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Ketteneinsitzer Ziesel Vollgas im Superrollstuhl

Eigentlich sollte das Mini-Raupenfahrzeug "Ziesel" nur als Testobjekt für Akkus dienen. Jetzt ist es der Star eines Offroad-Parks in Hamburg. Vor allem Rollstuhlfahrer sind begeistert.

Im Start- und Zielbereich des Hamburger Zieselparks hängt eine Diskokugel unter dem Zeltdach. Licht reflektiert sie nur selten. Meist verhindert das eine dicke Staubwand, die den Offroadpark einhüllt. Wer am Rande des Hamburger Hafens "zieseln" will, muss ein entspanntes Verhältnis zu hohen Feinstaubbelastungen haben.

Der Ziesel, das ist eine elektrische Offroad-Fahrmaschine, benannt nach einem flinken, kleinen Erdhörnchen. Das Ding sieht aus, als hätte man einen Rollstuhlsitz auf einen Panzer geschraubt. "Wir wollten eine Art Kartbahn 3.0 schaffen", sagt Matthias Onken, 42, der zusammen mit Jan Schierhorn, 46, den Ziesel-Park in der Hamburger Hafencity betreibt.

Auf die Idee zu ihrem Projekt kamen sie, als Schierhorn das Gummikettenfahrzeug im Skiurlaub über schneebedeckte Pisten in Österreichs Wintersportgebieten flitzen sah. Als der Ziesel kurze Zeit später dann auch noch bei der ProSieben-Show "Schlag den Raab" eingesetzt wurde, war die Idee für den Park geboren.

Wer rammt, fliegt

Dort weist Rainer Groth, 61, einen Fahrgast in die Bedienung des Raupenfahrzeugs ein. Den Kunden einen Crashkurs für das ungewöhnliche Spaßgerät zu geben, das ist sein Job. Der junge Gast hat bereits im Schalensitz Platz genommen. "Die sehen ja witzig aus", sagt er. In dem Satz schwingt auch Unsicherheit mit.

Groth schließt den Vierpunktgurt und erklärt die Regeln im weltweit ersten Parcours für das Gummikettenfahrzeug. "Wer andere rammt, fliegt", steht auf einer Tafel. Der Ziesel rollt langsam an, dann gibt Groths Fahrgast Gas. Der Umgang mit dem Joystick auf der rechten Armlehne ist leicht - Gas und Bremse in einem, die Steuerung ist brutal direkt. "Upps", kommentiert der Fahrschüler den flinken Antritt, Erde fliegt durch die Luft.

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Elektroraupe aus Österreich: Flink wie ein Ziesel

Foto: Jan Northoff

Das Gerät entwickelt hat der Österreicher Alois Bauer mit seiner Firma Mattro. Eigentlich ist die Miniraupe ein Zufallsprodukt. "Es ging darum, ein Testfahrzeug zu bauen - ursprünglich wollten wir nur unseren Lithium-Ionen-Akku testen", sagt er. Nach Jahren als Karosseriebauer und einem Ingenieursstudium hat sich Bauer 2006 selbstständig gemacht und Mattro gegründet. In seiner Firma in Schwaz nahe Innsbruck entwickelt er zukunftsorientierte Fahrzeugkonzepte und Prototypen - alle mit elektrischem Antrieb und Kunststoffkette.

Wie der Ziesel: Einen Prototyp hatte Bauer in Innsbruck auf einer Messe gezeigt. "Innerhalb von zwei Wochen hatten wir Händleranfragen aus mehr als 20 Ländern - das hat uns überrascht." Eine Marktnische war gefunden.

