
Erdgas-Youngtimer
Erdgas-Youngtimer von BMW Sauber!
Seit einem Vierteljahrhundert rollt der BMW von Holger Rodiek durch die norddeutsche Tiefebene. Auf den ersten Blick sieht der angerostete Kombi, Baujahr 1995, nicht wie ein Ökomobil aus. Darauf angesprochen, kontert sein Besitzer aus Freepsum an der Nordseeküste sichtlich erfreut: »Mein 518g Touring fährt praktisch klimaneutral!«
Bei Rodieks angehendem Oldtimer steht das »g« im Modellnamen für Gas, genau genommen Erdgas. Vor 25 Jahren brachte BMW diese damals innovative Antriebsart in Großserie auf den Markt, als erster deutscher Hersteller. Der Clou: Der 1,8 Liter große Motor konnte wahlweise mit Benzin oder Gas betrieben werden, dafür montierten die Münchner einen 80 Liter fassenden Gastank in den Kofferraum.
Im Cockpit wechselte der Fahrer mit einem simplen Schalter zwischen Benzin- und Gasantrieb. Das Ergebnis: 200 bis 250 Kilometer mehr Reichweite gegenüber dem reinen Benziner-Modell. Und ein »mustergültiges Emissionsverhalten«, wie der Hersteller in einem Werbeprospekt schwärmte. Durch den bivalenten Benzin-Erdgas-Antrieb sollte die CO₂-Emission beim 5er Touring um etwa 25 Prozent sinken.
Erdgas ist ein wichtiger Energieträger und wird etwa zum Kochen und Heizen genutzt. Im Verkehrssektor ist er wenig verbreitet. Dabei experimentierten Automobilhersteller schon vor 100 Jahren damit. In den Dreißigerjahren stellten viele städtische Betriebe ihre Müll- und Straßenreinigungsfahrzeuge auf Gasbetrieb um, später setzten Kommunen auch Erdgasbusse ein. Wegen der über lange Zeit günstigen Benzin- und Dieselpreise setzte sich die Technik aber nie durch.
Die Vorteile von Gas liegen klar auf der Hand
Dabei hat Erdgas und das komprimierte CNG (Compressed Natural Gas) gegenüber konventionellem Sprit große Vorteile. Zum einen ist es um bis zu 50 Prozent günstiger, denn ein Kilo CNG liefert etwa anderthalbmal so viel Energie wie ein Liter Benzin. Dazu kommt die gute Ökobilanz: Hauptbestandteil von CNG ist Methan, das deutlich sauberer verbrennt als Benzin oder Diesel: Die CO₂-Emissionen von Erdgas sollen im Vergleich nach Angaben des Verbands Zukunft Erdgas um 65 Prozent (Benzin) oder 77 Prozent (Diesel) geringer ausfallen, wenn wie aktuell üblich 20 Prozent Biomethan beigemischt sind. Für Erdgas gilt wie auch für das Flüssiggas LPG deshalb ein vergünstigter Energiesteuersatz.
BMW brachte 1995 nicht nur den 518g Touring mit bivalentem Benzin-Erdgas-Antrieb auf den Markt, sondern auch den kleineren 318g Compact, der allerdings nur eingeschränkt alltagstauglich war: Bei ihm musste die Rückbank für den Gastank weichen. Obwohl der Hersteller die beiden innovativen Fahrzeuge aufwendig bewarb, blieb der Verkaufserfolg bescheiden. Vom 518g (E34) konnten nur knapp 300, vom 316g (E36) knapp 650 Exemplare verkauft werden.
Dabei erwiesen sich die Fahrzeuge als zuverlässig. Holger Rodiek nutzt seinen betagten BMW 518g bei Wind und Wetter. Das ein oder andere Karosserieteil musste er wegen Rostbefalls schon tauschen, die Technik aber ist ausdauernd. Weit über eine halbe Million Kilometer hat der Youngtimer auf dem Tacho. In den Urlaub fuhr Familie Rodiek damit auch – bis nach Korsika.
Der BMW 316g (E36) ist inzwischen selten geworden und meist in Liebhaberhand.
Das Gleiche gilt für den BMW 518g (E34). Fahrbereite Veteranen tauchen nur selten auf dem Gebrauchtwagenmarkt auf.
Deutlich besser sieht es bei Volvo aus. Den Kombi V70 Bi-Fuel (1997 bis 2000) findet man noch öfter. Alternativen sind die Limousinen Volvo S80 Bi-Fuel (ab 2001) sowie der S60 Bi-Fuel (ab 2002).
