn noch nie gab es den Bestseller von VW mit einer derart langen Liste von Extras. VW nennt das die "Demokratisierung des Fortschritts", weil nun auch in der Kompaktklasse Dinge gegen Aufpreis verfügbar sind, die bislang teureren VW-Typen vorbehalten waren. Dazu gehören etwa eine automatische Distanzkontrolle mit City-Notbremsfunktion, eine Einparkautomatik für Quer- und Längslücken, ein Spurhalteassistent, eine Müdigkeitserkennung oder eine Fernlichtautomatik. Was genau diese Systeme kosten werden, hat VW noch nicht bekannt geben.
Ebenfalls dazukaufen können Golf-Besteller ein proaktives Insassenschutzsystem. Sobald die Sensoren des Wagens eine kritische Situation erkennen, werden die vorderen Sicherheitsgurte vorgespannt und die Seitenscheiben bis auf einen Spalt geschlossen; das ist wichtig, damit sich die Kopf-Seiten-Airbags abstützen und so optimal wirken können. Erhältlich sein wird auch eine Progressivlenkung, die beim Rangieren die Lenkarbeit reduziert, bei flotterer Fahrt jedoch kürzer übersetzt wird und so ein direkteres Lenkgefühl vermittelt.
Ebenfalls ein Novum im Golf ist die Verkehrszeichenerkennung: Eine Kamera registriert sämtliche Geschwindigkeitshinweise oder Überholverbote, die dann im Kombiinstrument sowie auf dem Navigationsbildschirm zusätzlich angezeigt werden - und zwar inklusive von Zusatzhinweisen wie etwa "bei Nässe".
VW-Chef Winterkorn nutzte die Golf-Präsentation übrigens noch für ein Plädoyer für Europa. "Der Golf", so der Volkswagen-Lenker, "gibt die Richtung vor für VW, für das Automobil und für den Industriestandort Europa." Das Auto sei ein Sinnbild für die Stärke des Kontinents. Wenn das stimmt, ist die Lage vielleicht doch nicht so desolat, wie oft behauptet wird. Andererseits: Wirklich rosig ist sie dann aber auch nicht.