Kulturkampf der Carsharinganbieter Teilen tut weh

Macht Teilen Spaß? Einige Carsharinganbieter wie zum Beispiel Weshare gründen einen neuen Interessenverband
Foto: Gerald Matzka / dpaCarsharing ist in Deutschland ein Nischenphänomen: Anbieter, deren Autos in einem Geschäftsgebiet gemietet und abgestellt werden dürfen (Freefloating), kommen auf 14.200 Fahrzeuge. Firmen, die ihre Fahrzeuge auf festen Parkplätzen stationieren, verfügen über knapp 12.000 Wagen. Angesichts von insgesamt fast 50 Millionen Pkw wirkt die Branche wie ein zartes Pflänzchen.
Trotzdem gilt Carsharing als Hoffnungsträger für die Verkehrswende. Insbesondere Stadtbewohner könnten zunehmend auf ein eigenes Auto verzichten, wenn es genügend Fahrzeuge zum Teilen gibt, erwarten Fachleute. Das würde Platz und Ressourcen sparen. Die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer immerhin ist stark gewachsen, insgesamt sind 2,87 Millionen Menschen bei einem Anbieter registriert, der Großteil davon – rund 2,1 Millionen – entfällt auf die Freefloatinganbieter.
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Jedoch schafft es die Sharingbranche derzeit nicht, ihre Interessen kraftvoll und mit einer Stimme zu vertreten. Drei große Freefloatinganbieter – Miles, die VW-Tochter Weshare und die gemeinsame Daimler- und BMW-Tochter Share Now – haben einen eigenen Interessenverband gegründet, gemeinsam mit den E-Scooter-Verleihern Bird, Dott, Lime, Tier, Spin und Voi.
Beide Seiten ringen um Einfluss
Diese Plattform Shared Mobility (PSM) steht nun dem traditionsreichen Bundesverband Carsharing (BCS) gegenüber. In dem sind vor allem Betreiber stationsbasierter Systeme wie Cambio und Stadtmobil organisiert.
Die Meinungsverschiedenheiten mit den Freefloatern waren offenbar zu groß für einen gemeinsamen Verband. Nun ringen beide Seiten um Einfluss und wollen von der Politik gehört werden. Es tobt aber auch ein Kampf um die Frage, wessen System besser für die Umwelt ist.
»Es war schon in früheren Gesprächen spürbar, dass beide Carsharingkulturen schwer zusammenfinden«, erklärt Michael Creutzer, Geschäftsführer des BCS-Mitglieds Teilauto. Stationsbasierte Anbieter hinterfragten den Besitz eines privaten Autos grundsätzlich. Freefloatinganbieter seien wachstumsgetrieben, dort spielten Profite und Risikokapital eine Rolle, so Creutzer. »Wir wollen dagegen umweltbewusstes Verkehrsverhalten, schielen nicht vornehmlich auf Rendite.«
Gesetz in Berlin legt Wunden offen
Den kulturellen Unterschied spürt auch die Gegenseite. »Wir fühlen uns in der jetzigen Gesellschaft wohler«, erklärt vielsagend der Chef des PSM-Gründungsmitglieds Miles, Oliver Mackprang. Der BCS vertrete eben die Interessen der stationären Anbieter. Die begannen einst mit Stift und Fahrtenbuch und tragen oft ökologisches Bewusstsein vor sich her. Das passt anscheinend nicht immer zu den App-affinen Freefloatern.
Für die Teilung gibt es jedoch auch einen konkreten Anlass: das geplante Straßengesetz in Berlin. Damit könnte die Verwaltung den Sharingbetrieb künftig als Sondernutzung des Straßenlandes einstufen – und Autos, Räder und E-Scooter von Sharingdiensten mit einer Sondernutzungsabgabe belegen, wenn sie im öffentlichen Raum stehen.
»Die flexiblen Anbieter ärgern sich jetzt, dass der BCS sie im Kampf gegen dieses Gesetz nicht unterstützt«, sagt Andreas Knie, Verkehrsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin. Daher ergebe die Gründung eines eigenen Verbandes aus deren Perspektive Sinn.
