A24 in Brandenburg Tempolimit senkt die Unfallzahlen und fällt deshalb weg

Deutschland diskutiert über ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen, derweil hat Brandenburg bestehende 130-Schilder abmontiert. Einwände der Polizei wurden nicht berücksichtigt – mit einer seltsamen Begründung.
Zu erfolgreich: Hinweisschild zum damaligen Verkehrsversuch mit Tempo 130 auf der A24 nahe Kremmen (Landkreis Oberhavel) im Februar 2004

Zu erfolgreich: Hinweisschild zum damaligen Verkehrsversuch mit Tempo 130 auf der A24 nahe Kremmen (Landkreis Oberhavel) im Februar 2004

Foto: Karlheinz Schindler / ZB / picture-alliance

Freie Fahrt auf der A24: Die Autobahngesellschaft des Bundes hat laut mehreren Medienberichten in den vergangenen Wochen sämtliche Schilder für das seit 20 Jahren geltende Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf dem brandenburgischen Abschnitt zwischen den Dreiecken Havelland und Wittstock abgeschraubt. Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten auf dem rund 64 Kilometer langen Teilstück zwischen Berlin und Hamburg gelte künftig nur noch die bundesweite Richtgeschwindigkeit. Bereits Ende 2022 wurde das Tempolimit 130 auf der A13 zwischen Kreuz Schönefeld und Dreieck Spreewald aufgehoben.

Das Votum der Brandenburger Polizei wurde laut »Berliner Zeitung«  nicht berücksichtigt. Die Sicherheitsbehörde habe davon abgeraten, die Geschwindigkeitsbeschränkung aufzuheben, sagte ein Polizeisprecher der Zeitung am Mittwoch: »Wir befürchten, dass die Unfallzahlen nach der Aufhebung des Tempolimits wieder steigen werden.«

Für den Schritt sprachen sich jedoch die in Brandenburg regierende SPD und CDU aus – unter Kritik des grünen Koalitionspartners. Der Verkehrsfluss solle nicht gestört werden, sagte Britta Kornmesser, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, der »Berliner Zeitung«. Sie erwarte nach dem Umbau der Autobahn auch keine Zunahme an Unfällen – offenbar anders als die Polizei. Ihre CDU-Kollegin Nicole Walter-Mundt verwies auf eine statistische Analyse, nach der die Zahl der Verkehrsunfälle auf der Strecke zurückgegangen sei. Damit entfalle der Grund für das Tempolimit.

Musterstrecke für mehr Sicherheit

Tatsächlich galt die betroffene Strecke als Unfallschwerpunkt, bis 2003 das Tempolimit eingeführt wurde. Im Vorjahr waren noch 834 Unfälle mit acht Toten und 226 Verletzten gezählt worden, die Zahlen sanken anschließend drastisch. Im coronabedingt verkehrsarmen Jahr 2020 starb niemand auf der Strecke, im vergangenen Jahr ein Mensch bei 532 Unfällen.

Eine 2007 veröffentlichte Studie  der Landesregierung wird in Diskussionen über das Tempolimit bis heute oft zitiert – als ein seltener Versuch, systematisch die Auswirkungen im realen Verkehr zu untersuchen, ohne verzerrende Vergleiche wie Autobahn-Landstraße oder In- und Ausland. Demnach senkt Tempo 130 die Unfallzahlen und daraus folgende Kosten so deutlich, dass die Vorteile die Nachteile des Zeitverlusts durch langsameres Fahren überwiegen. Es entstehe »ein Nutzen für die Allgemeinheit«. Die heute im Zentrum der Debatte  stehenden Klimaeffekte wurden damals erwähnt, aber nicht analysiert.

Erst ein Unfallschwerpunkt, dann dank Tempolimit sicherer, anschließend deswegen wieder ohne Tempolimit – die nicht unmittelbar einleuchtende Logik entspreche der Rechtslage, erklärte Unfallforscher Siegfried Brockmann vom Versicherungsverband GDV in der »Berliner Zeitung«. Denn die Straßenverkehrsordnung stelle Bedingungen, unter denen die Behörden Temposchilder aufstellen dürfen. Relevantes Unfallgeschehen wegen überhöhter Geschwindigkeit sei ein möglicher Grund. »Diese Begründung für ein Tempolimit fällt weg, wenn es weniger Unfälle gibt«, so Brockmann. Er nannte die Entscheidung in Brandenburg deshalb »richtig, wenn auch nicht gut«.

Der Unfallforscher forderte, das Unfallgeschehen auf der A24 nun genau zu beobachten. Zudem solle das Straßenverkehrsrecht so geändert werden, dass auch vorausschauend Tempolimits eingeführt werden dürfen. Nicht erst dann, wenn viele Menschen sterben.

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