Mut braucht es, einen Fiat Multipla zu fahren. Der schräg gezeichnte Italiener gilt als einer der schrulligsten Youngtimer überhaupt. Dafür gibt es noch Dutzende CNG-Modelle: entweder mit bivalentem Antrieb (Bi-Power) oder als reines Erdgas-Auto (BluPower, ab 2004 Natural Power).
Ein breites Angebot gibt es auch noch vom Opel Zafira 1.6 CNG (ab 2001), und das zu verlockenden Preisen: Autos mit neuer HU-Plakette finden sich für unter 2.000 Euro.
Ein Youngtimer-Tipp ist der qualitativ hochwertige VW Golf IV, der ab 2002 mit Erdgas-Antrieb (Bifuel) angeboten wurde. Wenig später folgten CNG-Versionen von Caddy, Touran und Polo.
Eine Erklärung für den überraschend schlechten Absatz der innovativen Technologie: Während beispielsweise in Italien das Erdgas-Tankstellennetz traditionell gut ausgebaut ist, war Deutschland damals in dieser Hinsicht Entwicklungsland. 1995, bei der Einführung des BMW 518g, habe es bundesweit nur 44 CNG-Tankstellen gegeben, sagt Holger Rodiek. Davon seien nur 19 öffentlich zugänglich gewesen, das Gros habe auf Betriebshöfen kommunaler Unternehmen gelegen. »Es gab überhaupt keine Chance, so ein Auto im Alltag zu fahren«, klagt er. Rodieck schaffte sich seinen 518g daher erst 2002 als Gebrauchtwagen an, als das Tankstellennetz dichter war. Aktuell gibt es nach Angaben des Verbands Zukunft Erdgas bundesweit rund 835 CNG-Tankstellen.
Insgesamt sei der Erdgasantrieb damals nicht als gute Alternative wahrgenommen worden, sagt ein BMW-Sprecher heute. Zur Zurückhaltung hätten sicherlich auch der durchaus hohe Aufpreis – beim kleinen 316g waren es 7000 Mark – und die eingeschränkte Alltagstauglichkeit (begrenzte Reichweite im reinen Gasbetrieb, hoher Raumbedarf der Tanks) geführt.
Das Schicksal der Erdgas-BMW ist kein Einzelfall. »Es gab in den vergangenen 20 Jahren viele Versäumnisse«, bilanziert Birgit Maria Wöber vom CNG-Club in München. Der Lobbyverein setzt sich dafür ein, dass CNG ein Hauptbestandteil der Mobilitätswende wird, und nicht nur Elektroautos. Laut Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) waren zu Jahresbeginn rund 82.000 Autos mit Erdgasantrieb in Deutschland angemeldet – bei einem Gesamtbestand von 48 Millionen Pkw.
Wöber wirft den Herstellern vor, ihre CNG-Modelle nur halbherzig vermarktet zu haben. Neben BMW stieg 1997 Volvo mit dem V70 Bi-Fuel ins Erdgas-Geschäft ein, 1999 präsentierte Fiat den Multipla Bipower. In Deutschland avancierte der Volkswagenkonzern zum Hauptanbieter der Technologie, bis heute haben die Marken Audi, Skoda, Seat und VW Erdgas-Fahrzeuge im Programm – bei VW sind es aktuell die Typen eco up!, Polo TGI und Golf TGI.
Doch das sind allesamt Auslaufmodelle. Im März kündigte VW-Entwicklungschef Frank Welsch an, dass sich Volkswagen von seinen Erdgas-Autos verabschieden werde. Grund dafür seien geringe Verkaufszahlen der Modelle. »Die Resonanz am Markt ist nicht gewachsen«, sagte er dem »Handelsblatt«.