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Unterschiedlichste Zielgruppen interessierten sich plötzlich für das Gerät. "Einige wollten den Ziesel für die Strandpatrouille einsetzen", sagt er. Zudem eignet sich die rund 340 Kilogramm schwere Deltaraupe auch für die Landwirtschaft. Durch die 24 PS der beiden Scheibenläuferelektromotoren packt sie selbst große Steigungen und ist damit auch für Winzer beim Einsatz in zumindest gemäßigt-steilen Lagen interessant. Oder für andere Anwendungen in der Landwirtschaft - das Gerät zieht Lasten bis zu einer halben Tonne und ist im Gegensatz zu einem Verbrenner leise und damit ideal für den flexiblen Einsatz in sensibler Natur.

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Kettenfahrzeug Ripsaw EV2: Flucht nach vorn

Foto: Howe and Howe Technologies

Vor allem aber waren Rollstuhlfahrer am Ziesel interessiert. "Sie haben uns sehr früh motiviert, das Gerät weiter zu entwickeln und für sie ein Fahrzeug für den Strand oder Wald zu bauen", erklärt Bauer.

Steuerung per Joystick

Zwischen 70 und 80 Ziesel hat Bauer mit seinem 22 Mann großen Unternehmen inzwischen verkauft. Die Raupe wird in Handarbeit von Mattro gefertigt. "Wir schaffen aktuell zwei bis drei pro Woche", erklärt er. Die größte Schwierigkeit bei der Entwicklung war es, die Elektronik und die benötigte Akkukapazität in dem knappen Raum unter dem Sitz zu verpacken. Und die gesamte Steuerung nur über einen Joystick laufen zu lassen. Per Schalter lassen sich verschiedene Geschwindigkeitsstufen einstellen - in der höchsten kommt die flinke Raupe auf etwa 35 km/h.

Seit der Eröffnung des Zieselparks in Hamburg vor ein paar Wochen stehen täglich Neugierige an der Piste. Segways kennen inzwischen viele Menschen. Aber der Ziesel ist noch ein Exot unter den Fahrgeräten.

Wer sich in Hamburg auf die Deltaraupe wagt, zahlt 16 Euro für zwölf Minuten. Die können auf dem wendigen Gerät durchaus anstrengend werden. Wenn man über Reifenstapel oder Buckelpisten fährt, sind sogar Powerslides und kleine Sprünge mit dem Ziesel drin - dabei spürt der Fahrer jeden seiner Knochen.

Fahrspaß ab 20.000 Euro

Bei warmem und trockenem Wetter macht derzeit vor allem der Staub Probleme. Seit sie einen neuen Boden verwenden, der viel Muttererde enthält, staubt es nicht mehr wie in einer Westernstadt. Bis dahin stand Onken jeden Abend nach Feierabend als Erstes unter der Dusche. Fahrgäste können sich mit geliehenen Overalls und Brillen schützen.

Als Onken und Schierhorn vom Interesse der Rollstuhlfahrer am Ziesel hörten, gefiel ihnen die Idee, mit dem Projekt eine Art Superrolli anzubieten. Bereits jetzt arbeiten zwei Rollstuhlfahrer in ihrem Team - langfristig sollen es noch mehr werden. Sie sollen den Gästen - egal ob mit oder ohne Handicap - die Steuerung und die Regeln im Park erklären. "Rollstuhlfahrer haben es nicht leicht im öffentlichen Raum - hier können sie mal die Regeln vorgeben. Und im Ziesel sind alle gleich - es spielt keine Rolle, ob jemand im Rolli sitzt oder nicht", so Schierhorn.

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Inzwischen hat der Fahrgast von Einweiser Rainer Groth ein paar Runden gedreht. Mit einem breiten Grinsen hält er unter der Diskokugel und wird von seiner Freundin in Empfang genommen. Auf dem Weg zurück Richtung Hamburger Innenstadt spekulieren die beiden, ob der Ziesel auch für Privatleute käuflich ist. Ist er. Allerdings ist der Spaß ab 20.000 Euro nicht ganz billig. Da ist die Sitzheizung als Sonderzubehör mit 210 Euro geradezu ein Schnäppchen.

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