Kommunen machen es Freefloatern schwerer
Das Gesetz ist für Knie ein Unding. »Diese Abgabe ist völlig aus der Zeit gefallen, da private Autos weiterhin umsonst parken.« Die Abgabe träfe vor allem zwei- und vierrädrige Freefloater. Stationsbasierte Anbieter wären davon kaum betroffen, ihre Fahrzeuge stehen meist auf privaten Flächen.
Nicht nur in Berlin droht den Freefloatinganbietern Ungemach. So verkündete das Oberverwaltungsgericht Münster, dass Kommunen die Anzahl von Sharingfahrzeugen im öffentlichen Raum begrenzen und Vorgaben bei Geschäftsgebieten machen dürfen.
Solche Regelungen zu beeinflussen, sei ein wesentlicher Zweck des neuen Verbandes, erklärt Friedemann Brockmeyer von der Beratungsfirma Civity. Miles-Chef Mackprang lässt durchblicken, dass das geplante Gesetz in Berlin tatsächlich eine wichtige Rolle bei der Gründung der PSM spielte.
Experte: »BCS ist kleinteilig und rückwärtsgewandt«
In den Augen von Verkehrsforscher Knie ist der ältere der beiden Verbände für moderne politische Themen nicht zugänglich. »Der BCS ist kleinteilig und rückwärtsgewandt«, sagt der Forscher und kritisiert die »einseitige« Ausrichtung auf die These, »dass das stationsbasierte das richtige Modell ist, um möglichst viele Autos abzuschaffen«. Wissenschaftlich gesehen sei diese Aussage nicht allzu robust.
Doch auch Sharenow und Co. geben ihm Anlass zu Kritik. »Die Freefloater haben sich bisher politisch nicht übermäßig engagiert«, klagt Knie. Gleichzeitig hätten sie lange eine leicht arrogante Grundhaltung gegenüber den stationsbasierten Anbietern an den Tag gelegt.
Letztendlich blieb ihnen der Weg in den BCS bis zuletzt versperrt. »Es gibt für eine Aufnahme in den BCS klare ökologische Kriterien, man muss eine Entlastungswirkung nachweisen«, erklärt Teilauto-Geschäftsführer Creutzer. Das sei den Freefloatingangeboten nicht gelungen.
Beide Verbände versuchen, sich mit wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Guten zu erklären. So wies der BCS 2018 darauf hin, dass Freefloating einer Studie zufolge keine nennenswerte entlastende Wirkung auf den Verkehr habe. Die PSM verweist dagegen unter anderem auf eine Studie aus dem Jahr 2016, der zufolge je Free-Floating-Fahrzeug in München zwischen zwei und vier private Fahrzeuge ersetzt werden könnten.
Ganz ausgeschlossen scheint eine Zusammenarbeit trotz der Blockbildung nicht, Miles-Chef Mackprang zeigt sich offen. Auch Teilauto-Geschäftsführer Creutzer scheint aufgeschlossen. Er könne sich einen gemeinsamen Verband mit anderen Kriterien vorstellen. »Wir sollten gemeinsam für Entlastung auf den Straßen sorgen.«
In seiner frischen Jahresstatistik indes brachte der BCS erneut eine Spitze gegen Weshare, Sharenow und Konsorten unter. Carsharing werde an 855 Orten in Deutschland angeboten, heißt es darin. »Diese im internationalen Vergleich herausragende räumliche Verbreitung des CarSharing wird vollständig von stationsbasierten Carsharing-Angeboten geleistet«. Freefloating Carsharing hingegen wachse »auf bestehender Fläche« in den großen Metropolregionen.
Vereinfacht gesagt: Wir gehen dorthin, wo es weh tut. Ihr bleibt in der Komfortzone.
Anm. d. Red.: Ursprünglich hieß es im Text, laut einer Studie hätten Carsharing-Teilnehmer beider Systeme mindestens einen Pkw im Haushalt abgeschafft. Das besagt die Studie so nicht. Ihr zufolge hat jedes Free-Floating-Fahrzeug aber das Potenzial, zwischen zwei und vier Fahrzeuge in München zu ersetzen. Die entsprechende Passage haben wir angepasst.