Die Politik ignoriert Erdgasautos weiterhin
Für die Hersteller ist ein Hemmnis, dass Biogas bei der Berechnung des Flottenemmissionswerte nicht vom Gesetzgeber berücksichtigt wird. »Volkswagen muss zur Erreichung der zukünftigen gesetzlich vorgeschriebenen, herausfordernden Flottenemissionsgrenzwerte viel Geld investieren – wie alle bekannten Fahrzeughersteller«, erklärt ein VW-Sprecher. »CNG-Fahrzeuge leisten aber mit der fehlenden Anerkennung durch den Gesetzgeber als besonders CO₂-schonenden Antrieb damit leider nur einen geringen Beitrag zur Erreichung dieser künftigen Flottenemissionsgrenzwerte.«
Künftig will sich VW daher auf Elektromobilität konzentrieren. Die wird stark gefördert, bis zu 9000 Euro Zuschuss zahlen Staat und Hersteller beim Kauf eines E-Autos. Für Erdgas-Pkw gab es solche Subventionen nie. Lediglich auf regionaler Ebene gab und gibt es Förderprogramme, etwa von kommunalen Stadtwerken und Energieversorgern. Mancherorts erhalten Käufer von Erdgas-Neufahrzeugen einen Einmal-Zuschuss von ein paar Hundert Euro, anderswo einen Tankgutschein. Eine weitere Hürde: Die staatliche Vergünstigung auf CNG-Sprit stand immer wieder auf der Kippe, nach diversen Fristverlängerungen soll sie nun 2026 endgültig auslaufen.
»Demgegenüber steht seit Jahrzehnten konstant die Dieselbegünstigung«, kritisiert Birgit Maria Wöber vom CNG-Club. »Wie soll sich also ein alternativer Antrieb mit ablaufendem Verfallsdatum durchsetzen?« Wöber ärgert sich auch darüber, dass der vergleichsweise saubere Gasantrieb in der Klimadiskussion überwiegend ignoriert werde.
Abfahren mit Abfall
Besonders nachhaltig werden CNG-Autos nämlich, wenn Biogas in den Tank strömt, das aus Rest- und Abfallstoffen wie Klärschlamm, Gülle oder Bioabfall gewonnen wird. Beim Verbrennen dieses Bio-CNG wird nur so viel CO₂ freigesetzt, wie das organische Material zuvor – etwa Pflanzen beim Wachsen – aus der Atmosphäre gezogen hat.
Theoretisch können alle Fahrzeuge mit Ottomotor auf einen Erdgas-Antrieb umgerüstet werden. Spezialbetriebe installieren dafür ein Zuleitungssystem und einen Erdgastank, zudem ist ein spezielles Motormanagement nötig. Am Motor selbst sind praktisch keinerlei Eingriffe notwendig.
Die Kosten für die Umrüstung belaufen sich auf etwa 4.000 Euro. Das klingt erst einmal viel, bei entsprechenden Laufleistungen können sich diese Kosten aber schon nach wenigen Jahren amortisieren. Denn CNG-Kraftstoff ist deutlich günstiger als Benzin.
Experten sagen, dass sich die Umrüstung eines Verbrenners auf Erdgas nach ungefähr 40.000 Kilometern rentiert. Für die Umwelt gilt dies wegen der deutlich reduzierten Schadstoffe übrigens schon nach dem allerersten gefahrenden Kilometer – insbesondere wenn man Bio-CNG tankt. Wichtig: Bei Fahrzeugen mit H-Zulassung sollte vor dem Umbau geklärt werden, ob durch die Modifikation das historische Kennzeichen gefährdet ist.
Holger Rodiek kann Biogas inzwischen selbst in Ostfriesland tanken. Aktuell würden viele Erdgastankstellen in Deutschland von der niederländischen Firma OrangeGas übernommen, berichtet er. Die verspricht 100 Prozent Bio-CNG an ihren Tankstellen. »Dadurch fahre ich ohne jegliche technische Änderung nicht mehr mit fossilem Erdgasantrieb, sondern mit biologischen Abfallprodukten.« Weil Rodiek von CNG so begeistert ist, hat sich der Ostfriese inzwischen auch einen BMW 316g angeschafft. Und seinen alten VW Bus T3 hat er nachträglich auf Erdgas umgerüstet. Auch das ist möglich, im Prinzip bei jedem Gebrauchtwagen mit Verbrennermotor.
Und ein schickes neues Elektroauto? Wäre das nicht auch etwas? Holger Rodiek winkt ab, obwohl auf dem Haus seiner Familie Fotovoltaiktechnik mit über 25 KWp Leistung installiert ist. Mit der Anlage werde saubere elektrische Energie für rund fünf Haushalte produziert, sagt Rodiek.
»Erst wenn wir bei 100 Prozent Ökostrom im öffentlichen Netz angekommen sind, können auch Elektroautos mit umweltfreundlichem Antrieb punkten«, findet er. Und bis das so weit ist, wird Holger Rodiek weiter mit seinem alten Erdgas-BMW fahren. Noch fünf Jahre, dann wird sein 518g offiziell zum Oldtimer.